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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Attentat auf Robert Kennedy "Wir alle waren schockiert"
1968 war Wahlkampf in den USA, Robert Kennedy galt als Favorit der Demokraten. Bis zu seiner Ermordung. Zeitzeuge Stanisław Pruszyński erinnert sich an die dramatischen Momente vor 50 Jahren – und äußert sich auch zu einer Verschwörungstheorie.
Es ist der 5. Juni 1968: In der Küche des Hotels "Ambassador" in Los Angeles sieht Stanisław Pruszyński einen Revolver auf seinen Magen gerichtet. Die Waffe wird von "einem schmächtigen Mann mit Locken" namens Sirhan Sirhan gehalten, der von einem muskulösen Football-Spieler mit Namen Rafer Johnson festgehalten wird, wie Pruszyński später berichtet.
Der Reporter steht unter Schock. Auf dem Boden liegt Robert "Bobby" Kennedy: US-Senator, aussichtsreicher Aspirant auf die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten und Bruder des ermordeten Präsidenten John F. Kennedy. "Seine Augen waren offen, nach oben gerichtet, aber schienen nichts zu sehen", erzählt Pruszyński. Augenblicke zuvor hatte der eingewanderte Palästinenser Sirhan auf Kennedy geschossen und den Politiker schwer verletzt. Am nächsten Tag starb der Hoffnungsträger zahlreicher schwarzer und weißer US-Bürger. Er wurde nur 42 Jahre alt.
"Im wahrsten Sinne des Wortes"
Stanisław Pruszyński lebt heute in Polen, in Warschau betreibt er das "Radio Cafe". Fünfzig Jahre nach dem Attentat auf Robert Kennedy gibt es nicht mehr viele Augenzeugen der Tat. Pruszyński arbeitete im Jahr 1968 für die Zeitung "Montreal Gazette", berichtet er in seinem Café. Und hatte genug von seinem Journalistendasein im beschaulichen Kanada, während es in den USA regelrecht brannte – "im wahrsten Sinne des Wortes", betont Pruszyński. Der Streit um den Vietnamkrieg, der Kampf gegen den Rassenhass und die Ermordung der Bürgerrechtsikone Martin Luther King im April 1968, der für die Rechte der Afroamerikaner gestritten hatte.
Gleichzeitig begann der Vorwahlkampf für das Präsidentenamt bei Demokraten und Republikanern. Der gebürtige Pole Pruszyński beschloss, sich dem Pressetross von Robert Kennedy anzuschließen, der zunehmend zum Hoffnungsbringer der Nation avancierte. "Ich wollte ein lustiges Buch über Kennedy schreiben", erinnert er sich.
Kaum Sicherheitsvorkehrungen
Als der Journalist im Mai 1968 in Indianapolis schließlich auf Kennedys Truppe stieß, gab es kaum Sicherheitsvorkehrungen für den Politiker. Obwohl 1963 der Mord an Kennedys älterem Bruder John das ganze Land erschüttert hatte. Stattdessen hieß Robert Kennedys Pressechef Pruszyński nur "Willkommen an Bord". Und beachtete die Visitenkarte des Polen mit britischem Pass fast gar nicht.
In der Gegenwart holt Pruszyński in seinem Warschauer Café eine braune Mappe hervor. Darin befinden sich einige Erinnerungsstücke: Seinen Kennedy-Pressetross-Ausweis aus dem Jahr 1968 sowie einige Fotos. Eines von Robert Kennedy vor einer begeisterten Menschenmasse. Und im Hintergrund Pruszyński selbst mit seinem Fotoapparat. Doch nicht die Bilder Pruszyńskis, sondern die Aufnahmen von Pruszyńskis Kassettenrekorder aus der Nacht vom 4. auf den 5. Juni 1968 sollten noch eine Rolle spielen. Viel später.
"Aufbruchstimmung" habe in 1968 unter den rund 50 Journalisten geherrscht, die mit Kennedy durchs Land zogen, erinnert sich Pruszyński. Wenn sich Bobbys Reden zu sehr wiederholten, vertrieben sich die Reporter die Zeit mit Bloody Marys. "Alle waren sehr gelöst", so Pruszyński. Nur Robert Kennedy nicht, er "arbeitete sehr hart". Kennedy stand früh auf, ging spät zu Bett. "Hände schütteln, Reden halten", fasst sein Beobachter Pruszyński zusammen. Einmal erlebte er Kennedy in Nebraska zusammen mit dem Astronauten John Glenn. Kennedy habe "todmüde" gewirkt, so der polnische Reporter.
Alles für den Sieg
Pruszyński vermied es damals, den voraussichtlichen Präsidentschaftskandidaten anzusprechen. Er wollte den Politiker vor allem beobachten. Nur dessen Bruder Edward, "Ted" genannt, wollte er einmal für ein Interview gewinnen. Ted beschied ihm, "bloß abzuhauen". Keine Zeit, alles war auf den Sieg bei den Vorwahlen ausgerichtet.
Im Kampf um die Präsidentschaftsnominierung der Demokraten konnte Kennedy vor allem auf die Afroamerikaner zählen. Nach dem Tod Martin Luther Kings hatte Bobby Kennedy eine bewegende Rede auf den Ermordeten gehalten. Und während der noch amtierende Präsident Lyndon B. Johnson in der Regel abstrakt von der Schaffung einer neuen "Gesellschaft" sprach, besuchte Kennedy immer wieder die sozialen Brennpunkte des Landes und sprach mit den Menschen.
Bis zum 4. Juni 1968 im kalifornischen Hotel "Ambassador". "Ich stellte meinen Kassettenrekorder auf den Boden und das Mikrofon auf das Podium", erinnert sich Pruszyński an Kennedys Auftritt. "Bobby"-Rufe schallten dem Kandidaten entgegen, er hatte gerade die Nominierung in Kalifornien gewonnen. "Wir sind ein großes Land, ein eigennütziges Land und ein mitfühlendes Land", rief Kennedy seinen Anhängern zu und versprach, gegen die Spaltung in Amerika anzukämpfen.
"Dann hörte ich Schreie"
Um sich nach der Rede nicht durch die euphorische Masse kämpfen zu müssen, entschied Kennedys Leibwächter William Barry, das Hotel durch die Küche zu verlassen. "Ich nahm den Kassettenrekorder, löste das Mikrofon und folgte Kennedy und der Menge um ihn", sagt Pruszyński. "Dann hörte ich Schreie, Menschen kamen mir entgegen, stießen mich."
Pruszyńskis Kassettenrekorder war die ganze Zeit eingeschaltet und zeichnete die Schüsse auf, die der Reporter selbst gar nicht gehört hatte. Bis zur offiziellen Bekanntgabe von Kennedys Tod harrte Pruszyński später vor dem Krankenhaus aus. "Wir alle waren schockiert, diesen jungen, athletischen, amüsanten und hart arbeitenden Mann zu verlieren", sagt er gut fünfzig Jahre später. Das Land schien den Weg der Gewalt gewählt zu haben, der amerikanische Optimismus war erschüttert.
Sieben Monate später kopierte das FBI Pruszyńskis Aufnahme aus der Todesnacht. Dann hörte der Pole lange nichts mehr davon. Obwohl seine Aufnahme die einzige von der Ermordung Kennedys ist. Und mehrere Zeugen behaupteten, es seien mehr als acht Schüsse gefallen. Was mehr Kugeln sind, als in den Trommelrevolver Sirhans passten.
"Zu 99 Prozent sicher"
Der Toningenieur Philip Van Praag, der mit modernen Methoden die zeitgenössischen Aufnahmen bearbeitete, behauptete 2007, dass mindestens 13 Schüsse auf Kennedy abgefeuert worden seien. Im Verdacht stand der damals anwesende Wachmann Than Eugene Cesar, der sich in der Öffentlichkeit mit rechten Äußerungen hervorgetan hatte.
Pruszyński bekam darum von dem Sender CNN und anderen US-Journalisten Besuch. "Ich hatte das Gefühl, dass CNN mich drängen wollte, ich ginge auch von einem zweiten Schützen aus." Doch der Warschauer mag selbst nicht daran glauben: "Ich bin zu 99 Prozent sicher, dass es nur einer war".
Abgeschlossen ist der Fall Robert Kennedy jedenfalls nicht. Der Sohn des Ermordeten, Robert F. Kennedy junior, forderte gegenüber der "Washington Post" Ende Mai, dass der Fall noch einmal neu aufgerollt werden sollte. Er zweifle an der Täterschaft Sirhans.
- Eigene Recherchen