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Wiedervereinigung: "War überrascht, dass der Mauerfall so friedlich ablief"


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Mauerfall fern der Heimat
"Ich war völlig überrascht, dass der Mauerfall so friedlich ablief"

Aufgezeichnet von Marc von Lüpke

02.10.2020Lesedauer: 4 Min.
Berliner Mauer im November 1989: Vom Fall der Mauer erfuhr Zeitzeuge Axel Werth durch griechische Hafenarbeiter.Vergrößern des Bildes
Berliner Mauer im November 1989: Vom Fall der Mauer erfuhr Zeitzeuge Axel Werth durch griechische Hafenarbeiter. (Quelle: Röhrbein/ullstein-bild)
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In Berlin fiel die Mauer, doch Axel Werth war am 9. November 1989 fern der Heimat. Als DDR-Seemann war er auf Kreta, doch die Einheit am 3. Oktober 1990 erlebt er in Berlin. Auf t-online erinnert er sich an diese Ereignisse.

"Der 9. November 1989 war für mich ein Tag wie jeder andere. Wir lagen in Heraklion auf Kreta im Hafen und haben Fracht geladen. Wir, das waren ich, damals Zweiter Offizier des DDR-Containerschiffes "Neustadt" und die übrige Besatzung. Spät in der Nacht wurde es unruhig. Ich bekam das als erster mit, weil ich an diesem Abend Wache hatte. Griechische Hafenarbeiter verkündeten mir aufgeregt den Fall der Mauer in Berlin.

Ich konnte es kaum glauben und war völlig überrascht, dass der Mauerfall so plötzlich und friedlich ablief. Genauso wie mein Kapitän und der Rest der mehr als 20 Mann Besatzung an Bord. Sie müssen sich vorstellen: Mitte Oktober 1989 waren wir aus einer DDR abgereist, in der zwar immer mehr Menschen zu den Montagsdemonstrationen strömten. Dass aber die Mauer dann so schnell Geschichte sein würde? Das war fern jeder Vorstellung.

Kapitän Axel Werth, Jahrgang 1959, fährt seit Jahrzehnten zur See. Geboren auf Rügen, machte er in der DDR eine Ausbildung zum Seemann und fuhr dann für die staatliche Deutsche Seereederei (DSR) vor allem im Mittelmeer. 1991 trat er nach der Wiedervereinigung in den Dienst von Hapag-Lloyd. Dort ist er bis heute als Kapitän weltweit auf Schiffen unterwegs und zudem im Hamburger Fleet Support Center des Konzerns tätig.

Und so ging es uns an diesem bedeutenden Tag: Fernsehempfang war schwierig damals an Bord eines Schiffes, Mobiltelefonie Zukunftsmusik. Irgendwie haben wir es dann doch geschafft, auf dem Gerät Bilder aus Berlin zu empfangen. Was für ein großartiges Ereignis! Mit einem Bier haben wir auf den Mauerfall angestoßen, das war es dann aber auch. Denn am nächsten Morgen liefen wir schon wieder aus.

Ich bin in Sassnitz auf Rügen geboren worden. Viel Auswahl hatte man damals als junger Mensch dort nicht bei der Berufswahl. Entweder ins Kreidewerk oder zum Fischfang. Landwirtschaft war auch noch eine Möglichkeit. Aber ich ging lieber zur Handelsschifffahrt. 1976 habe ich dann mit meiner Lehre begonnen. Dafür hatte ich mich bereits in der 8. Klasse bewerben müssen. Denn die Staatssicherheit überprüfte unter anderem die Familie über eine lange Zeit, um zu entscheiden, ob man mich als Matrose der staatseigenen Deutschen Seereederei ins Ausland fahren lassen kann.

Die Ausbildung war wirklich gut, genauso wie auch einige andere Dinge in der DDR. Wie etwa die soziale Absicherung. Uns Seeleuten boten sich zudem auch einige Privilegien. Wir konnten die DDR immerhin verlassen und etwas von der Welt sehen. Manchmal durften wir sogar unsere Ehefrauen mit auf Fahrt nehmen.

Und dann gab es noch etwas: Ich bekam mit meinen Mannschaftskameraden bei unseren Fahrten im Mittelmeer etwa fünf D-Mark pro Tag. Da konnte man sich nach einiger Zeit Sparen schon etwas leisten in einem Hafen dort. Natürlich alles im Geheimen, denn wenn man sein Westgeld außerhalb der DDR ausgab, beging man ja schon ein Devisenvergehen.

Allerdings ließ die DSR nicht alle Seeleute auf westlichen Routen fahren. Wer nicht zu 100 Prozent als unverdächtig galt, konnte etwa nur Richtung Osten los. Diejenigen, die schon einmal unangenehm aufgefallen waren, durften sogar nur in Rostock im Hafen arbeiten. Und das begann bereits, wenn man sich etwa im Laden einmal darüber beschwert hatte, dass keine Kartoffeln da waren. Und eine Sache war uns allen klar: Auf jedem Schiff hatte die Stasi mindestens einen Mann.

Als ich Mitte Oktober 1989 die DDR Richtung Zypern mit einem Flugzeug für meinen zweimonatigen Dienst im Mittelmeer verließ, wusste ich, dass politisch einiges im Gange war. Erich Honecker musste am 18. des Monats zurücktreten. Was allerdings kommen würde, habe ich nicht geahnt. Ich bin auch nicht zu Demonstrationen gegangen, ich muss ehrlich sagen: Ich wollte meinen Job nicht verlieren.

Als ich dann Ende November/Anfang Dezember nach Ost-Berlin zurückkam, habe ich als erstes meine damalige Frau gefragt: Warst Du schon im Westen? Und sie antwortete: Ich habe mich nicht getraut. Verständlich, denn am 9. November 1989 durften die DDR-Bürger zwar in den Westen. Aber ob die Grenzer sie auch wieder zurücklassen würden? Wer weiß…

Den Besuch in West-Berlin haben wir dann quasi als erstes nach meiner Rückkehr nachgeholt. Wir gingen über die Bornholmer Straße: Es war großartig, wir sind in einem griechischen Restaurant eingekehrt. Heute ist so etwas ganz alltäglich, aber damals kannten wir so etwas im Osten ja gar nicht. Das war genial. Für Berlin freute ich mich damals besonders. 1981 bin ich in den Ostteil gezogen, die Stadt hatte eine scharf bewachte Grenze. Als ich dann Ende 1989 nach Hause kam, war die Grenze quasi weg. Und die DDR demokratisierte sich.

Dass unser Staat aber nur noch kurze Zeit existieren würde, habe ich damals ebenso wenig vorausgeahnt wie den Mauerfall. Als Seemann war ich immer wieder außer Landes, so ging es zum Beispiel am 1. Juli 1990 wieder los. Einigen wird dieses Datum noch ein Begriff sein, es war der Tag der Währungsunion. Vor der Abreise konnte ich mit meiner damaligen Frau noch Ostmark in D-Mark umtauschen. Damit sind wir dann nach Kuba gefahren. Es war das erste Mal, dass wir richtig Geld hatten, um dort an Land zu gehen.

Nachdem ich den Mauerfall am 9. November 1989 verpasst hatte, war ich dann wenigstens am 3. Oktober 1990 in Berlin. Ich habe die Feierlichkeiten zur Wiedervereinigung vor dem ehemaligen Staatsratsgebäude miterlebt, das war eine bewegende Sache. Auch wenn es damals wie heute kritische Stimmen gibt: Die Einheit war meiner Meinung nach das Beste, was uns passieren konnte.

Die DDR hatte sich ja selbst abgewirtschaftet, vor allem hatte sie ihre eigenen Ideale verraten. Im Sozialismus darf es eigentlich keine Zweiklassengesellschaft geben. In der DDR war sie allerdings Realität: Wer Westgeld hatte, und da kann ich mich als Seemann nicht ausnehmen, genoss Privilegien, die andere nicht hatten.

Ich bin dann 1990 noch weiter für die DSR gefahren, das war noch bevor die vielen DDR-Betriebe von der Treuhand platt gemacht worden sind. Dann ein Jahr für eine kleinere Hamburger Reederei, bis ich bei meinem heutigen Arbeitgeber Hapag-Lloyd begann.

Ich wohne immer noch in Berlin. Und bin immer wieder froh darüber, dass die Mauer an jenem 9. November 1989 gefallen ist, und Deutschland ein gutes Jahr später wiedervereinigt wurde."

Verwendete Quellen
  • Telefonisches Gespräch mit Axel Werth
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