Tag zwei nach dem großen Hochwasser "Wir sind einfach nur dankbar, dass wir noch am Leben sind"
Nach dem Hochwasser kommt das große Aufräumen. Bei vielen Menschen sitzt der Schock tief.
Dass Werner Diggelmann am zweiten Tag nach dem großen Hochwasser überhaupt noch das Chaos rund um sein Haus aufräumen kann, grenzt an ein Wunder. Der 82-Jährige führt ins verschlammte Erdgeschoss seines Hauses in der Gemeinde Rudersberg, knapp 40 Kilometer nordöstlich von Stuttgart. Er öffnet eine Tür und zeigt in ein mehrere Meter tiefes Loch. Von seinem Arbeitszimmer ist nichts mehr übrig. Am Abend des Unwetters sei hier die Decke zum komplett überfluteten Keller eingebrochen – und habe neben der Einrichtung auch ihn selbst mit in die Fluten gerissen.
"Mich hat es voll erwischt", sagt er zwei Tage nach dem Hochwasserabend. Plötzlich sei im Haus ein reißender Wasserstrom gewesen, der ihn in den Keller hinuntergerissen habe. Mit Hilfe seiner Frau konnte er sich wieder aus den Wassermassen retten.
"Wir sind einfach nur dankbar, dass wir noch am Leben sind", sagt Werner Diggelmann. Er hat von den Todesfällen in der Nachbargemeinde gehört. Im knapp zehn Kilometer entfernten Miedelsbach, einem Stadtteil von Schorndorf, ertranken ein 58-Jähriger und seine 84 Jahre alte Mutter in ihrem Keller, wohl als sie versuchten, das eindringende Wasser aus dem Keller zu pumpen.
Wasser bis unter die Wohnzimmerdecke
"Dagegen sind wir mit einem blauen Auge davongekommen", sagt Diggelmann. Der Schaden an seinem Haus im kleinen Stadtteil Klaffenbach ist dennoch enorm. In wenigen Minuten schwoll der kleine Bach Wieslauf neben dem Haus auf mehrere Meter Höhe an. Im Erdgeschoss stand das Wasser bis 20 Zentimeter unter der Decke. Alles, was in den Räumen war, ist entweder verschlammt und kaputt oder gleich ganz weggespült worden. Freunde und Bekannte tragen im Minutentakt Schutt und kaputte Möbel aus der Haustür, Einsatzkräfte des Technischen Hilfswerks verladen alles mit einem großen Bagger auf einen Lkw.
Strom gibt es seit zwei Tagen nicht, der Stromkasten stand ebenfalls unter Wasser. Bevor nicht wieder alles trocken ist, wäre es zu gefährlich, den Strom wieder anzuschalten, sagt Werner Diggelmann. Seine Frau holt mit einem Lappen den braunen Schlamm unter den Sicherungen heraus. Immerhin: Das Wasser und auch die Toiletten gehen noch. Versorgt wurden sie mit Hilfspaketen des Roten Kreuzes, zwischendurch tranken sie auch mal kalten Kaffee.
"Da werden wir auch deutliche Unterstützung brauchen"
Auch im Stadtkern von Rudersberg laufen die Aufräumarbeiten unter Hochdruck. Aus einer Arztpraxis an der Hauptstraße wird noch Wasser gepumpt. Auf dem Gehweg stehen verschlammte und kaputte Geräte. Nebenan konnten sie in der Shishabar wenigstens ihre Wasserpfeifen und ihre Getränke retten. Nur die Elektrogeräte gingen kaputt. Vor dem Schreibwarenladen türmen sich meterhoch durchweichte Bücher und Schulhefte.
Bürgermeister Raimon Ahrens rechnet in Rudersberg mit Schäden in "sehr, sehr deutlicher Millionenhöhe". "Da werden wir auch viel Unterstützung von Land und Bund brauchen", sagt er. Nachdem es am Montag vor allem um die Erfassung der großen Schäden ging, arbeiteten die Einsatzkräfte nun alles nach und nach ab. "Heute geht es darum, möglichst viele Keller auszupumpen und möglichst viele Schäden so zu beheben, dass wieder ein Durchkommen ist."
Das sei anstrengend, die Hilfsbereitschaft aber groß. Er selbst habe in der Nacht zumindest ein paar Stunden Schlaf gefunden. "Das Adrenalin lässt einen noch durchhalten. Aber die eigenen Kräfte sind dann doch irgendwann am Schwinden."
"Jetzt hat man mal die Gelegenheit, etwas auszumisten"
Auch die Helfer des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) sind seit Sonntagabend im Dauereinsatz. "Nach 36 Stunden auf den Beinen ringt der Körper nach Ruhe und Schlaf", sagt Sven Knödler, Kreisgeschäftsführer des DRK im Rems-Murr-Kreis. Man müsse deswegen auch dafür sorgen, dass die Einsatzkräfte regelmäßig ausgelöst würden und sich ausruhen könnten.
Mehr als 150 DRK-Mitarbeitende halfen erst bei der Rettung von Menschen und kümmern sich jetzt um die Versorgung von Betroffenen und Einsatzkräften. "Wir sind nun dabei, die Einsatzkräfte und Bürgerinnen und Bürger mit Verpflegung zu unterstützen – und auch psychisch zu betreuen. Viele Menschen sind massiv betroffen", sagt Knödler. Man richte sich darauf ein, dass die Verpflegungshilfe noch mehrere Tage gebraucht werde. "Es wird noch einige Tage dauern, bis die Infrastruktur wieder so hergestellt ist, bis die Leute sich selber versorgen können."
Zurück zu Werner Diggelmann und dem vielen Schutt vor seinem Haus. Während die Helfer zwei kaputte Waschmaschinen aus der Haustür wuchten, meint er: "Man muss dem ganzen auch etwas Positives abgewinnen: Jetzt hat man mal die Gelegenheit, etwas auszumisten." Humor helfe ihm, durch die schwere Zeit zu kommen. Dann geht er wieder los, es gibt noch viel aufzuräumen.
- Nachrichtenagentur dpa