Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Asyl für kriminellen Clan-Chef? Der Staat darf sich nicht veralbern lassen
Im Sommer wurde der kriminelle Clan-Chef Ibrahim Miri abgeschoben. Jetzt ist er zurück und bittet um Asyl. Will sich der Staat tatsächlich so auf der Nase herumtanzen lassen?
Eine solche Chuzpe muss man erst einmal aufbringen. Einer der bekanntesten Clan-Chefs, Ibrahim Miri, kann nach 13 Jahren endlich in den Libanon abgeschoben werden. Dann lässt er sich nach eigenen Angaben über Schleuser zurück nach Deutschland schmuggeln, um hier einen Asylantrag zu stellen – weil er in seinem Heimatland in einen Blutrachekonflikt aus der Vergangenheit geraten sei.
Das Vorgehen ist exemplarisch für die Kaltschnäuzigkeit und Dreistigkeit, mit denen die Großen der Szene den Rechtsstaat an der Nase herumführen wollen, indem sie mithilfe gewiefter Rechtsanwälte die juristischen Möglichkeiten der freiheitlichen Welt bis zum letzten Winkelzug ausnutzen – während kleine Handlanger auf der Strecke bleiben. Jetzt kann man zu Recht sagen: "Na und, jeder, unabhängig von seiner Person, darf seine juristischen Mittel voll nutzen." Völlig richtig. Aber der Rechtsstaat muss mit gleichen gewieften Mitteln dagegen zu Felde ziehen. Er darf sich hier nicht veralbern lassen.
Setzte sich eine Person mit so hoher Symbolkraft durch und erhielte Asyl, wäre das ein Fest für die Szene. Deren Mantra "Die Deutschen sind eh zu blöd, uns dranzukriegen" würde in Stein gemeißelt, der letzte Respekt bröckeln. Die Überzeugung vom schwachen Staat hält sich schließlich seit Jahrzehnten hartnäckig in diesen Kreisen, weil die Strafen in den Herkunftsländern der Familien meist deutlich schärfer und weniger rechtsstaatlich sind.
Von daher liegt Bundesinnenminister Horst Seehofer richtig, wenn er der "Bild"-Zeitung sagt: "Wenn sich der Rechtsstaat hier nicht durchsetzt, verliert die Bevölkerung das Vertrauen in unser gesamtes Asylsystem." Und: "Wichtig ist: Das Gerichtsverfahren wird in Haft abgeschlossen." Zwar darf die Politik keinen Einfluss auf juristische Verfahren nehmen, aber öffentlichen Druck aufzubauen, um die Brisanz des Falls zu verdeutlichen, ist sehr wohl angezeigt; damit es nicht wieder mal zu juristischen Verirrungen kommt, die anschließend für große Empörung sorgen.
Zuckerbrot und Peitsche für die Clan-Mitglieder
Gegen "Clans" hilft nur eine Kombination aus Zuckerbrot und Peitsche. Peitsche für die Täter, Zuckerbrot für unschuldige Clan-Mitglieder, Frauen wie Männer, die zum Opfer ihrer Familien geworden sind.
Die "Strategie der tausend Nadelstiche" gegen die Clans, wie es Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) nennt, ist da vielversprechend.
Freilich muss sie ohne Diskriminierung erfolgen. Rambos in Uniform, die bei Einsätzen ihre Macht ausspielen, würden das Problem nur verschärfen. Laut dem Juristen Matthias Rohe gehörten viele Familien schon in ihren Heimatländern zu benachteiligten Gruppen. Als sie nach Deutschland kamen, hat sich diese Benachteiligung fortgesetzt, und wenn sie bei der jetzigen Offensive der Sicherheitsbehörden wieder herablassend behandelt werden, schweißt man die Clans und ihr Umfeld nur noch stärker zusammen.
Schulpflicht, Verkehrsregeln, Müllentsorgung
Unter dieser Prämisse allerdings muss es weiterhin regelmäßige Razzien geben, eine konstante Überwachung auch von Alltagsdingen wie Schulpflicht, Verkehrsregeln und Müllentsorgung, gefolgt von einer konsequenten Bestrafung bei Verstößen. Nicht einmal ein böses Wort gegenüber Polizeibeamten darf man durchgehen lassen. Wirksam ist ferner das Konfiszieren von Vermögensbeständen wie Immobilien oder getunten Autos – wer nicht mit seinem tiefer gelegten AMG durch die Stadt cruisen kann, sondern Fahrrad fahren muss, wirkt weniger anziehend auf junge Leute.
Haftstrafen helfen jedenfalls wenig. Sie werden in diesen Kontexten vielmehr als Auszeichnung wahrgenommen, denn erst wer im Gefängnis gesessen hat, ist wirklich hart und wird von anderen respektiert.
Der Druck auf die Communities muss steigen, denn kriminelle Großfamilien lassen sich nur effektiv bekämpfen, wenn sie von der Umgebung, dem Biotop, in dem sie gedeihen, zunehmend unerwünscht werden und ihren Rückhalt verlieren.
Arabische Communities müssen sich gegen Clans engagieren
Insofern ist es wichtig, dass sich arabische Communities ebenfalls gegen Clan-Strukturen engagieren, wie ich bereits früher geschrieben habe. Die Romanistin Gudrun Dietz, die vor mehr als zehn Jahren über die Mythisierung der Mafia promoviert hat, betonte bereits damals: "Bedenklich ist in meinen Augen, dass die Anti-Mafia-Bewegung noch zu wenig Rückhalt erfährt. Die Mafia, Camorra und ‘Ndrangheta sind in Italien leider immer noch für viele Menschen Tabuthemen, notwendige Übel, die man akzeptiert hat."
Repressive Maßnahmen sind jedoch nur einer von zwei nötigen Wegen. Der zweite Weg heißt Prävention. Aber Lebensberatung und Aussteigerhilfen für abkehrwillige Clan-Mitglieder werden als Optionen allzu oft vernachlässigt. Strenge Recht-und-Ordnung-Politik wirft eben deutlich schneller Ergebnisse ab, als wenn man sich jahrelang um einzelne Menschen bemüht. Dabei weiß im Grunde jeder, nachhaltiger und effektiver ist selbstverständlich der langwierigere Prozess. Es lohnt sich also, hier ebenso zu investieren wie in die Extremismusprävention.
Diese Arbeit ist gewiss aufwendiger als die Arbeit mit politisch oder religiös radikalisierten Menschen, die sich vergleichsweise einfach aus einer Gruppe lösen lassen. Bei Clans indes muss die oft aus Eisen geschmiedete Familienbande überwunden werden. Mit ein paar warmen Worten wird man niemanden von einem "Clan" abspalten können.
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Da ist mehr nötig: Personal, Ressourcen, Fachwissen.
Um genauer herauszufinden, wie und mit welchen Methoden das am besten gelingt, fehlt uns das soziologische Grundwissen und ein analytisches Verständnis der Strukturen in diesen Milieus. Jenseits einzelner publikumswirksamer Bücher dazu gibt es abgesehen von Rohes Arbeiten kaum ernste wissenschaftliche Studien. Hier sollten Bildungs-, Familien und Wissenschaftsministerien, Stiftungen und private Träger hellhörig werden, hier liegen Aufgaben der Zukunft.
Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin, Religionspädagogin, Publizistin und Gründerin des Liberal Islamischen Bunds e.V. (LIB). Derzeit leitet sie ein Forschungsprojekt an der Universität Duisburg-Essen. Ihr aktuelles Buch heißt "Die Sache mit der Bratwurst. Mein etwas anderes deutsches Leben" und ist bei Piper erschienen. Sie können unserer Kolumnistin auch auf Facebook oder Twitter folgen.