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Corona-Demo in Berlin: Der verhängnisvolle Flirt der AfD mit den Rebellen


Meinung
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Flirt mit Corona-Rebellen
Die AfD steht vor einem großen Dilemma

  • Lamya Kaddor
MeinungEine Kolumne von Lamya Kaddor

Aktualisiert am 03.09.2020Lesedauer: 5 Min.
Corona-Demonstranten in Berlin: Die AfD steht nun vor einem Dilemma, schreibt Kolumnistin Lamya Kaddor.Vergrößern des Bildes
Corona-Demonstranten in Berlin: Die AfD steht nun vor einem Dilemma, schreibt Kolumnistin Lamya Kaddor. (Quelle: Future Image/imago-images-bilder)

Schafft es die AfD, sich an die Spitze der Corona-Rebellen zu setzen und daraus politisches Kapital zu schlagen? Sowohl die Partei als auch die Bewegung stehen vor einem Dilemma.

Die Bundestagswahl rückt näher, die SPD hat schon einen Kanzlerkandidaten aufgestellt, und seit einiger Zeit schält sich immer offenkundiger die Erkenntnis heraus, dass sich auch die AfD Gedanken über ihren Wiedereinzug in den Bundestag macht. Das Ticket dafür wollen sie wohl bei den Corona-Rebellen lösen.

Ihr Kalkül ist klar: Wütende gehen auf die Straße, Wütende sind ihre Hauptklientel, deshalb muss man Wütende umgarnen. Zuerst versuchte sich die Partei an der Wut über die Euro-Politik zu laben, später an der über die Flüchtlingspolitik. Vergangenes Jahr probierten sie es dann mit Wut über die Klimaproteste der "Fridays for Future"-Bewegung und nun wollen sie folgerichtig an die Corona-Politik andocken.

Chrupalla: "Sieg über die Bevormundungspolitik"

Als "Sieg der Freiheit über eine demokratiefeindliche, ideologiegetriebene Verbots- und Bevormundungspolitik der etablierten Parteien" bejubelte Parteichef Tino Chrupalla die Entscheidungen der Berliner Verwaltungsgerichtsbarkeit gegen die Verbotsverfügung durch den Berliner Innensenator Andreas Geisel (SPD). Chrupallas Stellvertreterin Beatrix von Storch bekannte am Morgen vor der Demo im Deutschlandfunk voller Überzeugung: "Ich werde hingehen, vermutlich ohne Maske".

Fraktionschefin Alice Weidel warnte schon eine Woche vorher auf Facebook: "Unsere Freiheit ist in Gefahr" und warb für die "mutige" und "absolut begrüßenswerte" Initiative einer "Bürger-Demo für die Freiheit". Björn Höcke flehte geradezu auf Instagram: "Bitte kommen Sie am 29.08.2020 nach Berlin! Bitte kommen Sie am 29.08.2020 nach Berlin!", und führte aus: "Leisten Sie diesen Dienst für Ihr Land, für eine freie und selbstbestimmte Zukunft, für Ihre Kinder. Dafür danke ich Ihnen von Herzen."

So weit, so üblich. Kann es der AfD am Ende aber tatsächlich gelingen, aus der Skepsis gegen Corona-Einschränkungen politisches Kapital zu schlagen? Zehntausende auf den Straßen Berlins und eine Dunkelziffer an Sympathisanten, die keine Zeit, kein Geld oder zu wenig Motivation fanden, um ebenfalls mitzudemonstrieren, versprechen durchaus Potenzial.

Corona-Volte könnte zu spät kommen

Hinzu kommt, dass man der AfD, dank des unklugen Demo-Verbots von Andreas Geisel, inhaltlich leider zum Teil recht geben kann: "Die Prognose oder die Unterstellung, dass die Regeln nicht eingehalten werden, kann nicht dazu führen, dass man das Grundrecht außer Kraft setzt", argumentierte Beatrix von Storch. Und genau so ist es.

Vielleicht kommt die AfD mit ihrer Corona-Volte allerdings zu spät. Zu Beginn der Corona-Krise im März war sie noch unsicher oder zumindest gespalten: Alice Weidel warnte im Februar vor der raschen Ausbreitung des Virus, die Partei präsentierte ein "5-Punkte-Sofortprogramm" und stellte sich im Grunde genommen hinter die Covid-19-Schutzmaßnahmen der Bundesregierung.

Doch als die AfD mit der Zeit das Protestpotenzial der "Querdenker" witterte, waren die noch rechteren Kräfte schon längst da bzw. mittendrin. Das Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet seit Längerem eine Unterwanderung der Anti-Corona-Proteste. Es gebe eine starke rechtsextremistische Komponente, die aggressiv und gewalttätig durch Störaktionen aufgetreten sei, sagte Präsident Thomas Haldenwang: die Befürchtungen der Behörde hätten sich bestätigt.

Die AfD hinkt demzufolge ein Stück weit hinterher. Das könnte wiederum dafür sprechen, dass manche Corona-Kritiker das parteipolitische Kalkül erkennen und sich durch das unbeholfene Manöver, sich ihnen von hinten herum an den Hals zu werfen, eher abgestoßen fühlen.

Löst sich "Querdenken" von den Reichsbürgern und Monarchisten?

Die Sympathie der AfD für die Corona-Rebellen wurde gewiss durch die vielen Reichsflaggen- und Reichskriegsflaggenträger zusätzlich geweckt. Schließlich stehen diese Symbole für großdeutsche Fantasien und preußischen Militarismus sowie für deutschen Nationalismus und deutschen Imperialismus. Das sind alles Bestrebungen und Emotionen, an die die AfD mal offen, mal latent appelliert. Sollte sich die Symbiose zwischen Rechten und Corona-Kritikern weiter vertiefen, könnte das der AfD mithin nützlich sein.

Wahrscheinlich ist das jedoch nicht. Die "Querdenker" müssen sich nämlich über kurz oder lang von Monarchisten, Geschichtsrevisionisten und Rechtsextremen distanzieren. "Wer sich über die Corona-Maßnahmen ärgert, kann und darf dagegen demonstrieren. Mein Verständnis endet aber dort, wo Demonstranten sich vor den Karren von Demokratiefeinden und politischen Hetzern spannen lassen", sagt der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Und das denkt nicht nur er.

Wer mit Rechtsextremen demonstriere, müsse sich das Gedankengut auch zurechnen lassen, sekundiert Bundesjustizministerin Christine Lambrecht im "Morgenmagazin" von ARD und ZDF, während 51 Prozent der Bundesbürger und Bundesbürgerinnen laut Forsa davon überzeugt sind, die Anti-Corona-Demonstranten stünden der AfD nahe.

Querdenken-Initiator Michael Ballweg arbeitet denn auch seit dem Wochenende verstärkt daran, Abstand zwischen sich und einige Mitstreiterinnen und Mitstreiter zu bringen: "Wir haben uns sowohl immer von Rechtsextremen wie auch Linksextremen sehr deutlich distanziert", erzählte er zum Beispiel im Interview mit dem Deutschlandfunk. Gewiss ist das mehr ein performativer Akt als eine konstatierende Äußerung, doch die Botschaft ist ausgesendet.

Partei und Bewegung stehen vor einem Dilemma

Ohne die Distanzierung von rechtsradikalen Kräften werden die "Querdenker" Anhängerinnen und -Anhänger in der Mitte der Gesellschaft verlieren. Das würde ihren eigenen Anspruch, eine breite soziale Bewegung zu sein, konterkarieren. Die Abspaltung rechtsradikaler und rechtspopulistischer Kräfte wiederum wird der Bewegung aber auch Schwung und Dynamik nehmen. Ohne das Trommeln der AfD und deren Umfeld wären wahrscheinlich weniger Menschen nach Berlin gekommen. Partei und Bewegung stehen also beide vor einem Dilemma – das letztlich beide schwächen dürfte.

Die Vergangenheit hat gezeigt, dass nur ein Thema in der Lage ist, die AfD groß zu machen. Und das ist das völkische Denken: gegen Geflüchtete, gegen Einwanderung, gegen Integration, für Abschiebung, für Grenzschließung, für Bevorzugung von Menschen, die man für "echte Deutsche" hält.

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Schon Parteigründer Bernd Lucke erkannte frühzeitig, dass mit Euro-Rebellen allein kein Staat zu machen ist und dass man die Partei für völkische Glaubensbrüder und -schwestern öffnen muss. "Wir haben ein richtiges Monster erschaffen", räumte Luckes damaliger Stellvertreter Hans Olaf Henkel schon 2015 selbstkritisch ein.

Inzwischen haben er und andere aus der Eurokrisen-Zeit der AfD längst den Rücken gekehrt. Auch die Klimaleugner, mit denen die AfD 2019 auf Kuschelkurs ging, konnten ihr keinen Aufschwung verpassen. Ebenso wird es mit der Corona-Krise sein. Diversen Umfragen der vergangenen Wochen zufolge steht eine deutliche Mehrheit in Deutschland hinter den Corona-Maßnahmen der Regierung. Kurz: Es gibt zu wenige Corona-Kritiker, um das Ruder herumzureißen.


So bleibt den Rechtspopulisten als einziger Trumpf weiterhin nur die völkische Karte, die sie von Russland, über Ungarn, die Türkei und Italien bis hin zu Donald Trump eint. Für die Auseinandersetzung mit ihnen ist das nach wie vor der wichtigste Bezugspunkt – man kann sie nur bremsen, wenn man Argumente für Menschlichkeit, Toleranz, Freiheit liefert, und gegen Ausgrenzung, Extremismus, Totalitarismus vorgeht. Parteipolitisch wird es für die anderen über kurz oder lang darauf ankommen, wer diesen Gegenpart am glaubwürdigsten und am nachdrücklichsten verkörpert. Die SPD hat diese Woche einen Versuch gestartet und einen "Pakt für das Zusammenleben in Deutschland" vorgelegt – leider ist er von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt verhallt. Aber der eingeschlagene Weg ist richtig, wie ich schon vor einem Jahr hier schrieb.

Die AfD mag sich den Corona-Rebellen noch so anbiedern. Lasst sie machen. Ihr Kalkül wird nicht aufgehen. Vielleicht sogar das Gegenteil bewirken, indem sich ihre moderateren Fans durch zu viel Nähe zu Bill Gates-Verschwörern, QAnon-Jüngern und anderen Irrlichternden von der Partei abwenden.

Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin, Religionspädagogin, Publizistin und Gründerin des Liberal Islamischen Bunds e.V. (LIB). Derzeit leitet sie ein Forschungsprojekt an der Universität Duisburg-Essen. Ihr aktuelles Buch heißt "Muslimisch und liberal!" und ist bei Piper erschienen. Sie können unserer Kolumnistin auch auf Facebook oder Twitter folgen.

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