Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Debatte um Abtreibungen Hier ist der Islam aufgeklärter und moderner
Ärzte müssen künftig über Abtreibungen informieren dürfen. Der
Eine Kolumne von Lamya Kaddor.
Die Debatte über Abtreibungen in Deutschland krankt an vielen Stellen. Zum Beispiel daran, dass Frauen und ihr Embryo getrennt betrachtet werden. Diese Sichtweise macht die Frau zur Brutmaschine, die mit der Empfängnis ihre Persönlichkeitsrechte wie einen Mantel an der Garderobe der Gesellschaft abgibt. Das Embryo wird als Gemeinschaftsgut definiert, über das im Zweifel andere mitbestimmen können.
Das Embryo aber ist Teil einer Frau. Es reift in ihrem Körper. Selbstverständlich hat der Mann als Vater und selbst als bloßer Erzeuger ein Mitspracherecht. Es ist schließlich auch sein Werk. Aber der Liebe Gott oder Mutter Natur, je nach Belieben, hat das Heranwachsen der menschlichen Leibesfrucht nun einmal eindeutig verortet. Abtreibung oder nicht ist also zuvorderst ein Thema von Schwangeren.
Körperliche Selbstbestimmung
Sie ist es, die sich in "anderen Umständen" befindet. Ihr Körper verändert sich, psychisch wie physisch. Ihr Magen, ihr Darm, ihre Harnblase, ihre Lungen werden gequetscht, wenn sich die Gebärmutter ausdehnt. Sodbrennen, Verstopfung, Harndrang, Krampfadern, Hämorrhoiden, Rückenschmerzen etc. sind Folgen für sie. Ihr Gewicht nimmt zu, ihr Hormonhaushalt wandelt sich, ihre Seele muss mit allem fertig werden und am Ende gibt ihr Schoß das Kind unter großen Schmerzen und manchmal schweren Verletzungen frei.
All das kann kein Mann nachempfinden (ist nicht böse gemeint, ist einfach Fakt). Dennoch sind es von der Antike bis zu den heutigen sogenannten "Lebensschützern" und radikalen Abtreibungsgegnern vor allem Männer, die sich bei dem Thema besonders hervortun. Versuchen sie vielleicht gerade deshalb seit Jahrtausenden, Herrschaft über die Gebärmütter zu erlangen, weil sie von der Empfängnis bis zur Geburt ausnahmsweise weitgehend außen vor sind?
Bis vor wenigen Jahrzehnten konnten Frauen dem aufgrund ihrer geringeren Körperkraft nicht viel entgegensetzen. Es galt das Recht des Stärkeren. Doch mit der Etablierung des modernen Rechtsstaats hat sich das geändert. Das sollten Frauen weiterhin nutzen. Welcher Mann lässt sich schon die Entscheidung über eine erhebliche Veränderung seines Körpers freiwillig von außen diktieren. Die wenigsten. Genauso muss es bei Frauen sein. Das letzte Wort in Sachen Schwangerschaft liegt bei ihr. Punkt.
Verfechter der staatlichen Zensur
Dazu ist es nötig, dass sie alle Hintergründe des Vorgangs kennt. Frauen in unserer Medien- und Informationsgesellschaft de facto wichtige Auskünfte vorzuenthalten, indem man Ärzte, die über Abtreibungen aufklären wollen, kriminalisiert, sodass sie lieber keine öffentlichen Beratungsangebote machen, ist sachlich nicht zu begründen. Über alles muss heute aufgeklärt werden, fragen Sie ihren Arzt oder Apotheker. Und ausgerechnet bei Schwangerschaft wird der Zugang zu Informationen eingeschränkt?
Wer abtreiben will, geht oft als erstes ins Netz. Wenn qualifizierte Ärzte dort aber nichts über Abtreibungen einstellen, weil Fanatiker sie wie aktuell wieder in Kassel wegen § 219a StGB (Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft) anzeigen, macht man Frauen, die die unglaubliche Last einer ungewollten Schwangerschaft tragen, das Leben noch schwerer und treibt sie in die Arme von Scharlatanen. In einschlägigen Internetforen kann man lesen, wie Frauen mit obskuren Mitteln und bizarren Methoden selbst zur Tat schreiten und somit letztlich vielleicht statt der Abstoßung die Schädigung der Frucht bewirken.
Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.
Das Zynische dabei: Gerade jene, die auf Meinungsfreiheit pochen, wenn sie Flüchtlinge "kritisieren" wollen, fordern an dieser Stelle besonders vehement die staatliche Zensur ein. Wie so oft bei Ideologen, lautet deren Faustregel: Logisch ist, was wir für richtig erachten. Gut also, dass SPD, FDP, Grüne und Linke derzeit im Bundestag für eine Streichung oder Änderung des Paragrafen 219a streiten.
Hybris der Bevormundung
Bei der Argumentation der Befürworter bekommt man schnell den Eindruck, Frauen würden leichtfertig abtreiben – und das alle naselang. Als gingen sie um die Ecke zur Maniküre. Eine Schwangerschaft, die Fähigkeit, Leben zu schenken, löst jedoch zutiefst weibliche Gefühle aus. Diese mutwillig zu zerstören, geht an keiner Frau spurlos vorbei.
Davon abgesehen empfindet eben nicht jede Frau Muttersein als größtes Glück. Und das ist auch ihr gutes Recht. Und die Alternative, ein Kind auszutragen und krampfhaft den Aufbau emotionaler Bindung zu unterdrücken, weil man es am Ende in eine Babyklappe legen soll, kommt mitunter monatelanger seelischer Grausamkeit gleich und kann Mutter wie Kind später in weitere schmerzhafte Lebenssituationen bringen.
Wer Frauen hier bevormunden will, wie es das deutsche Gesetz tut, degradiert sie zu unmündigen Wesen, die man anleiten muss wie kleine Kinder, die die Folgen ihrer Entscheidungen noch nicht überblicken können. Was lässt die Außenwelt eigentlich so sicher sein, dass sie bessere Entscheidungen fällen könnte als die Betroffene selbst? Das kann nur eine Hybris sein, die sich vor Jahrtausenden zu formen begann, als Frauen noch Verfügungsmasse ihrer Männer oder Eltern waren.
Abtreibung tötet keine Kinder
In der Weiterentwicklung eben dieses Denkens wird heute immer wieder auch auf einen Schutz von Familie verwiesen. Doch diejenigen, die am lautesten danach rufen, sprühen Feuer und Zorn, wenn es um Familiennachzug von Flüchtlingen geht. Gleichsam gerieren sich jene Krakeeler als Vorkämpfer der Rechte von Frauen, wenn diese wie in der Kölner Silvesternacht 2015 von Männern mit nordafrikanischem Migrationshintergrund aufs Gröbste verletzt werden, und pochen auf die Errungenschaften der Emanzipation, hinter die man sich von anderen Kulturen nicht zurückdrängen lassen dürfe, sprechen denselben Frauen aber das Recht ab, über ihren eigenen Körper zu entscheiden. Absurd.
Abtreibung tötet keine Kinder – wie es viele behaupten. Der Entwicklungsprozess wird vielmehr zu einem frühen Zeitpunkt gestoppt, an dem kein normaler Mensch in der Lage wäre, ein Kind zu erkennen. Zudem enden laut Berufsverband der Frauenärzte in den ersten zwölf Wochen 30 bis 40 Prozent der Schwangerschaften ganz natürlich in einem Abort. Viele Frauen bekommen davon nur nichts mit. So ungewöhnlich ist der Abbruch einer Schwangerschaft also nicht.
Frühzeitige Aufklärung über Verhütung
Ein Embryo als Kind zu betrachten, ist in gewissem Maße eine religiös fundamentalistische Sicht. Wenn sachliche Argumente nicht mehr tragen, muss am Ende immer ein Gott herhalten. Ich gebe zu, als Muslimin hab ich es da etwas einfacher. Abtreibung gilt nach herrschender islamischer Lehre erst nach vierzig embryonalen Entwicklungstagen als Kindstötung und ist dann harâm, also verboten. Schon vor Jahrhunderten haben Muslime darüber debattiert, ob man ein Embryo als Körperteil oder als etwas Eigenständiges gegenüber dem Körper der Schwangeren verstehen muss, und ausgerechnet Vertreter der als strenger geltenden Rechtsschulen werten das Embryo als Körperteil. Hier ist der Islam schlichtweg aufgeklärter und moderner. Das Leben beginnt nicht mit dem Verschmelzen von Ei- und Samenzelle, wie es beispielsweise die Katholische Kirche lehrt.
Wer ernsthaft Leben, Familien und Gesellschaften schützen will, sollte sich für frühzeitige Aufklärung über Verhütung stark machen. Wenn ungewollte Schwangerschaften gar nicht erst entstehen, fallen auch viele Probleme weg. Doch wir alle kennen die Situationen, in denen auch die beste Aufklärung eine ungewollte Schwangerschaft nicht verhindert (Vergewaltigung, defekte Verhütungsmittel, Unachtsamkeit etc.), und dann muss eine Frau handeln können.