Die subjektive Sicht zweier Autoren auf ein Thema. Niemand muss diese Meinungen übernehmen, aber sie können zum Nachdenken anregen.
Diskussion um "männlich gelesene" Schwulenhasser An Lächerlichkeit kaum zu überbieten
In einem Fahndungsaufruf schreibt die Polizei Berlin von "männlich gelesenen Personen". Ist das ein zeitgerechter Sprachgebrauch oder ideologisches Sprachwirrwarr?
Wie sollte ein junges Trio bezeichnet werden, das einen 32-Jährigen homophob beleidigt, verprügelt und ausgeraubt haben soll? Eine Fahndung der Berliner Polizei steht in der Kritik, nachdem sie in einem Zeugenaufruf in der Täterbeschreibung von "männlich gelesen" schrieb.
Diese Bezeichnung wird meist verwendet, um anzuzeigen, dass es einen Unterschied geben kann zwischen äußerlichen Attributen und der Selbstwahrnehmung von Menschen. So kann es sein, dass eine Person von ihrer Umwelt als Mann wahrgenommen, also "gelesen" wird, in Wahrheit aber einem anderen oder gar keinem Geschlecht angehört. Der Einsatz der Bezeichnung erzeugte Wirbel in den sozialen Netzwerken.
Die Polizei Berlin erklärte auf Anfrage von t-online, dass "ein sensibler Sprachgebrauch, der sich auch an den gesellschaftlichen Erwartungen an eine moderne und empathische Polizei orientiert", zur täglichen Arbeit der Mitarbeiter gehöre. Zudem trage eine solche Verwendung zu einer hohen Akzeptanz der polizeilichen Arbeit innerhalb der queeren Community bei.
Aber ist das wirklich so? Führt solch ein Sprachgebrauch tatsächlich dazu, dass es mehr Zeugenaufrufe gibt? Oder wird nicht sogar das Gegenteil bewirkt, weil viele Zeugen durch eine solche Beschreibung verwirrt werden?
Woke-Alarm oder zeitgemäß? Sollte die Berliner Polizei einen solchen sensiblen Sprachgebrauch nutzen, um niemanden auszuschließen?
Ein Aufreger, der mal wieder keiner ist
Grundregel des Kulturkampfes: Laut genug mit Vokabeln wie "Ideologie" oder "Woke-Alarm" um sich werfen, damit sich niemand ernsthaft mit dem Inhalt beschäftigt. So auch im aktuellen Aufreger um eine einzelne Formulierung im Fahndungsaufruf der Berliner Polizei. Beschäftigt man sich länger als drei Minuten mit dem Thema und liest mehr als nur Überschriften, neigt man wahrscheinlich weniger zum Faustschütteln als zum Schulterzucken. Denn einmal mehr wird etwas eigentlich wenig Aufregendes zum Gegenstand eines Kulturkampfes erhoben.
Konservative und rechte Medien von "Bild" bis "Nius" unterstellen bei der Formulierung "männlich gelesen" einfach mal eine "Sprachideologie" und übersehen in ihrem Furor eine Sache: Diese Begrifflichkeit ist einfach eine Präzisierung, auch wenn das Rainer Wendt, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, nicht wahrhaben will und in der "Bild" fordert, man solle sich auf "das Fachliche" beschränken.
Als ob "Mann" als Bezeichnung genauer und fachlich korrekter wäre. Im Gegenteil – Personen, die von Fremden auf den ersten Blick als Mann wahrgenommen werden, pauschal so zu bezeichnen, ist ganz schlicht etwas unscharf. In den allermeisten Fällen wird man damit richtig liegen, aber eben nicht immer. Auch wenn es Kulturkämpfern von rechts nicht passt, aber die gesellschaftliche Realität hat sich gewandelt und von einer strengen Binarität abgewandt.
Sprache ist immer eine Sache gemeinschaftlicher Vereinbarung. Menschen haben bei bestimmten Begriffen eben heute andere Dinge im Kopf als noch vor 100 Jahren. Diesem Fakt Rechnung zu tragen, hat nichts mit einer angeblichen "woken Sprachideologie" zu tun, sondern nur mit der Anerkennung einer sich ändernden Gesellschaft.
Das Wissen um die Tatsache, dass "Mann" keine exakte Beschreibung, sondern eine etwas unscharfe Zuschreibung ist, wird alltäglicher und verbreitet sich. Das passt rechten Kulturkämpfern nicht, denn sie hätten die Realität einfach gerne anders, sodass sie in ihr einfaches und engstirniges Weltbild passt. Und wie nennt man es, wenn sich die Realität einem Weltbild anpassen soll? Genau. Ideologie.
An Lächerlichkeit kaum zu überbieten
Ganz einig war sich die Berliner Polizei bei der Veröffentlichung der Polizeimeldung wohl selbst nicht. Denn laut dem Bericht sei "ein 32-jähriger Mann von drei bislang unbekannten Männern homophob beleidigt und körperlich zu dritt angriffen" worden. Später wird dann aber plötzlich bei der Personenbeschreibung der Täter von "männlich gelesen" geschrieben.
Ein Ziel hat die Berliner Polizei ja erreicht: Sie hat mit ihrem Aufruf viel Aufmerksamkeit erzeugt. Und im Grunde hat sie sogar einen richtigen Riecher gehabt. Denn Sprachideologie hin oder her: Eigentlich waren die Täter keine Männer, sondern drei halbstarke Jugendliche, die sich in sicherer Überzahl an einem Opfer vergriffen haben. Problematisch wird es nur dann, wenn man aus Angst, mit einem normalen Sprachgebrauch irgendwo anecken zu können, mögliche Zeugen verwirrt.
Was sonst sollte der Grund dafür sein? Als ob sich ein Zeuge nicht bei der Polizei melden würde, wenn man anstatt "männlich gelesen" nur "männlich" schreibt. Worin soll da die Irritation liegen? Was genau soll man denn unter "männlich gelesen" erwarten? Diese Sprache zieht keine Zeugen an, sie schreckt sie vielmehr ab.
Denn ob nun Mann oder Junge, ob gelesen oder geschrieben – fest steht: Die drei Täter sind männlich. Und dass man den drei Schwulenhassern jetzt zugestehen möchte, dass sie möglicherweise biologische Männer sind, die sich aber als Frauen identifizieren, ist an Lächerlichkeit kaum zu überbieten.
Auf t-online-Anfrage antwortete die Polizei, dass "die Formulierung 'gelesen' aktuell kein Bestandteil einer Weisungslage ist". Es handele sich vielmehr um "eine Einzelfallentscheidung". Und das möge auch bitte so bleiben. Ein Einzelfall.
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- Polizeimeldung vom 12.02.2024
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