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Vulkan Merapi: Geologen warnen vor Mega-Eruption


Unglücke
Geologen warnen vor Mega-Ausbruch des Merapi

spiegel-online, Von Axel Bojanowski, Spiegel Online

Aktualisiert am 07.11.2010Lesedauer: 5 Min.
Vulkane: Spektakulär - der Merapi spukt Lava. Doch der Vulkan kann noch viel heftiger, warnen ExpertenVergrößern des BildesSpektakulär - der Merapi spukt Lava. Doch der Vulkan kann noch viel heftiger, warnen Experten (Quelle: dpa)

800 Grad heiße Schwaden, binnen Sekunden verbrannte Menschen - die lautlosen, rennwagenschnellen Aschewolken des indonesischen Vulkans Merapi sind tödlich. Der größte Ausbruch könnte noch bevorstehen: Unter dem Berg schlummert offenbar ein riesiges Magma-Reservoir.

Die Ausbrüche des Merapi werden heftiger - und der große Knall steht möglicherweise noch bevor. Seit Tagen spuckt der indonesische Vulkan 800 Grad heiße Aschewolken. An diesem Freitag hat es den bisher heftigsten Ausbruch gegeben: 20 Kilometer weit rasten die Ströme aus Wasserdampf und Vulkanstaub gespenstisch leise bergabwärts. Die sogenannten pyroklastischen Ströme gleiten auf einem Luftkissen mit der Geschwindigkeit eines Rennwagens nahezu lautlos zu Tal - und sind tödlich: Nach wenigen Atemzügen festigt sich die Asche in der Lunge zu Zement, so dass Menschen ersticken. Die Leichen verkohlen, für Untersuchungen müssen die Körper mit Hammer und Meißel geöffnet werden.

Nachts jagen die Ascheströme meist unentdeckt abwärts, nur ein rötliches Glühen verrät manche Wolken - Schlafende bekommen von der Gefahr nichts mit. Einzig eine Warnung vor dem Ausbruch ermöglicht Menschen die Flucht vor den Todeswolken. Deshalb haben indonesische Behörden die Sperrzonen um den Vulkan immer mehr erweitert. Nun sollen alle Anwohner im Umkreis von 20 Kilometern in Flüchtlingslager gehen. Doch viele weigern sich, ihre Häuser zu verlassen.

"Ich sah Menschen rennen!

Schon 122 Menschen sind in den pyroklastischen Strömen ums Leben gekommen, die meisten von ihnen an diesem Freitag. "Die Hitze umgab uns, und überall war weißer Rauch zu sehen", sagte der 47-jährige Niti Raharjo, der mit seinem 19-jährigen Sohn vor der Gaswolke floh. "Ich sah Menschen rennen, im Dunkeln schreien, Frauen so verängstigt, dass sie ohnmächtig wurden."

Mehr als 150 Verletzte, die meisten von ihnen mit Verbrennungen und einige mit Atemproblemen, Knochenbrüchen und Schnittverletzungen, warteten darauf, in Krankenhäusern behandelt zu werden. In der Leichenhalle in einer kleinen Klinik im Ort Sardjito stapelten sich die Leichen. "Wir sind hier total überfordert!", sagte ein Sprecher des Krankenhauses.

Wenigstens die Großstadt Yogyakarta, in deren Umkreis drei Millionen Menschen leben, schien sicher vor dem Vulkan - glaubten ihre Bewohner: Ein Geist sorge dafür, dass der Merapi niemals nach Süden ausbreche, wo Yogyakarta liegt. Einmal im Jahr erneuern die Anwohner ihren Pakt mit dem Geist, indem sie zur höchsten Hütte auf der Südflanke des Vulkans pilgern. Die Zeremonie schien Wirkung zu zeigen: Zumindest in den vergangenen Jahrzehnten spuckte der Merapi seine Aschewolken zuverlässig nach Osten.

Einer der gefährlichsten der Welt

Doch Geologen wissen, dass der Vulkan auch anders kann: Mitten in Yogyakarta haben sie Ablagerungen früherer Ausbrüche gefunden. "Der Merapi zählt zu den gefährlichsten Vulkanen der Welt", sagt der Geoforscher Volker Steinbach von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR).

Nun hat der Merapi sein Verhalten offenbar geändert. Inzwischen sind die ersten pyroklastischen Ströme die Südflanke des fast 3000 Meter hohen Berges hinuntergerast. Der Sultanspalast von Yogyakarta liegt nur 30 Kilometer vom Vulkangipfel entfernt. Der Flughafen der Stadt wurde bereits gesperrt, weil Wind die Asche hinüberträgt. Die Eruption an diesem Freitag sei die schlimmste der vergangenen Jahrzehnte, sagte der Chefgeologe des Energieministeriums, Raden Sukhyiar, der "Jakarta Post". Die größten bekannten Eruptionen der vergangenen Jahrhunderte ereigneten sich 1006, 1369, 1786, 1822, 1872 - als zahlreiche Dörfer zerstört wurden - und 1930, als 1300 Menschen ums Leben kamen.

"Riesiger schwammartigen Körper"

Eine Entdeckung, die vor vier Jahren unter dem Berg gemacht wurde, verstärkt die Sorge der Forscher: Dort brodelt offenbar ein riesiges Magmareservoir. Erbebenwellen, die Seismologen im Untergrund gemessen hatten, verlangsamen sich unter Java erheblich. Das Objekt im Boden sei "beispiellos", sagt Birger Lühr, Vulkanforscher am Geoforschungszentrum Potsdam. Dort liege ein "riesiger schwammartiger Körper, eine Art Matsch". Vermutlich handele es sich um Magma, berichtet Lühr. Eine grobe Schätzung zeige, dass das Reservoir dreimal so viel Magma enthalte, wie bei der Eruption des ebenfalls indonesischen Vulkans Tambora 1815 ausgespuckt wurde - dem größten Ausbruch der vergangenen 10.000 Jahre, der weltweit das Klima auf Jahre hinaus abkühlen ließ.

"Was der Körper letztendlich zu bedeuten hat, wissen wir aber nicht", sagt Lühr. Gleichwohl macht unter Wissenschaftlern das Wort von einer "Mega-Eruption" die Runde. Öffentlich aussprechen möchten sie den Begriff aber nicht, um nicht als Katastrophenprediger verhöhnt zu werden. "Wir können nur spekulieren, was der Vulkan machen wird", sagt Birger Lühr. Der Merapi sei kaum berechenbar.

Knall Tausende Kilometer entfernt zu hören

Jederzeit drohe aber eine Mega-Eruption wie am benachbarten Krakatau im Jahr 1883, als der komplette Vulkankegel weggesprengt wurde - es war der zweitstärkste Vulkanausbruch der Neuzeit. Der Knall des Krakatau soll noch Tausende Kilometer entfernt zu hören gewesen sein. Der Vulkan spuckte zwanzigmal so viel Asche wie der Mount Saint Helens in den USA 1980.

Ähnliches sei auch beim Merapi möglich, sagt Lühr: "Theoretisch kann der ganze Berg wie der Krakatau 1883 explodieren". Hunderttausende von Menschen wären in Gefahr, denn der Kollaps des Berges könnte das große Magmareservoir unter dem Vulkan in Bewegung versetzen: Von der Gesteinsauflast befreit, könnte es herausplatzen - der Ausbruch wäre womöglich der opferreichste der Menschheitsgeschichte. Dass sich der heutige Vulkankegel in der Ruine eines früheren Vulkans erhebt, zeigt, dass sich am Merapi eine solche Eruption - ein sogenannter Superparoxysmus - schon mal ereignet hat.

Vulkanologen alarmiert

Derzeit rechne er aber nicht mit einer solch großen Eruption, sagt Lühr. Der Merapi scheine momentan einigermaßen verlässlich zu sein: Seit den siebziger Jahren quillt regelmäßig Lava aus dem Merapi. Sie erkaltet schließlich und verstopft den Schlot. Aber schon nach wenigen Jahren drückt flüssiges Magma den Pfropfen, den sogenannten Dom, aus dem Berg - der nächste Ausbruch setzt ein. Der Merapi sei derzeit "ein offenes System", sagt Lühr - das mindere seine Explosivität, weil sich weniger Druck aufbaue. Eine Verstopfung des Schlotes wäre allerdings gefährlich. Deshalb habe ein "Aktivitätsabfall" des Merapi vor ein paar Tagen die Vulkanologen alarmiert, berichtet Lühr.

Wenig beruhigend jedoch erscheint ein Vergleich mit dem Krakatau: Auch dem großen Ausbruch des Krakatau 1883 waren monatelange Eruptionen vorausgegangen, wie sie jetzt am Merapi stattfinden. Forscher erwarten, dass weitere Signale eine Mega-Eruption ankündigen würden: Die Flanken würden sich vermutlich ausbeulen, Erdbeben den Berg erschüttern, vermehrt Gase und Dämpfe aufsteigen.

Ob solche Anzeichen jedoch tatsächlich registriert würden, erscheint unklar. Vulkanologen bemängeln, dass die geförderte Aschemenge des Merapi derzeit nicht sorgfältig genug geschätzt würde. Bei entsprechenden Warnsignalen, sagt Lühr, müsste die Stadt Yogyakarta mit ihren mehr als eine halbe Millionen Einwohnern großteils geräumt werden.

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