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Berlin: Klima-Protest immer drastischer – Hungerstreikender trinkt nicht mehr


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21-Jähriger im Hungerstreik
"Mein Leben liegt jetzt in der Hand der Kanzlerkandidaten"

InterviewVon Karim El-Helaifi

Aktualisiert am 24.09.2021Lesedauer: 5 Min.
Henning Jeschke im Camp auf der Wiese am Reichstag: "Ich werde gesundheitlich von Tag zu Tag schwächer", erklärt der 21-Jährige gegenüber t-online.Vergrößern des Bildes
Henning Jeschke im Camp auf der Wiese am Reichstag: "Ich werde gesundheitlich von Tag zu Tag schwächer", erklärt der 21-Jährige gegenüber t-online. (Quelle: Karim El-Helaifi)

Über drei Wochen ist der Klimaaktivist Henning Jeschke in Berlin schon im Hungerstreik. Nun stellt er auch das Trinken ein. Mit t-online hat er über seine Beweggründe, die anstehende Wahl und den Klima-Streik gesprochen.

Am 30. August sind in Berlin sieben junge Menschen in den "Hungerstreik der letzten Generation" auf einer Wiese am Reichstag getreten. Sechs der Protestierenden mussten den Hungerstreik vor allem aus gesundheitlichen Gründen beenden. Henning Jeschke ist seit 25 Tagen im Hungerstreik und will weiter machen.

Am Mittwoch um 19 Uhr lief das Ultimatum der Gruppe für ein Gespräch mit den drei Kanzlerkandidierenden von CDU, SPD und Grünen aus. Keiner von ihnen war erschienen. Der 21-Jährige Politikstudent hat angekündigt, danach auch keine Flüssigkeit mehr zu sich zu nehmen, sollte nicht auf das Ultimatum ausreichend eingegangen werden. Im Interview mit t-online hat Henning Jeschke trotz sichtbarer Erschöpfung mit klarer und fester Stimme über seine Aktion gesprochen.

Wie geht es Ihnen heute?

Ich werde gesundheitlich von Tag zu Tag schwächer. Ich verliere Gewicht. Ich habe Schmerzen in den Gliedmaßen, muss viel liegen. Meine Knochen stehen hervor, wenn ich irgendwo sitze, ich kann schlecht schlafen und habe Hautausschlag. Aber mein Geist ist stärker von Tag zu Tag. Ich glaube, dass das gerade richtig und wichtig ist, was wir hier tun.

Wie kam es für Sie zu der Entscheidung, in den Hungerstreik zu gehen?

Ein Hungerstreik ist generell ein sehr verzweifeltes Mittel, was dann angewendet wird, wenn die anderen politischen Wege nicht ausreichen – also über Wahlen, Petitionen, Briefe oder Demonstrationen. Es ist absurd für mich, dass in diesem Wahlkampf nicht über die für alle relevante Realität gesprochen wird – vom Mord an den Menschen im globalen Süden und an den nächsten Generationen, die nach uns kein Essen und Trinken mehr haben.

Wir pumpen Emissionen in die gemeinsame Atmosphäre, der keiner entfliehen kann. Deshalb habe ich mich mit einer Gruppe zusammengesetzt, das hier vorbereitet und wir sind in den Hungerstreik getreten. Denn wenn es zu spät ist, ist es leider für uns alle zu spät.

Um 19 Uhr ist Ihr Ultimatum ausgelaufen. Sie haben angekündigt, dann in den trockenen Hungerstreik zu treten. Wo sind für Sie die Grenzen in Ihrem Engagement?

Es ist total wichtig zu sagen, dass ich wie alle anderen in diesen Hungerstreik getreten bin, weil wir leben wollen und weil wir das Leben schützen wollen. Und, weil unser fundamentalstes Grundrecht auf die Erhaltung unserer Lebensgrundlagen mit Füßen getreten wird. Das kann uns eben nicht erst über Gerichte dann später zugesagt werden.

Wir gehen in diesen Hungerstreik und stellen die Frage nach Leben und Tod für die gesamte Generation und für die gesamte Gesellschaft und legen unsere Gesundheit in die Hände derjenigen, die sich gerade um das Kanzler:innenamt bewerben. Keiner dieser Politiker:innen legt bisher die Maßnahmen vor, die diesen katastrophalen Grundrechteingriff endlich beenden. Ich habe mir die Grenze gesetzt, aufzuhören, wenn auf die Forderungen eingegangen wird.

Was fordern Sie?

Wir fordern ein zweistündiges öffentliches Gespräch mit den Kanzlerkandidat:innen und dass wir die Debatte führen, die der Realität entspricht. Es kann nicht zu viel verlangt sein, die "zigste" Wahlkampfveranstaltung abzusagen, um sich dem Thema zu widmen, das uns alle gerade beschäftigen sollte.

Dabei soll es nicht ein persönliches Gespräch nach der Wahl sein, wie von den Kandidat:innen vorgeschlagen, sondern ein öffentliches zweistündiges Gespräch, wie die essenziellen Fragen der Klimakrise gelöst werden sollen. Es ist symptomatisch, dass das Gespräch jetzt mit einzelnen ausgelagert geführt werden soll, weil in der Öffentlichkeit das Thema mit seiner unangenehmen Seite nicht vorkommen soll. Ich empfinde die bisherige Reaktion der drei Kanzlerkandidat:innen als Respektlosigkeit.

Ihr Gefühl ist also, dass die Dramatik der Situation von der Politik nicht anerkannt wird. Ist es für Sie ein Stück weit nachvollziehbar, dass sich die Politik nicht auf "Erpressung" einlässt?

Das ist leider ein von der Wissenschaft gestütztes Gefühl. Das habe ich mir nicht ausgedacht. Die physikalische Realität "clasht" gerade mit der politischen Realität. Mit Molekülen lässt sich nicht verhandeln. Aber wie die politische Debatte verläuft, das haben wir uns ausgedacht – das können wir verändern. Es geht hier darum, ob wir in unseren Grundrechten weiter verletzt werden oder nicht.

Sie fordern auch einen Bürger:innenrat. Was ist das?

Der Bürger:innenrat ist so etwas wie die deutsche Gesellschaft in winzig. Dieser wird ausgelost, in der Zusammensetzung, wie auch unsere Gesellschaft zusammengesetzt ist: nach Berufen, nach Alter, nach Geschlecht und nach Herkunft. Sagen wir zum Beispiel 150 normale Menschen, keine Politiker:innen.

Diese beschäftigen sich dann durch Vorträge von Expert:innen aus der Wissenschaft mit den für die Klimakrise relevanten Bereichen wie Energie, Wirtschaft aber auch Landwirtschaft und Ernährung. Sowas gab es auch schon zum Klimawandel, aber weil er keine politische Anbindung hatte, war die mediale Bühne sehr klein und dessen Ergebnisse werden jetzt vernachlässigt.

Die Maßnahmen aus diesem Bürger:innenrat müssen also politisches Gewicht haben. Wir wollen den Expert:innenrat als Notfallsitzung der Gesellschaft, die einhergeht mit dem Verständnis, dass es eine Kehrtwende geben muss.

Wie schauen Sie auf das Engagement der jungen Generation. Reichen die Proteste von "Fridays for Future" und der Klimastreik morgen nicht aus?

Die Demonstrationen senden einen starkes Signal, aber es darf an diesem Tag des Protests nicht enden. Ich habe trotzdem die Sorge, dass wir als Gesellschaft viel zu spät erkennen, wie ernst die Lage ist. Wir haben oft in der Geschichte erlebt – und gerade auch 1989 in Deutschland (Anm. d. Red.: Jahr des Mauerfalls) – dass wenn Zustände nicht mehr aushaltbar sind, friedlicher Widerstand notwendig ist. Und ich glaube, es braucht noch viel mehr davon.

Unser Protest hat noch nichts an den globalen Emissionskurven geändert. Wir müssen alle friedlichen Mittel einsetzen, die es gibt und auch mutig darin sein. Wenn ich mal Kinder haben sollte, kann ich denen nicht erklären: Ich wusste damals, was geschieht, aber ich habe mich nach der Demo aufs Sofa gelegt. Sondern ich habe mich mit anderen verbündet und alles getan, was ich kann. Als mündiger Bürger geht das in der aktuellen Situation über eine Wahl hinaus. Dann ist der Weg des Handelns friedlicher ziviler Widerstand.

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Mit welchem Gefühl schauen Sie auf die Wahl am Wochenende?

Erstmal Ratlosigkeit. Es wird ein Spektakel darüber abgehalten, welche Parteien die Wahl gewinnen und in Koalition gehen, aber keine der Parteien präsentiert das notwendige Programm zu Lösung der Klimakatastrophe. Wir müssen beides tun: andere Volksvertreter:innen wählen aber eben auch sehen, was im System falsch läuft.

Der letzte Klimabericht zeigt, dass wir noch drei Jahre haben, in denen die globale Kurswende geschafft werden muss, und dass das mit Schritt-für-Schritt-Politik nicht zu schaffen ist. Wir müssen begreifen, was jedes Grundschulkind verstehen kann, dass unendliches Wachstum auf einem endlichen Planeten nicht möglich ist. Sonst wird die Katastrophe zu weit fortgeschritten sein, ehe wir merken, dass wir Geld nicht essen können.

Diese größere systemische Frage wird im Wahlkampf aber bisher viel zu wenig bis gar nicht besprochen. Egal, was bei der Wahl rauskommt, die bisher vorgelegten Pläne sind nicht ausreichend.

Was sind Ihre weiteren Pläne?

Ich werde zusammen mit Lea Bonasera (Anm. d. Red.: ab Samstag) in den trockenen Hungerstreik treten. Lea ist seit vier Tagen in den Hungerstreik getreten. Im trockenen Hungerstreik wird es mir rapide schlechter gehen. Da ist es von Stunde zu Stunde eine Verschlechterung, nicht mehr von Tag zu Tag. Das heißt es wird noch vor der Wahl die Frage gestellt werden müssen, wie das hier mit mir endet. Mein Leben liegt jetzt in der Hand der Kanzlerkandidat:innen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Verwendete Quellen
  • Interview mit Henning Jeschke
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