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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Bei "Markus Lanz" Wegen Omikron: Virologe fordert Impf-Notschalter
Ist eine allgemeine Impfpflicht in Deutschland unumgänglich – und ist das der Ausweg aus der Pandemie? Über diese Fragen diskutierte am Mittwochabend eine Expertenrunde bei "Markus Lanz".
Die von Moderator Markus Lanz zu Beginn der Sendung zitierten aktuellen Infektionszahlen zeigen einmal mehr die Dringlichkeit der Lage. Alleine am 5. Januar gab es 58.912 Covid-19-Neuinfektionen, am Tag zuvor waren es mit 30.561 noch deutlich weniger gewesen.
Darüber, wohin es geht, herrschte in der Talkrunde kein Zweifel: Deutschland steht vor einer Welle der hochinfektiösen Corona-Variante Omikron. Worüber sich die Gäste – zwei Politiker, ein Immunologe und eine Journalistin – allerdings uneinig waren, ist, wie das Land aus dieser Welle wieder rauskommt – ohne im nächsten Jahr erneut in derselben Position zu sein.
Die Gäste:
- Tobias Hans, Politiker (CDU)
- Christine Aschenberg-Dugnus, Politikerin (FDP)
- Nadine Lindner, Journalistin
- Prof. Carsten Watzl, Immunologe
FDP-Stimmen gegen Impfpflicht
FDP-Politikerin Christine Aschenberg-Dugnus stand mit ihrer Ablehnung einer allgemeinen Impfpflicht an diesem Abend im Zentrum der Kritik. Aschenberg hatte sich, gemeinsam mit 32 anderen FDP-Abgeordneten, gegen eine solche Impfpflicht ausgesprochen – und sich in den Augen vieler damit nicht nur einer konstruktiven Koalitionsarbeit entgegengestellt, sondern auch noch Impfskeptikern in die Hände gespielt.
Kritik an ihrer Meinung lässt sie nicht gelten: "Ich finde sehr eigentümlich, dass Sie sagen, es sei keine ethische Frage. Es ist eine ethische Frage. Mir ist ganz wichtig zu sagen: Wir wollen die Impfbereitschaft erhöhen. Aber eben nicht mit der allgemeinen Impfpflicht". Man habe noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft, so die Politikerin. Auch die angedeutete Spitze von CDU-Mann Tobias Hans, manche seien noch nicht ganz in der Koalitionsrolle angekommen, verneint sie – und sieht dies als demokratischen Entscheidungsfindungsprozess. "Ich kann doch erst etwas vorlegen, wenn ich eine intensive Debatte im Bundestag geführt habe. Das ist Transparenz".
Journalistin Nadine Lindner attestierte den FDP-Impfpflichtgegnern indes: "Ich glaube, da hat sich bei der FDP dieser rechtspolitische Fokus über den gesundheitspolitischen Fokus gelegt bei dieser Entscheidung".
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Hans (CDU): "Wir waren in einer anderen Situation"
Der Immunologe Carsten Watzl und CDU-Politiker Tobias Hans sind sich hingegen weitgehend einig: Eine Impfpflicht muss her – zumindest als "Ultima Ratio" und, so Hans, "wenn alle Möglichkeiten ausgeschöpft sind". Daran, dass sich die CDU zunächst gegen eine Impfpflicht gestellt, ihre Meinung aber geändert hatte, sieht Hans kein Problem. "Sie müssen sehen, dass wir damals, im Spätsommer, in einer anderen Situation waren. Damals waren wir davon überzeugt, dass eine hohe Impfquote uns hilft, im Winter nicht ganz so hohe Zahlen zu haben. Das hat sich nicht bewahrheitet", so der Politiker.
Dass das von Jens Spahn und der CDU propagierte und deklarierte Ende der "epidemischen Lage" ein Fehler war, räumte er jedoch ein: "Natürlich war es falsch aus heutiger Sicht. Aus der damaligen Sicht konnte man das aber nicht absehen".
Immunologe fordert "Notschalter"
Watzl indes ist für eine Art Notschalter – einen Zeitpunkt, an dem die allgemeine Impfpflicht eingeführt wird, sollten weitere Maßnahmen nichts mehr helfen. "Wir werden nächsten Winter noch so viele Ungeimpfte haben, dass wir wieder Einschränkungen einführen müssen, um diese Gruppe zu schützen", prophezeit er – und deutet an, dass man mit Erklärungs- und Überzeugungsversuchen bei Impfgegnern nicht mehr weiterkomme: "Ich merke auch, dass ich langsam an die Grenzen stoße und wir nicht mehr vorankommen", so Watzl.
Bei einer (auch gegebenenfalls nur spezifische Gruppen betreffenden) Impfpflicht an sich stellt sich eine zusätzliche Frage – nämlich die eines Impfregisters. Während Gesundheitsminister Karl Lauterbach sich kürzlich gegen ein solches Register aussprach, möchte Aschenberg-Dugnus dies nicht pauschal beantworten. "Die Frage eines Impfregisters ist ja: 'Was will ich damit machen?' Wir haben ein Krebsregister, das sehr gut läuft, da sind die Daten anonymisiert". Einem solchen anonymisierten Register (bei dem nur Daten wie Geschlecht und Alter erfasst sind) wäre die FDP-Politikerin nicht abgeneigt. Tobias Hans sieht dies indes skeptisch: Ein anonymisiertes Impfregister führe zu keiner Datenklarheit.
Verwirrung bei Quarantäneregeln
Die von der Bundesregierung kommunizierten neuen Quarantäneregeln sorgten hingegen für Verwirrung – auch bei der FDP-Politikerin selbst. Als diese nämlich Details zu den Verkürzungen der Quarantänezeit umreißt, kommt sie selbst etwas ins Stolpern, und zwar so sehr, dass Moderator Lanz sie als "überfordert" bezeichnet, was sie allerdings vehement verneinte. Ebenfalls thematisiert wurde die Unzuverlässigkeit der Statistiken und Zahlen. Laut Watzl sei eine verkürzte Quarantänezeit aber durchaus logisch: "Das hat den Hintergrund, dass mit Omikron sich mehr Leute infizieren. Das führt dazu, dass das Immunsystem das Virus viel besser bekämpft. Ich bin dann nach ein paar Tagen nicht mehr infektiös. Deshalb erkranke ich nicht schwer".
Kritik an Datenerhebung
Kritik gab es auch an der Datenerhebung und der oft mangelnden Aktualität der Covid-Statistiken. "Wir müssen die Versäumnisse der mangelhaften Digitalisierung der letzten Jahre aufarbeiten, damit gewisse Prozesse schneller passieren", erklärte Aschenberg-Dugnus. CDU-Politiker Hans beschwichtigte, dass es über die Feiertage nie besonders valide Daten gebe – damit müsse man eben leben.
Nadine Lindner argumentierte, hier müsse man einräumen, dass dies nicht einzig auf "strukturellem Versagen" fuße: "Zu Weihnachten verhalten sich Menschen eben anders. Es gab ja nicht nur ein anderes Meldeverhalten, sondern auch ein anderes Alltagsverhalten. Deswegen ist es ein Stück weit nicht nur ein Versagen der Strukturen".
Dass sich auch in Deutschland die Omikron-Fälle rasant vermehren, ist für Watzl indes nicht überraschend. "Wenn die Nachbarländer ein Indikator sind, wird es steil nach oben gehen". Dies sei allerdings möglicherweise sogar dienlich für ein Ende der pandemischen Lage. Omikron sei zwar ansteckender, für Geimpfte dafür zwischen 60 und 70 Prozent harmloser als die Delta-Variante, ein schwerer Verlauf sei somit noch unwahrscheinlicher.
"Omikron wird dazu führen, dass sich viel mehr Menschen infizieren. Und die Infektion führt zur Immunität". Die Impflücke könne nur mit der neuen Variante zwar nicht geschlossen werden, erklärt er, räumte allerdings ein: "Aber Omikron wird dazu beitragen". Auf ein gänzliches Verschwinden des Virus solle man hingegen nicht hoffen: "Das Virus wird immer da sein".
- "Markus Lanz" vom 5. Januar 2022