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Auswirkungen des Klimawandels auf Tiere und Pflanzen - Interview mit Manfred Niekisch


Flora und Fauna
"Wir haben unsere Grenzen ausgelotet"

Aktualisiert am 27.07.2021Lesedauer: 5 Min.

Der Klimawandel ist eine Gefahr für viele Tierarten - auch für den Eisbären. Über die Auswirkungen der globalen Erwärmung auf Artenvielfalt und Ökosysteme sprach Wetter.info mit dem Zoologen Manfred Niekisch. Der 57-Jährige ist Leiter des Frankfurter Zoos, außerdem lehrt er Internationalen Naturschutz an mehreren Universitäten. Sein Hauptarbeitsgebiet ist die Bedeutung der Biologischen Vielfalt.

Sie sprechen von dramatischen Folgen des Klimawandels für Flora und Fauna. Was meinen Sie damit?

Wir kennen nur einen Bruchteil der Tier- und Pflanzenarten - etwa 1,8 Millionen Arten. Tatsächlich gibt es aber wohl zwischen zehn und 100 Millionen. Wir wissen also sehr wenig und können deswegen auch schlecht Vorhersagen über die Gesamtheit der Arten machen. Allerdings haben wir eine ganze Reihe von Arten, bei denen wir über die Ökologie Bescheid wissen. Und eine ganze Reihe davon lebt schon in extremen Bedingungen. Wenn sich hier dann größere Veränderungen ergeben, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder werden die Bedingungen so extrem, dass diese Arten nicht mehr überleben, oder sie werden einfach verdrängt. Dazu gehören die Kaiserpinguine in der Antarktis genauso wie beispielsweise der Gletscherfloh.

Aber was ist daran so dramatisch? Wozu brauchen wir denn den Gletscherfloh?

Es bricht natürlich kein Ökosystem zusammen, weil der Gletscherfloh weg ist, den ohnehin kaum jemand kennt. Aber wenn der Gletscherfloh weg ist, dann wissen wir, dass es eine dramatische Veränderung gegeben hat: die Gletscher sind weg. Mich interessiert immer, was das für Auswirkungen auf die Flora und Fauna hat. Wenn wir uns die Eisbären anschauen, dann wird es schon viel spannender. Das ist eine charismatische Großtierart, die man auch leicht beobachten kann. Und wir sehen ja in den letzten Jahren, wie der Klimawandel auch dieser zu schaffen macht. Es gibt noch ganz andere Untersuchungen. Nehmen wir uns mal eine südamerikanische Krötenart. Für diese Art haben Amphibienforscher gerade ein interessantes Modell konstruiert. Sie haben sich angeschaut: In welchen Klimabedingungen kommt die Art optimal vor, und bis zu welchen Klimabedingungen kann sie noch vorkommen. Es gibt zwei verschiedene Szenarien, aber egal mit welcher Variante man spielt, in 2050 wäre diese Krötenart verschwunden.

Im Laufe der Erdgeschichte haben sich die Lebensbedingungen doch immer wieder verändert. Immer sind Arten ausgestorben, andere haben sich an die neuen Bedingungen angepasst...

Die Arten schaffen es bei der Geschwindigkeit des Klimawandels nicht, sich anzupassen. Da gibt es eine interessante Berechnung. Unter normalen Bedingungen würde es eine halbe Million Jahre dauern, bis die Hälfte aller jetzt existierenden Vogelarten ausgestorben ist. Das wäre eine normale Aussterberate. Bei der momentanen Geschwindigkeit muss man aber rechnen, dass die Aussterberate irgendwo zwischen 800 und 2600 Jahren liegt. Das Artensterben hat sich dramatisch beschleunigt. Daran ist nicht der Klimawandel allein schuld, aber er kommt dazu. Er verschlimmert andere Probleme wie den Verlust von Lebensräumen.

Haben diese Auswirkungen auf die Tierwelt auch Bedeutung für den Menschen?

Gehen wir mal zu den wirtschaftlich interessanteren Arten, zum Beispiel dem Krill. Diese Krebse sind Grundlage des Lebens im Meer, vor allem im kalten Meer. Und sie sind abhängig davon, dass die Larven Algen abweiden, die unter dem Eis hängen. Wenn das Eis dünner wird, weniger lang verfügbar ist, und dann auch noch die Fläche schrumpft, wird ihre Nahrung knapp. Die Krillbestände könnten zusammenbrechen. Und das hat dramatische Folgen für die Fischerei, denn der Krill ist die Basis des Nahrungsnetzes im Meer. Wir beobachten jetzt schon, dass sich Kabeljau und andere Fischarten weiter nach Norden zurückziehen. Plattfische weichen in größere Tiefen aus.

Dann schauen wir uns mal die Ökosysteme an Land an. Die typischen Waldbäume in Deutschland sind die Buche und die Fichte. Bei den vorhergesagten Veränderungen müssen sie weit nach Norden ausweichen, weil es ihnen hier zu warm und zu trocken wird. Viele denken vielleicht: Na, dann haben wir halt Olivenbäume in München und Fichten viel weiter im Norden. Da ist nur ein Denkfehler dabei. Baumarten können nicht beliebig schnell wandern. Man geht davon aus, dass Bäume im Jahr etwa 0,3 Kilometer wandern können. Bei der gegenwärtigen Klimaveränderung müssten sie aber drei bis vier Kilometer im Jahr wandern, mindestens zehnmal so schnell wie jetzt. Vögel haben es da relativ leicht, Schmetterlinge vielleicht auch noch, aber Vegetationsgesellschaften wie Bäume schaffen das so schnell nicht.

Wieso ist der Wald so wichtig?

Die Mehrzahl der Menschen ist in irgendeiner Form abhängig vom Wald, also beispielsweise davon, dass Wälder das Wasser liefern. Das Trinkwasser großer Städte wie Beirut oder Caracas wird von den Wäldern der herumliegenden Hänge zur Verfügung gestellt. Und das wird dramatisch weniger werden, wenn die Waldgesellschaften Probleme bekommen. In Amerika haben wir ja schon Trockenstress und Waldbrände, die zu dramatischen Veränderungen führen. Die Ökosystemleistungen, die Schutzgebiete erbringen könnten, liegen irgendwo zwischen drei- und viertausend Milliarden Dollar im Jahr. Dazu gehören zum Beispiel frisches Wasser, frische Luft, Erholung, Nahrung und so weiter. Die Schutzgebiete zu erhalten kostet etwa ein Prozent dieser Summe, also 30 bis 40 Milliarden im Jahr. Das ist fast nichts im Vergleich, und trotzdem wird das nicht investiert.

Was könnte diese Schädigung von Ökosystemen im schlimmsten Fall bedeuten?

Bereits heute haben wir kriegerische Auseinandersetzungen oder zumindest heftigen Streit um fruchtbare Böden, Wasser, Biodiversität und Fischbestände. Das mag nun nicht alles eine Folge der Klimaveränderung sein. Aber es gibt ja ohnehin schon große Probleme, und wenn nun die Klimaveränderung dazu kommt, dann haben wir eine große Katastrophe - und die klopft gerade an unsere Tür in Form von mehreren zigtausend Menschen, die jedes Jahr aus Afrika flüchten. Nicht, weil sie im Paradies leben wollen in Europa, sondern weil sie in Afrika keine Chancen mehr haben. Das liegt am Mangel an fruchtbaren Böden und Wasser. In den Entwicklungsländern leben viele Menschen von dem, was sie direkt produzieren. Und in allen Szenarien sind ja die Entwicklungsländer besonders schlimm vom Klimawandel betroffen. Dort werden Menschen in großer Zahl verhungern, verdursten oder an Krankheiten leiden. Wir in Europa, wir können uns immer noch mit Geld, mit Technologie und Importen über Wasser halten. Insofern sind wir hier privilegiert. Der Klimawandel wird uns nicht so direkt und massiv betreffen. Aber das kann uns natürlich nicht trösten. Wenn Fauna und Flora sich unter dem Einfluss des Klimawandels so verändern, dann werden wir auf der Erde dramatische soziale Probleme haben. Und dann geht es auf einmal nicht mehr um den Gletscherfloh, um Kröten und Eisbären. Dann geht es um den sozialen Frieden auf der Welt.

Wie könnte man diese Entwicklung verhindern?

Der Schutz von Flora und Fauna ist eine kulturelle Aufgabe, weil es um die Basis des Wirtschaftens der Menschheit geht. Wovon leben wir denn? Wir leben von den biologischen Grundlagen, dem Boden zum Beispiel. Ohne Boden können wir nichts anbauen. Und wir leben von dem Klima. Wir brauchen Sauerstoff zum Atmen, genug Wasser zum Trinken, wir brauchen Böden und Wasser für unsere Landwirtschaft. Woher soll das kommen? Wir haben relativ enge Grenzen, und die haben wir schon weitgehend ausgelotet. Jetzt wird es Zeit, den Verlust an biologischer Vielfalt zu stoppen und den Klimawandel aufzuhalten.

Das Interview führte Ulrich Weih.

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