Überblick | Fünf Jahre NSU-Prozess Wie das Verfahren um Zschäpe & Co enden könnte
Seit genau fünf Jahren untersucht das Münchner Oberlandesgericht die Verbrechen des "Nationalsozialistischen Untergrunds". In den kommenden Wochen könnte endlich ein Urteil fallen.
Es ist eine anstrengende, eine komplizierte, eine zähe Suche nach der Wahrheit im NSU-Prozess. 422 Verhandlungstage dauert sie schon. An diesem Sonntag ist es exakt fünf Jahre her, dass das Verfahren vor dem Oberlandesgericht München begann – im fensterlosen Saal 101 des Strafjustizgebäudes. Fragen und Antworten zu dem Prozess, der jedenfalls einer der längsten der Nachkriegsgeschichte ist:
Warum dauert der Prozess eigentlich so lange?
Das liegt schon an dem umfangreichen Stoff und der großen Zahl Beteiligter: fünf Angeklagte mit zusammen gut einem Dutzend Verteidigern, drei Vertreter der Bundesanwaltschaft, rund 90 Nebenkläger sowie fünf Richter plus Ergänzungsrichter, mehrere hundert Zeugen, mehr als 100.000 Aktenseiten – ein Mammutverfahren. Erschwerend kommt hinzu, dass es sich einen Indizienprozess handelt. Das Gericht muss die Verbrechen des "Nationalsozialistischen Untergrunds" in akribischer Detailarbeit untersuchen: zehn Morde, neun davon rassistisch motiviert, einer an einer deutschen Polizistin; zwei Sprengstoffanschläge in Köln mit Dutzenden Verletzten; 15 Raubüberfälle, mit denen der NSU sein Untergrundleben finanzierte. Es ist ein riesiges Mosaik, das das Gericht zusammensetzen muss, um am Ende über Schuld oder Unschuld der Angeklagten entscheiden zu können.
Aber was genau zieht das Verfahren so in die Länge?
Im wesentlichen sind drei Dinge: nämlich erstens die aufwendige Beweisführung, die sich teils mit Kleinstdetails befassen muss. Zum zweiten die vielen juristischen Finessen, mit denen jede Seite kämpft – mal eine Verteidigerpartei gegen die Bundesanwaltschaft, mal Nebenkläger und Angeklagte gegen die Bundesanwaltschaft, mal Nebenkläger mit Bundesanwaltschaft gegen Angeklagte – je nach Prozess- und Interessenslage. Und schließlich: Dutzende Befangenheitsanträge von Angeklagten, manchmal inhaltlich ineinander verschachtelt und nur sehr aufwendig aufzulösen. Mit dem Mitangeklagten André E. wurde es zuletzt so arg, dass die Bundesanwaltschaft die Abtrennung seines Verfahrens forderte. Eine Entscheidung hat das Gericht zurückgestellt.
Wo steht der Prozess nun?
Eigentlich unmittelbar vor dem Abschluss. Die Bundesanwaltschaft hatte ihr Plädoyer schon im vergangenen Herbst beendet, die Nebenkläger waren im Februar fertig. Und nach wochenlangen Verzögerungen laufen nun die Plädoyers der Verteidiger. Die Wunschverteidiger der Hauptangeklagten Beate Zschäpe sind schon fertig, die Anwälte des Mitangeklagten Carsten S. ebenfalls. Kurz nach Pfingsten sollen sämtliche Plädoyers beendet sein – wenn nichts dazwischenkommt. Urteil noch vor den Sommerferien? Möglich. Wie gesagt: Wenn nichts dazwischenkommt.
Warum hat Zschäpe eigentlich so viele Anwälte?
Weil das Gericht keinen anderen Weg sah, den Prozess gegen sie rechtmäßig weiterzuführen. Mit ihren drei ursprünglichen Pflichtverteidigern überwarf sie sich, als die Beweisaufnahme schon annähernd beendet war. Darum wollte das Gericht sie nicht aus dem Verfahren entlassen. Es berief darum nur einen weiteren Pflichtverteidiger, Mathias Grasel, der mit Wahlverteidiger Hermann Borchert zusammenarbeitet.
Welche Strafen könnte das Gericht am Ende gegen Zschäpe verhängen?
Das ist völlig offen. Die Plädoyers von Bundesanwaltschaft, Nebenklägern und Verteidigern gehen jedenfalls weit auseinander. Bundesanwalt Herbert Diemer hatte die Höchststrafe verlangt: lebenslange Haft und anschließende Sicherungsverwahrung. Die Angeklagte habe zwar nicht selber geschossen, sei aber trotzdem als Mittäterin an den Morden und Anschlägen ihrer Komplizen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos zu verurteilen. Borchert und Grasel argumentierten dagegen, auch unter Verweis auf höchstrichterliche Urteile, Zschäpe könne nicht als Mittäterin bestraft werden – weil sie von den Morden immer erst im Nachhinein erfahren, diese nicht gewollt und nicht unterstützt habe.
Und was ist mit den vier Mitangeklagten?
Für den mutmaßlichen Terrorhelfer Ralf Wohlleben forderte Diemer zwölf Jahre Haft wegen Beihilfe zum Mord in neun Fällen. Wohlleben soll die "Ceska"-Pistole organisiert haben, mit der der NSU später neun Menschen ausländischer Herkunft ermordete. Carsten S. soll die Waffe in Wohllebens Auftrag zu den abgetauchten NSU-Terroristen gebracht haben; er soll nach dem Willen der Anklage drei Jahre Jugendstrafe bekommen. Seine Verteidiger fordern Freispruch – wegen fehlenden "bedingten Vorsatzes": Er habe von den Mordplänen nichts gewusst und hätte sie auch nicht gebilligt.
Für André E. forderte Diemer ebenfalls zwölf Jahre Haft, für Holger G. fünf Jahre. Beide sollen das NSU-Trio bis zum Schluss unterstützt haben – mit Papieren, Legenden, falschen Identitäten und logistischer Hilfe für das Leben im Untergrund.
Ist der NSU-Komplex nach dem Prozess dann restlos aufgeklärt?
Nein. Zu Hintermännern und weiteren Helfern führt die Bundesanwaltschaft seit Jahren parallel zum Prozess noch Ermittlungen gegen Dutzende Verdächtige. Über diese Ermittlungen ist aber nur wenig bekannt. Manche Ermittlungsergebnisse sind unter den Beteiligten strittig. Etwa: War ein Geheimdienst-Beamter beim Kasseler NSU-Mord im Jahr 2006 wirklich nur zufällig während der Tat am Tatort? Ging es beim Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter wirklich nur um die Dienstwaffe als Beute? Viele dieser Fragen werden wohl offenbleiben.
- dpa