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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Fünf Polizisten angeklagt Schüsse aus der Maschinenpistole: Warum musste Mouhamed sterben?
Ein 16-Jähriger wurde vor knapp eineinhalb Jahren in Dortmund bei einem Polizeieinsatz erschossen. Fünf Polizisten müssen sich nun vor dem Landgericht verantworten. Warum musste Mouhamed sterben?
Knapp eineinhalb Jahre nach den tödlichen Polizeischüssen auf einen 16-jährigen Flüchtling in Dortmund ist am Dienstag der Strafprozess gegen fünf Polizisten eröffnet worden. Dem mutmaßlichen Schützen Fabian S., einem 30-jährigen Polizisten, wirft die Staatsanwaltschaft Totschlag vor.
Vor dem Landgericht Dortmund angeklagt sind außerdem zwei am Einsatz beteiligte Polizistinnen und ein Polizist wegen gefährlicher Körperverletzung im Amt sowie der Einsatzleiter Thorsten H. Ihm wird Anstiftung zur gefährlichen Körperverletzung zur Last gelegt. Aufgrund des hohen Besucherandrangs startete der Prozess am Landgericht rund eine Stunde verspätet.
Der Tod des minderjährigen Flüchtlings aus dem Senegal hatte bundesweit Entrüstung und Debatten um die Verhältnismäßigkeit der Mittel bei der Polizei hervorgerufen. Wie konnte das Einschreiten bei einem Suizidversuch derart eskalieren? Warum musste Mouhamed sterben? Weil er die Beamten bedrohte und gefährdete? Oder weil sie Fehler machten?
Prozess im Saal 130 startete verspätet
Um 14.45 Uhr betraten die angeklagten Polizisten den Gerichtssaal 130 des Landgerichts Dortmund. Alle fünf angeklagten Polizisten hielten sich beim Einlauf in den Saal eine Gerichtsakte vor dem Kopf, um vor den Fotos der Pressefotografen möglichst geschützt zu bleiben. Mit rund einer Stunde Verspätung verlas Staatsanwalt Carsten Dombert die Anklageschrift.
Die Polizisten waren laut Anklage nach einem Notruf eines Betreuers zu dem Einsatz auf dem Innenhof der Jugendhilfeeinrichtung St. Elisabeth in der Dortmunder Nordstadt, einem Brennpunktviertel, gerufen worden. Der Jugendliche soll damit gedroht haben, sich mit einem Messer das Leben zu nehmen.
Der Staatsanwaltschaft zufolge soll eine Polizistin (34) den Jugendlichen, der ein Messer in der Hand hielt, auf Anordnung des Dienstgruppenleiters Thorsten H. (55) mit Pfefferspray besprüht haben. Der Jugendliche soll daraufhin aufgesprungen sein und sich mit einem Küchenmesser in Richtung der Polizisten bewegt haben. Wie zuvor vom Einsatzleiter angewiesen, sollen ihm die beiden weiteren Polizisten (29 und 34) dann aus der Distanz Stromstöße per Taser zugefügt haben, kurz bevor mehrere Schüsse aus der Maschinenpistole fielen.
Der Gerichtssaal war am Dienstag bis in die hinteren Reihen gefüllt. Einige Besucherinnen und Besucher wurden sogar auf die Presseplätze verwiesen.
Verteidiger von Fabian S. spricht von großer "Belastung"
Nach der Verlesung der Anklageschrift erklärte der Verteidiger des Schützen, Christoph Krekeler, sein Mandant und seine Familie seien durch das Verfahren "sehr belastet". Dramé habe durch ihn – den Schützen – das Leben verloren. Als Dramé sich erhoben und mit einem Messer auf den Polizisten zubewegt habe, habe nicht nur sein Mandant dies als bedrohlich empfunden, sagte der Anwalt und verwies auf den nahezu zeitgleichen Taser-Einsatz der Kollegen. Zudem sagte er, dass es seinem Mandanten auf die Hautfarbe des 16-Jährigen "überhaupt nicht" angekommen sei.
"Ich erwarte die vollständige Aufklärung der Verantwortung der Beamten aller am Einsatz beteiligten Beamten", sagte Lisa Grüter, Anwältin der Angehörigen, die im Prozess am Landgericht Dortmund als Nebenklägerin auftreten, nach dem ersten Prozesstag.
Vor dem Landgericht protestierten zum Auftakt des Prozesses mehrere Dutzend Demonstranten, hielten Mouhamed-Plakate in die Höhe und forderten "Gerechtigkeit für Mouhamed." Ein Großaufgebot der Polizei sicherte die Proteste ab.
Staatsanwalt kann keine Notwehr erkennen
Die Staatsanwaltschaft schätzt laut Anklage bereits den vorherigen Einsatz des Pfeffersprays und der Taser als unverhältnismäßig ein. Zudem sei Dramé "zu keinem Moment aufgefordert worden, das Messer abzulegen", so Oberstaatsanwalt Carsten Dombert am Dienstag. Der Einsatz von Pfefferspray, Tasern und Maschinenpistole sei ohne rechtfertigenden Anlass erfolgt, betonte er.
So sieht es auch die Anwältin der Nebenkläger: "Dadurch ist erst die ganze Kette in Gang gesetzt worden. Dadurch ist Dramé aufgestanden, dadurch hat er sich umgeguckt, hat sich bewegt und ist dann innerhalb weniger Sekunden erschossen worden", sagte sie t-online im Vorfeld des Prozesses.
"Aufklärung und Gerechtigkeit"
Für die Familie Dramé gehe es nun um "Aufklärung und Gerechtigkeit", betonte die Anwältin. Die Eltern seien schockiert, "dass Mouhamed diese gefährliche, weite Reise auf sich genommen hat, um hier gut und sicher zu leben, und hier getötet worden ist". Die Angehörigen seien aber nicht auf Rache aus. "Sie wollen einfach nur, dass alles ordentlich aufgeklärt wird", sagt Grüter.
Hingegen bezeichnet Michael Emde, Verteidiger des Dienstgruppenleiters, die gesamte Anklage gegen seinen Mandanten, als "fragwürdig". Sein Mandat sei der Ansicht, dass er im Einsatz das "mildeste Mittel" gewählt und entsprechend der Dienstvorschrift gehandelt habe, teilte dieser dem WDR mit.
Der Kriminologe Rafael Behr, der sich in der Vergangenheit immer wieder kritisch mit Polizeigewalt auseinandergesetzt hat, sprach mit Blick auf diesen Fall von handwerklichen Fehlern, die eine große Tragödie zur Folge gehabt hätten.
"Bei dieser Überzahl von Einsatzkräften hätte der Todesfall verhindert werden müssen", sagte er t-online. Zudem kritisierte der Kriminologe die gravierenden Systemfehler bei den Ermittlungen. Daten und Fakten würden in der Regel vor der Öffentlichkeit unter Verschluss gehalten. "Mit der Beauftragung mit Ermittlungen durch Nachbardienststellen folgen wir seit Jahren einer Routine, um letztendlich Widerspruchsfreiheit zu erzielen", sagte er.
Am 10. Januar 2024 wird der Prozess fortgesetzt.
- Mit Material der dpa
- Eigene Recherchen
- Gespräch mit Lisa Grüter, Rechtsanwältin
- WDR.de: Tödliche Polizeischüsse auf 16-jährigen Mouhamed Dramé: Prozess beginnt in Kürze