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Woelkis Missbrauchsuntersuchung: Erzbistum Köln hatte Einblick in brisante Fälle


Erzbistum Köln sicherte sich Einblick in brisante Fälle

  • Jonas Mueller-Töwe
Von Jonas Mueller-Töwe

Aktualisiert am 23.02.2021Lesedauer: 7 Min.
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Der Koelner Erzbischof Rainer Maria Woelki Foto am Freitag 11 05 2018 bei einem Podium zum ThemaVergrößern des Bildes
Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki Foto am Freitag, den 11.05.2018, bei einem Podium zum Thema Störfaktor Religion. (Quelle: imago images)

Die schleppende Aufklärung der Missbrauchsfälle im Erzbistum Köln überschattet die Frühjahrs-Vollversammlung der Bischöfe. Kardinal Woelki gerät durch neue Erkenntnisse immer stärker unter Druck.

Es ist der 27. März 2020, als Staatsanwälte in Köln die Akten sehen wollen. Seit einem Jahr haben sie bereits gegen einen Pfarrvikar aus dem Kreisdekanat Euskirchen ermittelt. Er soll in den Neunzigerjahren seine minderjährigen Nichten immer wieder sexuell missbraucht haben.

Die inzwischen erwachsenen Frauen haben sich im April 2019 an die Behörde gewandt: An ihnen vergangen habe sich U. bei Übernachtungsbesuchen, im Bad, im Schlafzimmer, beim Computerspielen.

Die Taten sind noch nicht verjährt, die Staatsanwaltschaft will Anklage erheben.

Doch die Ermittler stehen vor einem Problem: Akten des für den Pfarrer zuständigen Erzbistums haben sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht gesehen. Dabei ist bereits fast ein Jahr vergangen, seit sie die Ermittlungen wieder aufgenommen haben, die sie Jahre zuvor schon einmal wegen fehlender Beweise einstellen mussten. Fast ein Jahr, seit die Staatsanwaltschaft erstmals wegen des Falls wieder in Kontakt mit den Mitarbeitern des Erzbischofs stand.

Wo sind die Akten der Kirche? Schließlich fordert sie die Staatsanwaltschaft offiziell an. Nach knapp zwei Wochen treffen sie ein.

Viele Fragen, keine Antworten

Der Fall U. könnte ein Beispiel für vorbildliche Aufklärung seitens des Erzbistums Köln sein: Durch eine eigene Untersuchung, so scheint es, kamen die strafrechtlichen Ermittlungen wieder in Gang. Und doch wirft der Fall Fragen auf. Fragen, die das Erzbistum t-online nicht beantwortet hat. Nicht vor zehn Tagen, als die Redaktion das Erzbistum erstmals um Stellungnahme bat, und nicht vergangene Woche. Trotz des Hinweises, t-online könne spätere Antworten dann für diesen Artikel nicht mehr berücksichtigen.

Und so sieht es so aus, als stehe der Fall vielmehr exemplarisch für das Problem des Kölner Erzbistums und des Erzbischofs Rainer Maria Woelki: Institution und Kardinal scheinen nicht einmal mehr in der Lage, dort für Aufklärung zu sorgen, wo es nicht nur die Pflicht gegenüber den Opfern wäre, sondern auch im eigenen Interesse.

Weil Woelki ein internes Gutachten über Missbrauchsfälle unter Verschluss hält und sich auch mit öffentlicher Reue schwertut, sind längst nicht mehr nur das größte Bistum im deutschsprachigen Raum und sein höchster Vertreter in einer schweren Krise, sondern die katholische Kirche in Deutschland insgesamt. Entsprechend dürfte das Thema eine wichtige, wenn nicht die zentrale Rolle bei der Frühjahrsvollversammlung der Bischofskonferenz spielen, die am Dienstag beginnt.

Es sollte ein Signal sein

Viele Fragen, wenige Antworten – so ist es auch beim eingangs beschriebenen Fall des Pfarrvikars. Denn der Zeitpunkt der Aktenübergabe im April 2020 ist erstaunlich, weil die strafrechtliche Aufklärung von Missbrauchstaten im Erzbistum zu diesem Zeitpunkt längst in vollem Gange sein sollte.

Die sogenannte MHG-Studie hatte 2018 das Ausmaß des Kindesmissbrauchs in der katholischen Kirche in Deutschland erstmals sichtbar gemacht. Woelki versprach eine "Null-Toleranz-Linie für die Zukunft, aber auch die Vergangenheit" und beauftragte außerdem eine Kanzlei mit einer unabhängigen Untersuchung. Das Erzbistum wähnte sich als Speerspitze der Aufklärung.

"Aktiv" arbeite man mit den Staatsanwaltschaften zusammen, hieß es. Infolge der MHG-Studie hatten Ermittler aus Köln, Düsseldorf und Bonn Ermittlungen gegen Unbekannt eingeleitet, Kontakt zum Erzbistum gesucht, Aufklärungsbedarf angemeldet und schließlich Akten zu einigen Fällen erhalten. "Damit sind nun komplett alle bekannten Fälle aus der Vergangenheit zur Prüfung und weiteren Ermittlung übergeben", teilte das Erzbistum im Dezember 2018 mit. Es sollte ein Signal sein: Mit der Vertuschung sei nun Schluss.

Alle übergebenen Fälle verjährt

Das Brisante daran: Während alle Fälle, die das Bistum damals öffentlichkeitswirksam an die Ermittler übergibt, laut Informationen von t-online schon wenig später wegen Verjährung eingestellt werden oder strafrechtlich nicht relevant sind, bleibt ausgerechnet der Fall U., der nun vor Gericht gehen soll, zunächst in den Schubladen der Kirche. Statt auch diesen Fall direkt an die Staatsanwaltschaft zu übergeben, wandern die Akten zunächst lediglich an die zeitgleich mit der internen Aufklärung beauftragte Kanzlei "Westphal Spilker Wastl" (WSW).

Die Kanzlei hat sich mit Gutachten an der Schnittstelle von Strafrecht und Kirchenrecht ein breites Renommee erarbeitet. Ihr war die Aufarbeitung des Missbrauchs bei den Kapuzinern in Bayern übertragen, das Erzbistum Aachen griff auf die Juristen zurück. Und deswegen ist man in Köln auch zunächst voll des Lobes: "umfangreiche Expertise", heißt es. Den Juristen zur Seite werden sogar noch weitere Fachmänner gestellt. Der Kindesschutzexperte des Vatikans, Hans Zollner, wirkt mit. Außerdem noch ein Professor für Kirchenrecht.

Gemeinsam sollen sie in einer unabhängigen Untersuchung Missbrauchstaten im Erzbistum Köln aufarbeiten, bewerten – und Namen nennen. Schonungslos. Auch diejenigen nennen, die zur Vertuschung beitrugen, die ihre Pflichten verletzten, die Täter mehr schützten als Opfer. Das Erzbistum, so heißt es, werde bis zur Veröffentlichung keinerlei Einsicht in die Untersuchung erhalten.

Das gilt allerdings nur für das Gesamtgutachten.

Im Fall U. hingegen soll ein Sondergutachten her: "ob und welche Versäumnisse im Zeitraum 2010-2011 aufgetreten sind und wie mit dem Sachverhalt zügig und entschieden fortgefahren werden kann". Damals waren die Nichten des Beschuldigten erstmals zur Kriminalpolizei gegangen und hatten damit strafrechtliche Ermittlungen und eine kircheninterne Untersuchung ausgelöst.

Kirchenpolitischer Sprengstoff

Als sie aber schließlich die Aussage verweigerten – angeblich weil die Familie die Vorfälle intern regeln wollte – wurden die Ermittlungen 2011 eingestellt. Und der Pfarrer verblieb im Dienst. Die Kirche trug nach eigenen Angaben die Anwaltskosten. Rom wurde der Fall gar nicht gemeldet.

"Pflichtwidrig" wird das Sondergutachten das später nennen.

Und in dieser Feststellung steckt möglicherweise kirchenpolitischer Sprengstoff. Denn es geht nicht um ausgebliebene Aufklärung in den Siebziger- oder Achtzigerjahren und verstorbene Beschuldigte. Es geht um aktuelle Würdenträger, die möglicherweise mehr hätten tun müssen, und die durch diese Feststellung heute in Schwierigkeiten geraten könnten.

Hatte man im Erzbistum so etwas schon geahnt? Warum war gerade in diesem Fall ein Sondergutachten notwendig? Warum erhielt die Staatsanwaltschaft erst Einblick, als das Erzbistum schon 16 Monate lang "komplett alle bekannten Fälle aus der Vergangenheit" übermittelt haben wollte?

Fragen wie diese hat t-online dem Erzbistum gestellt und keine Antwort erhalten.

Hamburgs Erzbischof in der Kritik

Unstreitig ist: Während die Münchner Kanzlei "Westphal Spilker Wastl" an ihrer unabhängigen Untersuchung arbeitet, in die das Erzbistum unter keinen Umständen vor Veröffentlichung Einblick erhalten soll, landen immer wieder Akten besonders pikanter Fälle als Auftrag zum "Sondergutachten" auf den Schreibtischen der Anwälte. Und das Besondere an diesen Gutachten: In sie erhalten die Verantwortlichen des Erzbistums sehr wohl Einblick.

Was sie dort zu lesen bekommen, könnte sie beunruhigt haben.

Denn im Sondergutachten zum Fall U. heißt es, es sei pflichtwidrig gehandelt worden. Der damalige Generalvikar und Personalchef Stefan Heße ist heute Erzbischof von Hamburg. Die "Bild"-Zeitung hat sogar eine Gesprächsnotiz aus den Akten öffentlich gemacht: Demnach habe der beschuldigte Pfarrer "hier alles erzählt". Aus der Notiz solle aber kein Protokoll gefertigt werden, "damit sie notfalls vernichtet werden könnte". Heße habe dazu sein Einverständnis gegeben. Heße bestreitet aber, Kenntnis davon zu haben.

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In einem weiteren Sondergutachten – zum Fall des wegen Missbrauchs verurteilten Priesters A. –, das einige Monate später im Erzbistum eintrifft, werden wiederum dem heutigen Kuratoriumsvorsitzenden der Caritas-Stiftung schwere Vorwürfe gemacht. Norbert Feldhoff als damaliger Generalvikar habe ebenso wie der verstorbene Erzbischof Joachim Meisner pflichtwidrig "auf jegliche Sanktionierung (...) als auch auf Maßnahmen zum Schutz gefährdeter Kinder und Jugendlicher verzichtet". Auch in dieses Gutachten hat das Erzbistum Einblick, will es aber nicht veröffentlichen. Mittlerweile hat das der "Kölner Stadt-Anzeiger" übernommen.

"Äußerungsrechtliche Bedenken"

Fest steht also erstens: Die Sondergutachten, die dem Erzbistum vorliegen, belasten wichtige, auch aktuelle Würdenträger. Die "FAZ" berichtete sogar, Woelki habe den heutigen Hamburger Erzbischof Heße darüber informiert.

Fest steht zweitens: Nachdem die Sondergutachten dem Erzbistum vorliegen, entstehen dort hinsichtlich der unabhängigen Untersuchung derselben Kanzlei – in die das Erzbistum keinen Einblick hat – "äußerungsrechtliche Bedenken". Wann genau und durch wen? Auch diese Frage lässt das Erzbistum unbeantwortet.

Doch im Februar 2020 schaltet das Bistum eine zweite Kanzlei ein. Sie soll die unabhängige Untersuchung überprüfen – und zweifelt im Ergebnis an der Rechtssicherheit des Gutachtens. Zwei Tage vor der entscheidenden Pressekonferenz sagt das Erzbistum die Veröffentlichung ab. WSW soll die Studie überarbeiten. So könne die unabhängige Untersuchung nicht erscheinen.

In den Folgemonaten wird sich das Erzbistum für diese Position weitere Unterstützung holen.

Ein Gegengutachten zweier Rechtswissenschaftler wird den einst so hochgelobten Juristen sogar methodische Fehler vorwerfen. Am 30. Oktober lässt das Erzbistum es per Pressemitteilung herausgeben – verbunden mit einer denkwürdigen Erklärung, die die Kanzlei WSW später einen "Gewaltangriff" nennt und die zunächst noch vom Betroffenenbeirat mitgetragen wird:

"Die Münchener Kanzlei ist wiederholt an ihrem Versprechen und am Anspruch der Betroffenen sowie des Erzbistums gescheitert, eine umfassende Aufarbeitung der Ereignisse und persönlichen Verantwortlichkeiten in Form eines rechtssicheren und belastbaren Gutachtens zu erreichen und einen zur Veröffentlichung geeigneten Bericht zu erstellen."

Zu diesem Zeitpunkt hat das Erzbistum nicht nur eine unabhängige Untersuchung bei WSW in Auftrag gegeben, sondern Anwälte insgesamt drei weiterer Kanzleien und zwei Rechtsgutachter, die wiederum die Veröffentlichung verhindern. Einer legt bei einem Termin Journalisten, die Einblick in das Dokument erhalten sollen, sogar eine Verschwiegenheitserklärung vor. Wer sie unterzeichnet, darf nur noch über den Inhalt des Gegengutachtens berichten. Alle Journalisten lehnen das ab.

Stattdessen tröpfeln immer mehr Informationen aus der Untersuchung an die Öffentlichkeit.

Zum Fall U. und Fall A. gesellen sich Fall F. und Fall O. Schließlich steht sogar persönliches Fehlverhalten von Erzbischof Woelki im Raum. Der räumt angesichts immer deutlicherer Mahnungen aus den verschiedensten Kirchengremien Fehler ein – doch die unabhängige Untersuchung hält er weiter unter Verschluss.

Nun soll bis zum 18. März eine neue Untersuchung erscheinen, angefertigt von einer anderen Kanzlei. Angeblich soll sie Hunderte Fälle sexuellen Missbrauchs enthalten. Die Kanzlei WSW behält sich vor, ihre Untersuchung ebenfalls zu veröffentlichen. Der Betroffenenbeirat – vermeintlich einst von Woelki gegründet, um der Opferperspektive Gehör zu verschaffen – hat inzwischen beide Sprecher verloren. Das Vorgehen des Erzbistums komme einem "erneuten Missbrauch von Betroffenen" gleich.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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