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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Trauerfeier in Freudenberg Bewegende Worte und ein Kloß im Hals
In Freudenberg versuchten Menschen zu fassen, was unbegreifbar ist. Am Mittwoch wurde die 12-Jährige beerdigt, die von zwei Mitschülerinnen erstochen worden war.
Stille. Das ist, was die Menschen in Freudenberg in ihrer Trauer verbindet, in ihrer Trauer um Luise. Die Zwölfjährige wurde am 11. März von zwei ihrer Mitschülerinnen erstochen. Luise ist tot. Pfarrer Thomas Ijewski spricht es deutlich aus – das, was für viele unbegreifbar und doch Wirklichkeit ist. Knapp tausend Menschen, schätzt ein Polizeisprecher, trauern am Mittwochabend gemeinsam in der Kirche und an der Esther-Bejarano-Gesamtschule. Halten inne, um das Geschehen in ihrer Stadt zu verarbeiten und zu begreifen.
Polizei und Rettungskräfte sind im Einsatz, wie vor zehn Tagen, als die ganze Stadt nach Luise suchte. Doch jetzt ordnen sie nur den Verkehr, der auf den Parkplatz vor der Gesamtschule rollt. Hinter dem grauen Gebäude mit Waschbetonfassade erschließt sich das Wohngebiet. Davor liegt ein Acker, auf dem Spaziergänger ihre Hunde ausführen.
Vor der Zufahrt haben Trauernde Blumen, Kerzen und Briefe für Luise an einem Baum abgelegt. An diesem Abend werden noch einige dazukommen. Immer mehr Menschen strömen in die Aula, die etwa 350 Menschen fasst, mit ausdruckslosem Gesicht, sie sprechen leise miteinander. Der Rest sammelt sich auf dem Schulhof zwischen dem Hauptgebäude und der Sporthalle. Es sind vor allem Erwachsene jeden Alters, aber auch Jugendliche, Eltern mit kleinen Kindern. Notfallseelsorgerinnen und Notfallseelsorger stehen bereit, es sind knapp 20 Freiwillige in lila Westen.
"Wie sollen wir fassen, was nicht zu fassen ist?"
Lautsprecher übertragen den Ton aus der evangelischen Kirche in der Altstadt. Der Kirche, in der Luises Sarg aufgebahrt ist. Um 17.45 Uhr läuten die Glocken – sie sind auch ohne Lautsprecher zu hören. Als sie 15 Minuten später verstummen, erklingt die Stimme von Pfarrer Thomas Ijewski. "Wie sollen wir fassen, was nicht zu fassen ist?", beginnt er seine Andacht. Niemand spricht mehr. Die Stadt steht still. Die Betroffenheit ist greifbar. Selbst wer nicht aus Freudenberg kommt, Luise vielleicht nicht einmal kannte, hat einen Kloß im Hals. Auch Feuerwehrleute stehen an der Zufahrt, wo die Worte Ijewskis gerade noch zu hören sind.
Er spricht von den schrecklichen Ereignissen an jenem Wochenende, von der Angst und der Hoffnung, von Klassenfahrten, ihrer Konfirmation, die Luise nie mehr erleben wird. Die beiden Täterinnen erwähnt er mit keinem Wort. Er spricht nur von dem Leid, versucht Trost zu spenden.
Einige lassen Luftballons in Herzform aufsteigen
Ein Lied spielt, "Flugzeuge aus Papier" von Sarah Connor. Ijewski erzählt davon, dass Luise Tulpen liebte und ihre Meerschweinchen. Sie habe sogar Regenwürmer von der Straße gesammelt, damit sie nicht überfahren werden. Nach der Predigt verlässt eine junge Frau schluchzend das Gelände. Andere haben Tränen in den Augen. Manche blicken nicht einmal nach vorne, sie sitzen stumm da und hören zu.
Der Pfarrer schließt die halbstündige Andacht mit einem Gebet. Dann setzen die Glocken wieder ein. Niemand geht. Die Menschen verharren noch mehrere Minuten, schweigend, mit gesenktem Blick, andere nehmen sich in den Arm. Als aus der Aula die ersten Trauergäste nach draußen gehen, setzt sich die Menge leise in Bewegung. Manche bleiben noch einmal stehen vor dem Baum mit den Kerzen und den Blumen. Einige lassen Luftballons in Herzform aufsteigen, Luftballons für Luise.
- Reporter vor Ort