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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ihre Botschaft ist brandgefährlich Die erschütternden Tricks der Hassprediger
Mit Antworten auf Alltagsfragen zum Thema Religion wollen Prediger auf TikTok jungen Menschen den Islam näherbringen. Dahinter stecken radikale Ansichten.
Mit der Kurzvideo-App TikTok verbinden die meisten Menschen alberne Tänze, harmlose Streiche und kuriose Szenen aus dem Alltag. Doch längst passiert dort viel mehr: Politische, gesellschaftliche und religiöse Gruppierungen haben das Potenzial erkannt, auf der Plattform unkompliziert Millionen junger Menschen zu erreichen.
Das tun auch muslimische Prediger, die dort Alltagsfragen zum Thema Islam beantworten, wie "Was passiert, wenn ich unabsichtlich Schweinefleisch esse?" oder "Darf man alkoholfreies Bier trinken?".
Doch hinter den harmlosen Fragen stecken häufig radikale Ansichten, einige der Prediger werden vom Verfassungsschutz beobachtet und als Salafisten eingestuft. Auf TikTok sollen sie junge Menschen radikalisieren, ohne dass diese das wirklich mitbekommen.
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TikTok: Das sind kurze, teils alberne Tänze, harmlose Streiche und kuriose Szenen aus dem Alltag. Das ist zumindest der Eindruck, den ein Großteil der Gesellschaft von der App hat. Doch längst passiert dort viel mehr.
Denn in den kurzen Videos bekommen junge Leute mittlerweile einfache Antworten auf unterschiedlichste Fragen aus den Bereichen Politik, Gesellschaft, Religion.
"Was ist die Scharia? Die Scharia ist das islamische Rechtssystem. Und die Scharia – damit befassen sich auch die islamischen Rechtsgelehrten. Also: Das sind die Regeln im Islam."
Ibrahim El Azzazi ist einer von zahlreichen Predigern, die auf TikTok über den Islam sprechen. Das Konzept ist einfach: Jungen Leuten, die auf der Suche nach Antworten und einem Lebenssinn sind, den Weg zum Islam weisen. Genauer: zu einem konservativen Islam, der für sie der einzig richtige sei.
"Die Stärke der Frau liegt in ihrer Schwäche. Das heißt: Wenn sie schwach ist, zierlich ist, weiblich ist, dann ist das ihre Stärke. So bekommt sie, was sie möchte. Und genauso der Mann: Er sollte auch eine gewisse Männlichkeit und Mut und Stärke und so weiter wahren. Der Prophet hat, wie ihr wisst, diejenigen der Frauen verflucht, die wie Männer sind und diejenigen der Männer, die wie Frauen sind. Und deswegen sagen wir ganz einfach, dass jeder seine klare Rolle hat und jeder ganz einfach nicht versuchen sollte, etwas zu sein, was er nicht ist."
El Azzazi wird vom Bayerischen Verfassungsschutz beobachtet und von den Behörden als Salafist eingestuft. Seine Videos böten einen "niederschwelligen Einstieg in salafistische Denkweisen", schrieb der Verfassungsschutz in einem Bericht aus dem Jahr 2022. Als nahbarer "Muslim von nebenan" vermittle er seine Ansichten. Und streut auch Antworten auf kuriose Fragen ein.
"Amarship 123 möchte wissen: Darf man in einer Moschee Fußball spielen?"
"In einer Moschee Fußball spielen? Wenn man dabei nichts beschädigt und keine Betenden oder Koran-Lesenden oder andere stört, ist das kein Problem."
Ibrahim El Azzazi ist nicht der einzige Prediger dieser Art auf TikTok. Männer wie Abul Baraa und Pierre Vogel verfahren nach ähnlichem Muster und werden deswegen ebenfalls beobachtet. "Die zeitliche und inhaltliche Verkürzung der Themen und Erklärungen hat potenziell zur Folge, dass zentrale Glaubensaspekte nur oberflächlich vermittelt, konkurrierende beziehungsweise abweichende Sichtweisen verschwiegen und salafistische Feindbilder transportiert werden", warnt der bayerische Verfassungsschutz, dessen Aussagen nahelegen: Junge Menschen könnten von den TikTok-Predigern radikalisiert werden, ohne es wirklich mitzubekommen. Denn wer hinter die oft ungefährlich wirkenden Alltagsfragen schaut, bekommt Einblicke in die Ansichten der vermeintlich harmlosen Prediger.
"Hier sind manchmal Leute, die schämen sich, zu sagen, dass sie Muslim sind. Sie sagen nicht mehr in der Öffentlichkeit: Ich bin Muslim. Ihr seht Frauen, die sich halbnackt machen, nur damit sie nicht unter den Kuffar-Frauen auffallen. Und dann? Was ist der nächste Schritt? Dass du deine Religion verlässt? Möchtest du für die paar Jahre, die du hier gelebt hast… Und was für ein Leben ist das? Ein erniedrigtes Leben. Dass du denjenigen, die keine Rechtleitung haben … Dass du ihnen folgst in ihren Sitten, in ihren Traditionen, in ihren verkehrten, falschen Vorstellungen … Und zum Schluss verlierst du noch das Paradies dafür."
Eine Radikalisierung findet auf TikTok aber nicht nur im Bereich Religion statt. Auch politische und gesellschaftliche Gruppierungen, vor allem aus dem rechten Spektrum, nutzen Kanäle der App, um Einfluss auf junge Menschen auszuüben. TikTok ist so stark in deren Alltag verankert, dass sie Inhalte oft ohne größere kritische Reflexion anschauen. Die große Menge an Videos und Kanälen macht es den Behörden zudem schwer, einen Überblick zu behalten.
Problematische Inhalte sperren zu lassen, gestaltet sich ohnehin schwierig. TikTok ist eine chinesische App, die schon länger aufgrund von Problemen beim Daten- und Jugendschutz in der Kritik steht. Eine neue EU-Vorschrift soll das schnelle Löschen von Hassrede und Falschinformationen vereinfachen.
Mit welchen Videos und Methoden muslimische Prediger auf TikTok Jugendliche zu einer radikalen Auslegung des Islam treiben und was der Verfassungsschutz dazu sagt, sehen Sie im Video direkt hier oder oben.
- Videos von Predigern auf TikTok
- Bericht des Bayerischen Verfassungsschutzes