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Deutsche Frühjahrsoffensive 1918: "Setzten buchstäblich alles auf eine Karte"


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Historiker zur großen Frühjahrsoffensive 1918
"Die Deutschen setzten buchstäblich alles auf eine Karte"

Ein Interview von Marc von Lüpke

20.03.2018Lesedauer: 10 Min.
1918: Mit der Frühjahrsoffensive wollten die Deutschen doch noch den Sieg an der Westfront erringen.Vergrößern des Bildes
1918: Mit der Frühjahrsoffensive wollten die Deutschen doch noch den Sieg an der Westfront erringen. (Quelle: ullstein bild)

Tausende Geschütze leiteten am 21. März 1918 den größten Angriff des Ersten Weltkriegs ein. Mehr als eine Million deutsche Soldaten standen bereit. Historiker Gerhard Hirschfeld erklärt, wie Deutschland den Krieg noch gewinnen wollte.

Herr Hirschfeld, jahrelang war die Westfront im Ersten Weltkrieg größtenteils zum Stellungskrieg erstarrt. Am 21. März 1918 gingen die deutschen Truppen dann zum großen Angriff über. War es das letzte Aufgebot?

Gerhard Hirschfeld: Etwa 1,4 Millionen Soldaten konzentrierte die deutsche Oberste Heeresleitung seit Januar 1918 für ihre sogenannte Frühjahrsoffensive in der Picardie im Norden Frankreichs. Es war die größte Truppenkonzentration im Ersten Weltkrieg überhaupt. Mehr als drei Millionen zivile Arbeiter aus Deutschland, kriegsgefangene Russen und zwangsverpflichtete Belgier wurden zusätzlich für Schanz- und Schachtarbeiten in den Stellungen eingesetzt. Die Deutschen setzten mit diesem Angriff buchstäblich alles auf eine Karte.

Wie geht eine solch gewaltige Streitmacht zum Angriff über?

Wenige Stunden vor dem eigentlichen Angriff am 21. März 1918 begann die deutsche Artillerie mit fast 7.000 Geschützen einen massiven Beschuss der feindlichen Stellungen. Dieser groß angelegte "Feuerschlag" sollte den Gegner in Deckung zwingen. Als dann die Infanterie zum Angriff vorstieß, unterstützte sie die Artillerie mit kleineren "Feuerwalzen", um die Bodentruppen möglichst weit an die gegnerischen Stellungen heranzubringen, ohne dass sie ins feindliche Feuer liefen. Allerdings verlangte dies außerordentliche Präzision und eine Feinabstimmung zwischen den Truppenteilen, die nicht immer gegeben war.

Prof. Dr. Gerhard Hirschfeld ist Experte für die Geschichte des Ersten Weltkriegs. Bis zu seiner Emeritierung lehrte er an der Universität Stuttgart und war zugleich Direktor der Bibliothek für Zeitgeschichte. Sein neuestes Buch "1918. Die Deutschen zwischen Weltkrieg und Revolution" (zusammen mit Gerd Krumeich und Irina Renz) erschien kürzlich.

Bei diesem Angriff kamen auch die sogenannten Sturmtruppen zum Einsatz.

Bei den Sturmtruppen oder Stoßtrupps handelte es sich um speziell ausgebildete Verbände, ausgestattet mit leichten und transportablen Waffen wie Maschinengewehren, Flammenwerfern oder tragbaren Haubitzen. Es waren in der Regel kleinere Einheiten, die in die feindlichen Linien einsickern sollten. Um eine größtmögliche Wirkung zu erzielen, war den Sturmtruppführern dabei ein Höchstmaß an Autorität zugebilligt. Sie konnten quasi auf eigene Faust operieren, ohne mit vorgesetzten Stellen Rücksprache halten zu müssen. Durch diese Taktik sollte der jahrelange Stellungskrieg wieder in einen Bewegungskrieg verwandelt werden. Bereits im Herbst 1916, auf dem Höhepunkt der Schlacht an der Somme, hatte Erich Ludendorff als "Erster Generalquartiermeister" an der Spitze der mit diktatorischen Vollmachten ausgestatteten 3. Obersten Heeresleitung dieses Konzept zum ersten Mal angeordnet. Im Frühjahr 1918 war die Ausbildung dieser Spezialtruppen dann gewissermaßen perfektioniert.

Wie reagierten die gegnerischen Truppen auf diese Art der Kriegsführung?

Die deutschen Armeen galten bei Briten und Franzosen als überaus hierarchisiert. Dass die Deutschen nun ihre Befehlsstruktur derart veränderten, kam für sie überraschend: Leutnants kommandierten mitunter Einheiten, die zuvor von einem Hauptmann befehligt worden waren. Der Leutnant und Schriftsteller Ernst Jünger, der wahrscheinlich bekannteste Stoßtruppführer des Ersten Weltkriegs, war sogar seit Frühjahr 1917 Chef einer Kompanie.

Mithilfe der Sturmtruppen gelang den Deutschen tatsächlich der Durchbruch durch die feindlichen Linien.

Der Erfolg war zunächst überwältigend. Bereits nach wenigen Tagen rückten die deutschen Divisionen etwa 70 Kilometer vor, bis in die Gegend von Amiens. In der vier Monate dauernden Somme-Schlacht 1916 hatten die Alliierten es grade einmal geschafft, zehn Kilometer weit vorzustoßen. Zusätzlich gingen 90.000 gegnerische Soldaten in Gefangenschaft, darunter 75.000 Briten. Außerdem eroberten die Deutschen rund 1.300 Geschütze. Franzosen und Briten waren völlig schockiert. Der britische Oberkommandierende Marshall Douglas Haig dachte damals sogar darüber nach, den Deutschen einen Waffenstillstand anzubieten.

Welche Wirkung hatte dieser Erfolg auf die deutschen Truppen?

Der Jubel über die enormen Geländegewinne war natürlich groß. Allerdings muss man wissen, dass die Verpflegung der deutschen Truppen zu diesem Zeitpunkt bereits äußerst dürftig war. Schätzungen zufolge erhielt ein deutscher Soldat damals etwa 2.100 Kalorien am Tag. Auf der gegnerischen Seite sah es ganz anders aus: Selbst in der ansonsten miserabel ausgestatteten italienischen Armee hatten die Soldaten circa. 4.000 Kalorien täglich. Als die deutschen Soldaten nun in Nordfrankreich die gegnerischen Versorgungsdepots eroberten, verfielen sie ins Staunen. Die Lager waren mit enormen Mengen an Lebensmitteln gefüllt: Fleischkonserven, Marmeladen, Schokolade. Dazu jede Menge Alkohol, sodass es für die vorstürmenden Truppen ein wahres Fest war. "Beim Engländer einkaufen" wurde zum Volkssport. Berichten zufolge weigerten sich manche Einheiten, weiter zu marschieren. Sie taten sich erst einmal gütlich. Und bei nicht wenigen Soldaten kamen Zweifel auf, wie man die hervorragend verproviantierten Feinde trotz der anfänglichen Erfolge würde besiegen können.

Und wie wurde dieser Durchbruch in Deutschland aufgenommen?

An der Heimatfront wurde der Vorstoß mit Emotionen aufgenommen, die an den Beginn des Krieges mit der irrigen Vorahnung eines baldigen Sieges erinnern. In Heidelberg notierte der Mittelalterhistoriker Karl Hampe am 25. März 1918 in sein Tagebuch: "Der überwältigende Siegeslauf hält an. Die Stimmung der Augusttage 1914 kehrt wieder." Als die deutschen Truppen dann allerdings unter zunehmenden Druck gerieten, endete diese Euphorie ebenso rasch wieder.

Bleiben wir zunächst beim Beginn des Angriffs. Was war das Ziel?

Die Planungen für die Frühjahrsoffensive, die "Operation Michael", begannen bereits im Herbst 1917. Es folgten lange Diskussionen, wo und mit welchen Mitteln man die Alliierten angreifen sollte. Für die Deutschen schien die Situation günstig. Nach der Oktoberrevolution 1917 schied Russland zukünftig als ein Gegner aus. Der neue Kriegsgegner USA schickte anfänglich kleinere Truppenkontingente, von monatlich circa 47.000 Mann im Januar bis 245.000 im Mai. Mit den im Osten frei gewordenen Divisionen hatten die Deutschen also ein Zeitfenster von etwa drei bis vier Monaten an der Westfront, bevor sie ihre zahlenmäßige Überlegenheit im Westen einbüßten.

Wie wollten sie diesen Zeitraum nutzen?

Das Ziel bestand darin, einen so starken Angriff auszuführen, dass die Gegner einem Friedensschluss zustimmen mussten. Es sollte gleichsam "der letzte Hieb" sein. Mit diesem Slogan bewarb man übrigens die viel gezeichnete 8. Kriegsanleihe im März 1918. In der Praxis sollte der deutsche Angriffskeil die britische Armee im Norden von der französischen Armee im Süden trennen. Die Briten sollten ferner von ihren Häfen in Belgien und Nordfrankreich abgeschnürt werden.

Das ausgewählte Gebiet an der Somme war äußerst schlecht geeignet für eine Offensive.

Das ist richtig. Bis zum Frühjahr 1917 hatten die Deutschen Teile der entsprechenden Region selbst besetzt gehalten. Bei ihrem Rückzug in die "Siegfried-Stellung" verwandelten sie im "Unternehmen Alberich" die besetzte Picardie praktisch in eine Wüstenei: Straßen, Gleise, Brücken und Häuser, sie zerstörten alles systematisch, fällten selbst die Obstbäume. Eine Versorgung der angreifenden Truppe aus dem Gebiet selbst war also sehr schwierig, alles musste mühselig von weit her gebracht werden. Dazu waren die deutschen Transportmittel nur eingeschränkt mobil. Die Lastwagen fuhren auf Eisenreifen, weil infolge der britischen Seeblockade kein Kautschuk mehr eingeführt werden konnte. Und so versanken sie schnell im Schlamm. Ludendorff hatte die Gegend aber trotzdem ausgewählt, weil in dieser Region die nördlich stehenden Briten auf die sich weiter südlich befindlichen Franzosen trafen.

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Rechneten Briten und Franzosen nicht mit einem Angriff?

Doch, sie rechneten schon damit, aber sie wussten nicht wo. Die Briten erwarteten eher eine Offensive in Flandern, die Franzosen hielten eine weitere Schlacht im Raum Verdun für möglich. Dass Ludendorff seine Divisionen dann an der Somme an der Nahtstelle zwischen den beiden gegnerischen Armeen angreifen ließ, war eine große Überraschung.

Gerade angesichts des schwierigen Geländes war der deutsche Vorstoß mit 70 Kilometern vorwärts doch ein Erfolg.

Und gerade das war in gewisser Weise nachteilig. Die schnell vorstoßenden und deshalb auch rasch erschöpften Sturmtruppen konnten nur unzureichend durch frische Truppen ersetzt werden, vor allem nicht durch kampfkräftige Einheiten, die den Vorstoß entsprechend hätten weiterführen können. Hinzu kam eine taktische Veränderung. Ludendorff hatte seinen Sturmtruppführern eine Blankovollmacht erteilt, mit der sie den Angriff so weit vorantreiben konnten, wie sie es für richtig hielten. Statt also an einem zuvor bestimmten Punkt innezuhalten, um die Front anschließend zu verbreitern, isolierten sich die Einheiten zusehends. Außerdem konnten sie nur sehr schlecht verpflegt werden. All das führte dazu, dass die Truppen ihre Positionen nicht hinreichend sichern konnten, was aber dringend notwendig gewesen wäre. Das war dann letztlich auch der Grund, warum der Angriff bereits nach etwa zehn Tagen erlahmte.

Also hat letztendlich Ludendorff das Scheitern zu verantworten?

Die deutsche Frühjahrsoffensive scheiterte letzten Endes an dem Missverhältnis von Strategie und Flexibilität. Es gab eine aufschlussreiche Unterredung zwischen Ludendorff und dem bayerischen Kronprinzen Rupprecht, dem Befehlshaber der gleichnamigen Heeresgruppe. Rupprecht fragte Ludendorff nach dem Ziel der weiteren Operationen. Ludendorff entgegnete nur: "Das Wort 'Operation' verbitte ich mir. Wir hauen ein Loch hinein. Das weitere findet sich. So haben wir es in Russland auch gemacht." Hier zeigt sich die ganze Arroganz und Borniertheit, mit der die 3. Oberste Heeresleitung operierte. Die Offensive war in ihrem Kern ein brutaler Hau-drauf-Aktionismus.

Zu diesem Zeitpunkt grassierte bereits die Spanische Grippe unter den Soldaten.

Auch das war ein nicht unwesentlicher Faktor, von dem allerdings alle Armeen betroffen waren. Laut der offiziellen deutschen Heeresstatistik erkrankten von August 1917 bis August 1918 etwa 700.000 Soldaten an dieser Pandemie. Die Zahl an einsatzfähigen Soldaten sank zwischen März und Juli 1918 von 5,1 Millionen Mann auf 4,2 Millionen.

Zahlenmäßig waren Briten und Franzosen den Deutschen unterlegen, technisch hatten sie allerdings einen Vorsprung.

Im Grunde hatten die Deutschen die Entwicklung der Panzerwaffe verschlafen. Es gab auf deutscher Seite lediglich etwa 20 Prototypen vom Modell A7V. Ein vorsintflutlicher Panzer, überhaupt kein Vergleich zu den beweglichen kleinen Renault-Panzern der Franzosen, die davon binnen kürzester Zeit 2.000 Stück produzierten. Die Briten hatten ihre Mark-Modelle, von denen etwa der "Tadpole" wegen seiner amphibischen Fähigkeit sogar für das umkämpfte tiefe Gelände geeignet war. Zudem hatten Briten und Franzosen schnell die Lufthoheit.

Wann endete die Offensive vom 21. März 1918 offiziell?

Nach etwa zwei Wochen. Die Oberste Heeresleitung stellte sie am 5. April 1918 offiziell ein. Auf deutscher Seite betrugen die Verluste, also Tote, Verwundete, Gefangene und Vermisste, etwa 230.000 Mann, auf der gegnerischen Seite waren es um die 212.000. Damit bestätigte sich einmal mehr der Grundsatz, dass der Angreifer höhere Verluste zu verzeichnen hat als der Verteidiger.

Was passierte dann?

Die Front verzettelte sich, die Deutschen unternahmen relativ planlose Vorstöße in unterschiedliche westliche Richtungen. Diese Angriffe bekamen fantastische Bezeichnungen wie "Blücher-York", "Friedenssturm" oder "Marneschutz-Reims". Im Juni 1918 stießen deutsche Einheiten erneut bis an den Fluss Marne vor, einige sogar darüber hinaus. Von dort sind es nur noch rund 80 Kilometer bis Paris. Der Angriff war allerdings eher eine Verzweiflungstat, auch wenn in Paris, wie schon im September 1914, Panik ausbrach. Die Front wurde insgesamt nicht verbreitert, sondern dies waren erneut quasi Pfeilspitzen ohne größere Wirkung.

Stattdessen beschossen die Deutschen die französische Hauptstadt aus großer Entfernung mit dem gewaltigen "Paris-Geschütz".

Es war ein vollkommen blindwütiger Beschuss, auch aus einem Gefühl der Ohnmacht, weil der eigentliche Angriff steckengeblieben war. Das "Paris-Geschütz" konnte Ziele in rund 120 Kilometer Entfernung beschießen, eine hohe Treffsicherheit war allerdings nicht gegeben. Ausgerechnet am Karfreitag 1918 trafen die Deutschen die Pfarrkirche Saint-Gervais-Saint-Protais, ein wahres Kleinod. Es gab mehr als 80 tote Zivilisten. Nicht nur aus Sicht der Franzosen hatten sich die Deutschen wieder einmal als Barbaren erwiesen.

Der ersehnte "letzte Hieb" war für die Deutschen also ausgeblieben. Wie wirkte sich das auf die Soldaten aus?

Es trat eine starke Ernüchterung ein. Die Disziplin erlahmte. In ausweglosen Situationen entschieden sich die Soldaten oft nicht für den geordneten Rückzug, sondern sie begaben sich freiwillig in Gefangenschaft. Nach der Schlacht von Amiens-Montdidier im August 1918 gingen derart viele deutsche Soldaten in Gefangenschaft, dass Briten und Franzosen Probleme mit ihrer Unterbringung und Versorgung bekamen.

Es gab auch das Phänomen der "abwesenden" Soldaten.

Richtig. Schätzungen zufolge betraf dies im Spätsommer 1918 etwa 700.000 bis zu einer Million Soldaten. Diese Männer galten nicht als desertiert, sondern sie wurden von ihren Vorgesetzten schlicht als "abwesend" geführt. Die Soldaten verschwanden zwischen Front und Etappe, auf den Wegen zu den Hospitälern oder in der Heimat. Es gab Regimenter, die faktisch nur noch aus ein paar Dutzend Männern bestanden. Der verstorbene Freiburger Historiker Wilhelm Deist nannte dies einen "verdeckten Militärstreik".

Damit war der Krieg faktisch nicht mehr zu gewinnen. Warum gestand das niemand ein?

Die Oberste Heeresleitung war lange nicht bereit, die Realität zu erkennen und die entsprechenden Schlüsse zu ziehen. Nach außen hin wirkte alles intakt: Der Kaiser ernannte fleißig neue Kommandeure, die Armee als Institution schien stabil. Selbst Briten und Franzosen rechneten erst für 1919 oder sogar 1920 mit einer deutschen Niederlage. Die Propaganda versorgte die Bevölkerung bis in den Oktober 1918 hinein mit Berichten von scheinbaren Erfolgen. Dies und die Tatsache, dass der Krieg bis auf die Fliegerangriffe sowie die russische Invasion 1914 in Ostpreußen niemals auf deutschem Boden geführt worden war, machte es für viele Deutsche schwer verständlich, warum Deutschland im Oktober 1918 die Alliierten um einen Waffenstillstand bat.

Die Verantwortung für die Niederlage wiesen Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg und der Erste Generalquartiermeister Ludendorff dagegen entschieden zurück.

Ludendorff sagte damals wortwörtlich, dass diejenigen nun "die Suppe essen (sollen), die sie uns eingebrockt haben." Damit warf er Politikern, vor allem Sozialdemokraten und Liberalen, vor, für die Niederlage verantwortlich zu sein. Obwohl er persönlich und der "Ersatzkaiser" Hindenburg die Sache vergeigt hatten, und zwar sowohl militärisch wie politisch. Denn die 3. Oberste Heeresleitung übte seit 1916 eine derartige Macht aus, dass der berühmte Soziologe Max Weber damals von einer "politischen Militärdiktatur" sprach.

Die Folge war die von der Obersten Heeresleitung mit Erfolg propagierte "Dolchstoßlegende": Sozialdemokratische und andere demokratische Politiker wären dem "im Felde unbesiegten" Heer in den Rücken gefallen.

Es gab tatsächlich diese irrsinnige Überzeugung, dass das deutsche Heer bis zum Schluss eigentlich unbesiegt gewesen sei. Die Dolchstoßlüge wurde von rechts immer weiter gesponnen: Neben den Politikern beschuldigte man generell die Heimat und besonders die Frauen dort, das Heer nicht ausreichend unterstützt zu haben. Darüber hinaus wurden die Juden zu einem erklärten Feindbild. Dass viele Deutsche die Niederlage 1918 weder realisierten noch akzeptierten, sollte noch Jahrzehnte später Folgen haben. 1943 stellten der britische Premierminister Winston Churchill und US-Präsident Franklin D. Roosevelt auf der Konferenz von Casablanca die Forderung nach der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands auf. Am Ende dieses Zweiten Weltkriegs sollten die Deutschen endlich begreifen, dass sie wirklich besiegt waren. Und dies konnte nur geschehen, wenn selbst im allerletzten Dorf ein alliierter Soldat stand und ihnen so die Niederlage deutlich vor Augen führte.

Zum Weiterlesen:

  • Gerhard Hirschfeld, Gerd Krumeich, Irina Renz (Hrsg.): "1918. Die Deutschen zwischen Weltkrieg und Revolution", Berlin 2018
  • Gerhard Hirschfeld, Gerd Krumeich, Irina Renz (Hrsg.): "Die Deutschen an der Somme 1914–1918. Krieg, Besatzung und verbrannte Erde", 5. Auflage, Essen 2016
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