Extremismus U-Ausschuss zu rechtsextremen Anschlägen in Neukölln beginnt
Nach jahrelangen und zähen Ermittlungen befasst sich nun der Untersuchungsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses mit der rechtsextremen Anschlagsserie in Neukölln. "Wir wollen unser Programm schnell und stringent abarbeiten", sagte der Vorsitzender Florian Dörstelmann (SPD) am Donnerstag nach der knapp einstündigen konstituierenden Sitzung des Gremiums. Die Sommerpause des Parlaments solle genutzt werden, um danach zügig in die Beweisaufnahme und Befragung von Zeugen einsteigen zu können.
Bei der ersten Sitzung sei beschlossen worden, zahlreiche Akten - insbesondere von der Senatsjustizverwaltung - anzufordern, berichtete Dörstelmann aus dem geheimen Teil. Am 1. Juli (10.00 Uhr) treffen sich die elf Ausschussmitglieder zur nächsten Sitzung. Nachdem die erste Sitzung verschoben worden war, weil Kandidaten der AfD bei der Wahl der Mitglieder im Landesparlament zunächst durchgefallen waren, macht der Ausschuss nun Tempo.
"Jetzt geht es darum, den Opfern und Betroffenen Antworten zu geben, auf die sie lange gewartet haben", betonte SPD-Politiker Orkan Özdemir. Ziel sei, Ergebnisse noch in der laufenden Legislaturperiode umzusetzen. Um die Parlamentspause effektiv nutzen zu können, wollen sich die Mitglieder im sogenannten Selbstleseverfahren die Unterlagen anschauen. Ob sie dafür Unterlagen etwa in Kopie erhalten oder aber in einem geschützten Raum einsehen können, hänge beispielsweise davon ab, ob die Unterlagen einer Geheimhaltung unterlägen, hieß es.
Der Ausschuss befasst sich mit den zahlreichen Brandstiftungen, Sachbeschädigungen und Bedrohungen vor allem zwischen 2016 und 2019. Dabei geht es um Fehler und Pannen der Polizei und weiterer Behörden. Die Polizei geht von mindestens 70 Taten aus. Darunter sind mehr als 14 Brandstiftungen, bei denen auch Autos in Flammen aufgingen. Opfer waren meist Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus engagierten.
Nach langen und zunächst erfolglosen Ermittlungen wurde schließlich Anklage gegen zwei Verdächtige erhoben. Einer der beiden war zeitweise AfD-Mitglied. Der Prozess gegen sie unter anderen wegen des Vorwurfs der Brandstiftung soll am 29. August vor dem Amtsgericht Tiergarten beginnen. Parallel wird es also im Herbst vor Gericht und im Untersuchungsausschuss um das Thema gehen.
Diese Parallelität stellt eine zusätzliche Herausforderung dar. Das Gerichtsverfahren werde sich über einen gewissen Zeitraum hinziehen, so U-Ausschuss-Vorsitzender Dörstelmann. Es sei keine Prognose möglich, inwiefern der Ausschuss daraus Schlüsse ziehen könne. "Es ist nicht auszuschließen, dass Zeugen im Ausschuss Aussagen machen, die dann auch für das Gericht von Interesse sind", sagte er.
Für Diskussion sorgt, dass der heutige Linken-Abgeordnete Ferat Kocak, dessen Auto im Februar 2018 angezündet wurde, nun selbst stellvertretendes Mitglied im Ausschuss ist. "Ich halte das eher für eine unglückliche Konstellation", sagte Stephan Standfuß, der für die CDU im Ausschuss sitzt. "Er kann sich selbstverständlich zurückhalten, wenn es um seinen Fall geht", betonte Linke-Politiker Niklas Schrader. Ein Anwalt eines der Verdächtigen drohte indes mit einer Klage, weil Mitglieder des Ausschusses laut Gesetz nicht wesentlich mit dem zu untersuchenden Fall befasst sein dürften, wie der RBB berichtete. Der Anwalt forderte den Rückzug von Kocak.
Für den Ausschuss formulierten SPD, Grüne und Linke 60 Fragen. Sie betreffen die Arbeit der Polizei, der Staatsanwaltschaft und des Verfassungsschutzes sowie mögliche Pannen bei den Ermittlungen. Außerdem geht es um mögliche rechtsextreme Netzwerke und Zusammenhänge mit den Morden in Neukölln an dem türkischstämmigen Burak B. und dem Briten Luke H.
Zwei vom Senat eingesetzte Sonderermittler hatten 2021 Fehler von Polizei, Staatsanwaltschaft und Verfassungsschutz festgestellt. Es habe Umstände gegeben, die "kritikwürdig und verbesserungswürdig" seien, hieß es in ihrem Bericht. Die Justiz habe den Seriencharakter der Taten zu spät erkannt, die Staatsanwaltschaft habe Ermittlungsverfahren zu früh eingestellt. Hinweise auf rechtsextreme Netzwerke in der Polizei fanden die Sonderermittler nicht.