Leuchtturm vor Einsturz "Stämme, dünn wie Streichhölzer": Frust und Selfies in Bremerhaven
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Die Nordmole in Bremerhaven sackt ab, der Leuchtturm ist nicht mehr zu retten. Einheimische sind tieftraurig, Touristen machen Selfies.
Manfred Bornhans ist wütend. Immer wieder schüttelt er den Kopf. Dann platzt es aus ihm heraus: "Schlimm ist das, schlimm!", sagt Bornhans, während direkt neben ihm Hafensenatorin Claudia Schilling (SPD) vor Journalisten eine Erklärung abgibt. Eine Erklärung, die der 72-Jährige eigentlich gar nicht hören möchte. "Die schieben sich alle die Verantwortung gegenseitig zu. Typisch!", ruft er. Dieses Mal sogar so laut, dass Anwesende ihn freundlich um etwas mehr Zurückhaltung bitten.
Doch hört man sich an der Uferpromenade von Bremerhaven um, dort, wo man einen guten Blick auf den bald nicht mehr existenten Leuchtturm hat, wird schnell deutlich: Die Aussagen von Manfred Bornhans teilen viele in der Stadt. Viele der Menschen hier sind wütend. Wütend auf die Politik, auf die für Wartung der Mole zuständige Hafenmanagementgesellschaft Bremenports, auf die Verantwortlichen, die mutmaßlich zu lange weggeschaut und wohl gehofft hatten: Das wird schon gut gehen.
Doch es ging nicht gut. Die Nordmole ist in der Nacht zu Donnerstag abgesackt. Der darauf stehende Leuchtturm steht schief – und wird abgebaut. Das teilt Bremenports-Geschäftsführer Robert Howe den Anwesenden mit. Bornhans schüttelt den Kopf, mal wieder. "Das kann doch nicht wahr sein!"
Viele in Bremerhaven kennen den Leuchtturm seit ihrer Kindheit
"Wissen Sie", sagt der 72-Jährige, "früher, als Kinder, sind wir im Sommer immer an den Strand. Du hast den Turm jeden Tag gesehen, der gehört einfach dazu." Er sei gerne an lauen Abenden zum Turm spaziert, habe dort gesessen und sich die Brise durchs Gesicht wehen lassen. Und jetzt: "Das ist einfach so traurig. Ich weiß nicht, was ich sagen soll."
Am Lotsenhaus, mit direktem Blick aufs Wasser, stellt sich Claudia Schilling unterdessen weiter den Fragen der Presse. Und eine Frage wird ihr immer wieder gestellt: Wäre das Desaster zu verhindern gewesen? Man wolle das aufklären, sagt die SPD-Frau. Dort, "wo es vielleicht Verzögerungen gab, die nicht hätten sein müssen", schaue die Behörde nochmal genauer hin, versichert sie.
Für Bremerhavenerin Antje Müller klängen die Worte wie "Blablabla", sagt sie. "Das war doch abzusehen, dass der Turm irgendwann zusammenbricht." Viele hätten ihr berichtet, dass bei Ebbe die tragende Pfahlkonstruktion aus dem Wasser ragte. "Und die Stämme waren dünn wie Streichhölzer." Ihr Mann Peter fügt an: "Da schickt man regelmäßig einen Statiker hin – fertig."
Die Menschen sind wütend: "Hier wird nur gebastelt"
Niemand aus den Behörden brauche sich wundern, dass der Turm nun dem Einsturz geweiht sei, sagt Antje Müller. Seit Jahren werde "gebastelt, gebastelt", aber nie komme etwas "Handfestes" dabei rum. "Hier wird nur gebastelt." "Bastel-Bremerhaven" nenne sie ihre Heimatstadt deswegen schon seit einiger Zeit. Als sie das sagt, schwingt Sarkasmus mit. Aber auch Wehmut und tiefe Traurigkeit. Denn auch für sie ist der Leuchtturm ein "echtes Wahrzeichen der Stadt". Und: "Bremerhaven verliert nun schon sein zweites."
- Lesen Sie hier mehr zum Thema: Hätte das Desaster von Bremerhaven gestoppt werden können?
Neben dem Leuchtturm, der nicht mehr zu retten ist, verlor die Seestadt 2019 bereits die "Seute Deern". Der letzte hölzerne Großsegler unter deutscher Flagge und der größte historisch erhaltene Frachtsegler weltweit wurde 2019 bei einem Brand schwer beschädigt. Gebaut 1919, wurde das Schiff später abgewrackt. Auf einen Ersatzbau warten die Bremerhavener bis heute.
Während am Restaurant "Panorama" flotte Hits der 80er aus den Boxen dröhnen, Menschen am Pier entlang laufen und ihre Handys zücken, wird eines sehr schnell deutlich: Die Tragödie, das Ausmaß des Mole-Desasters, kommt bei vielen gar nicht an. Touristen ahmen das klassische Schiefe-Turm-von-Pisa-Foto nach, sie lachen, feixen. Es scheint, als wäre das Ganze lustig. Für viele Bremerhavener ist es das nicht.
Eine Frau aus einer Radfahrergruppe kommt am Parkplatz "Mole" an. Sie zückt ihr Smartphone, macht Fotos und sagt: "Von hier aus hat man den besten Blick." Immer mehr Schaulustige strömen mit ihren Autos zu den Punkten, an denen es die beste Aussicht gibt. Sind einige Parkplätze kurz zuvor noch befahrbar, stellen Polizisten später rote Warnkegel auf. "Hier kommt heute keiner mehr rauf. Schluss, aus, Ende", sagt ein Beamter.
Auch Beate Burzisnki macht Bilder. Aber nicht, wie sie sagt, um sich daran zu ergötzen. "Ich mache ein Abschiedsbild." Sie komme im Sommer regelmäßig nach Bremerhaven, um hier Campingurlaub zu machen. Heute lebt sie in Nordrhein-Westfalen, aufgewachsen sei sie in Bremerhaven. Als ihr Mann ihr von dem einsturzgefährdeten Leuchtturm erzählt habe, wollte sie es zunächst nicht glauben. Jetzt will sie noch schnell ein Foto machen. "Vielleicht steht er ja morgen schon nicht mehr."
Der Neubau ist für viele kein echter Trost
Manfred Bornhans macht keine Fotos. "Ich hab gar kein Handy", sagt er. Bornhans lehnt sich an eine Mauer und lässt den Blick schweifen. Lange schaut er rüber zum rund 20 Meter hohen Turm mit der auffallend roten Spitze. Er murmelt etwas in seinen Bart und geht. Womöglich hat auch er gerade dem Turm ein letztes "Tschüss" gesagt.
Zwar versicherte Robert Howe von Bremenports wenige Minuten zuvor noch, der Turm werde originalgetreu wieder aufgebaut. Für Manfred Bornhans ist das aber nur ein kleiner Trost. Für ganz Bremerhaven ist das nur ein kleiner Trost.
- Reporter vor Ort
- Landesamt für Denkmalpflege Bremen