Freiheit statt Einschränkungen Coronavirus in den USA: Wo das normale Leben weitergeht

Die USA sind von der Corona-Pandemie eigentlich besonders schwer betroffen. Mehrere Bundesstaaten haben dennoch kaum Einschränkungen verhängt. Woher kommt das Gefühl der Sicherheit?
Ausgangssperre? Nicht in Sioux Falls. In der Stadt im US-Bundesstaat South Dakota machen die Geschäfte morgens auf wie eh und je, Friseure schneiden ihren Kunden die Haare, Blumenhändler binden Sträuße zusammen und in Fitnessclubs herrscht reges Treiben. Eine Normalität, wie Präsident Donald Trump sie gerne bald im ganzen Land wieder hätte. Doch auch in dem Bundesstaat im Mittleren Westen sind viele beunruhigt über die wachsende Zahl von Coronavirus-Fällen.
Vorerst aber bleibt South Dakota einer von nur fünf US-Bundesstaaten, in denen die Gouverneure keine Ausgangsbeschränkungen verhängt haben. "South Dakota ist nicht New York", sagt die konservative Gouverneurin Kristi Noem. Tatsächlich ist der für die riesigen Präsidenten-Porträts am Mount Rushmore bekannte Bundesstaat dünn besiedelt, im Schnitt leben auf einem Quadratkilometer nur vier Menschen. Tief im Landesinneren, umgeben von endlosen Getreidefeldern, Viehweiden und Naturreservaten, fühlen sich viele Bewohner sicher.
"Man muss aufpassen, wohin man geht, und mit der Hygiene", sagt etwa der 17-jährige Schüler Lane Stone, der in einem Park der 180.000-Einwohner-Stadt Sioux Falls gemeinsam mit zwei Freunden Sport treibt. "Aber das ist kein so großes Problem hier. Wir sind stärker verteilt, viel mehr als in großen Städten."
Pfarrer vertraut auf "weise Entscheidungen"
Entspannt zeigt sich auch der Pfarrer Spencer Aalsburg, der auf einer Parkbank am Ufer des Flusses Big Sioux River mit einem Gedichtband in der Hand die Frühlingssonne genießt. Er vertraut auf "weise Entscheidungen" der Behörden. "Wenn wir weise handeln, können wir am jetzigen Zustand festhalten. Ich denke nicht, dass wir eine Ausgangssperre brauchen."
Bis Anfang April hatte South Dakota lediglich 100 Covid-19-Fälle. Dann schnellte die Infektionszahl in die Höhe, nachdem es in einer Fleischfabrik zu einem der größten Ausbrüche in den USA mit Hunderten Betroffenen gekommen war. Zuletzt wurden in dem Bundesstaat rund 1.700 Infektionen und sieben Tote gezählt.
Gouverneurin setzt auf "Vernunft" der Bürger
Gesundheitsexperten haben Alarm geschlagen, Bürger Petitionen unterzeichnet und selbst Lokalpolitiker der Republikaner ein Umschwenken gefordert. Gouverneurin Noem aber hält an ihrer Linie fest: Ausgangsbeschränkungen sind in ihren Augen nicht nötig. Die 48-Jährige setzt auf das "persönliche Verantwortungsbewusstsein" und die "Vernunft" der Menschen, damit "sie ihre Freiheiten nicht für ein bisschen Sicherheit aufgeben" müssen.
Kritik hatte es am Umgang mit dem Ausbruch des Virus in einer Schweinefleisch-Fabrik in Sioux Falls gegeben. Arbeiter prangerten laut Informationsportal "NPR" an, das Unternehmen habe es versäumt, über die Risiken einer möglichen Ausbreitung zu informieren und zu lange mit der Umsetzung von Sicherheitsmaßnahmen gewartet. Mindestens 634 Beschäftigte in der Anlage von Smithfield Foods wurden positiv getestet. Die Einrichtung beschäftigt normalerweise 3.700 Mitarbeiter, hat jedoch die Fleischverarbeitung auf unbestimmte Zeit eingestellt.
Das Argument Freiheit gegen Sicherheit führen in den USA immer mehr Gegner der Corona-Beschränkungen an. Und es ist kein Zufall, dass neben Noem auch die Gouverneure der vier anderen Bundesstaaten, in denen keine sogenannten "Bleibt zu Hause"-Anordnungen verhängt wurden, Republikaner sind. Viele Konservative sind der Auffassung, der wirtschaftliche Preis für die Eindämmung der Pandemie sei viel zu hoch.
Trump selbst will im Wahljahr 2020 das Land möglichst schnell wieder öffnen und die Wirtschaft in Gang bringen. In einer Reihe von Bundesstaaten sind Demonstranten auf die Straße gegangen, um gegen die Beschränkungen zu protestieren.
South Dakota wählte Trump
Auch in South Dakota, wo Trump bei der Präsidentschaftswahl vor vier Jahren 60 Prozent der Stimmen erzielt hatte, stellen viele die persönliche Freiheit über ein gemeinschaftliches Vorgehen gegen das Coronavirus. "Wir werden nie vollkommen frei sein, solange uns eine Regierung sagt, was wir tun sollen und wie", sagt der 32-jährige Zachary Rinder, der in Sioux Falls mit seiner Familie angelt. "Gott hat uns einen freien Willen gegeben."
Er ergreife durchaus Vorsichtsmaßnahmen – aber eben nach seinen eigenen Vorstellungen, betont Rinder. Derweil übt sich der Familienvater in Schicksalsergebenheit. "Es ist unvermeidlich: Auf die eine oder andere Art werden wir alle krank werden."
- Nachrichtenagentur AFP
- NPR: "Workers' Advocate Says South Dakota Pork Plant Delayed Action On Coronavirus" (englisch)