Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Keine Wirtschaft, keine Emissionen Ein Lüftlmaler namens Habeck
Wirtschaftsminister Robert Habeck feiert sich für seine Klimaziele in Reichweite. Und übergeht geflissentlich, dass das die Folge einer von ihm und der Regierung abgewürgten Wirtschaft ist.
Kinder, die Zeit rast, die Ereignisse überschlagen sich, und der Kolumnist schreibt nur einmal die Woche – ein Dilemma! Aber machen wir einfach aus dem Problem ein Privileg und spulen den politischen Betrieb eine Woche zurück, wie früher auf einer Videokassette, als eh noch alles langsamer war. Und dann das Ganze noch mal in Ruhe zu Gemüte führen, innehalten, genießen.
Wir sehen einen Wirtschaftsminister und Vizekanzler im Schwung seines Glückes. Demonstrativ behende wie sonst nur US-Präsident Joe Biden stürmt an jenem Freitag Robert Habeck das Podium in seinem Ministerium, und in den darauffolgenden fünf Minuten platzt er fast aus seinem Hemd angesichts der Botschaft, die er zu verkünden hat:
Deutschland hat 2023 seine Klimaziele fast eingehalten, wird das 2024 erstmals tun – und als ob das nicht reichte als gute Botschaft, erkühnt sich Habeck, diese Erfolgsstory gleich bis 2030 fortzuschreiben. Für die etwas Begriffsstutzigen hat er eine große Schautafel dabei, mit drei bunten Balken drauf, die zeigen, wie man aus dem tiefroten Bereich in den dezent grünen gekommen sei, seit die Grünen ihre segensreiche Wirkung in einer Regierung entfalten können. Malen nach Zahlen mit dem Minister: "Das ist das Resultat politischer Arbeit", sagt Habeck und meint damit natürlich: grüner politischer Arbeit nach der steingrauen Arbeit vorher.
Zur Person
Christoph Schwennicke ist Politikchef und Mitglied der Chefredaktion von t-online. Seit fast 30 Jahren begleitet, beobachtet und analysiert er das politische Geschehen in Berlin, zuvor in Bonn. Für die "Süddeutsche Zeitung", den "Spiegel" und das Politmagazin "Cicero", dessen Chefredakteur und Verleger er über viele Jahre war. Bei t-online schreibt er jeden Donnerstag seine Kolumne "Einspruch!"
Den letzten Satz Habecks unterschreibe ich voll und ganz. Das ist das Ergebnis seiner Arbeit. Diese Vaterschaft kann ihm keiner streitig machen. Wenn eine von den Grünen betriebene Energiepolitik zur deutschen Weltmeisterschaft bei den Strompreisen führt und die Industrie, vor allem die energieintensive (die in Deutschland stark ist), damit ein Stück weit in die Knie zwingt, dann sinken die CO2-Emissionen – selbst dann, wenn eine gleichzeitige Abkehr vom russischen Gas und der Kernkraft schmutzige Kohlekraftwerke wieder verstärkt zum qualmenden Leben erweckt hat.
Keiner kommt so schlecht aus dem Knick
Keine Volkswirtschaft in Europa kommt so schlecht aus dem Knick wie Deutschland, weniger Wachstum heißt weniger Energieverbrauch. Auf die Zahlen müssten die Kolleginnen und Kollegen jetzt nicht schauen, sagte Habeck, als er die drei Balken auf dem Weg zum Glück kommentierte.
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Es schadet aber auch nicht: Denn die Zahlen belegen, dass anteilig der größte Schwund des ausgestoßenen CO2 auf eine geschrumpfte Wirtschaft zurückgeht: weil weniger Bedarf sich auch bei der CO2-Bilanz der Stromerzeugung auswirkt (minus 20 Prozent) und in der Industrie selbst (minus 7 Prozent).
So weit, so schlüssig. Aber ein Grund für Jubel? Ebenso gut könnte in Habecks Logik ein Autobesitzer einen Freudentanz aufführen und dabei singen: Hurra! Endlich! Darauf warte ich schon seit Jahren. Seit ich kaum noch Auto fahre, verbraucht mein Wagen deutlich weniger Sprit! Oder wie der Controller in einem großen Verlag, vor dem mich ein erfahrener Kollege einst warnte. Der sei erst zufrieden und betrachte seine Mission als erfolgreich beendet, wenn die letzte Kostenstelle auf zwei Beinen in der Redaktion eingespart sei.
Die Freude sei ihm gegönnt
Wir wollen Habeck nun wirklich seine Freude gönnen. Wenn man sich das aus der Halbdistanz so anschaut, hat er ja insgesamt wenig Anlass dafür. Immer ist da dieser nervige Lindner von der FDP, der schon das Gegenteil sagt, bevor Habeck seine bedächtigen Worte beendet hat. Und ob Annalena Baerbock ihre Ambitionen auf eine zweite Kanzlerkandidatur schon ganz beerdigt hat, darauf kann man sich auch nicht verlassen.
Deshalb: Feste feiern, wie sie fallen. Aber dabei immer auch das Türschild unten am Eingang zum Büro im Blick haben: "Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz" steht da. Wirtschaft sogar an erster Stelle. Das Klima kann Habeck naturgemäß keine Dankesschreiben schicken. Die einschlägigen NGOs und das Umweltbundesamt tun es aber stellvertretend für das Weltklima. Der Präsident des UBA, Dirk Messner, war bei Habecks Feier für sich selbst dabei und spendete Beifall.
Weniger überschwänglich fielen in letzter Zeit die Dankesbekundungen aus der Wirtschaft aus. Die ist natürlich immer notorisch unzufrieden, da sind sie nicht anders als ihre vorindustriellen Vorgänger, die Bauern, mit denen sich Habecks Parteifreund Cem Özdemir zurzeit herumschlagen muss. Aber das, was von dort im Moment kommt, geht weit über reines Zweckklagen hinaus. Aus den Vertretern von Wirtschaft und Industrie spricht schiere Verzweiflung.
Immerhin: Von "Flauten im energieintensiven Bereich" sprach Habeck in seiner Laudatio auf sich selbst. Um dieses Fitzelchen Wirklichkeit dann sofort wieder mit bunten Farben des ökologischen Frohsinns zu übermalen. In Bayern nennt man das Lüftlmalerei, wenn man kein Geld für Stuck um die Fenster hat, dann malt man scheinbaren drumherum. Sieht auch schön aus, fast wie Stuck. Habeck ist der talentierteste Lüftlmaler dieser Regierung.
Die nächste frohe Botschaft scheint ihm sicher
Wenige Tage vor Habecks Auftritt hat sich die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) zu Wort gemeldet. Zum zweiten Mal in der Nachkriegsgeschichte drohe eine schrumpfende Wirtschaft in zwei aufeinanderfolgenden Jahren. Nach einem Minus von 0,3 Prozent droht das Bruttoinlandsprodukt demnach auch dieses Jahr zu sinken, um 0,5 Prozent. Die schlechte Stimmung verfestige sich.
Gute Aussichten also für Habeck, auch im nächsten Frühjahr wieder schwungvoll das Podium zu erstürmen und weitere Erfolgsmeldungen zum Klima zu verkünden.
- Eigene Übelegungen