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Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Eklat bei Pressekonferenz Das fatale Schweigen des Kanzlers
Palästinenserführer Mahmud Abbas hat bei einer Pressekonferenz im Kanzleramt den Holocaust relativiert. Warum Scholz nicht reagierte – es aber hätte tun müssen.
Wer es in der Spitzenpolitik weit bringen will, muss vor allem eines können: sich im Griff haben. Die Geschichte ist voll mit Fällen, in denen Politiker an einer unbeherrschten Geste, einer Äußerung gescheitert sind. Zwei Beispiele aus Deutschland: 2021 versetzte Unions-Spitzenkandidat Armin Laschet mit einem unbedachten Lachen im Gebiet der Flutkatastrophe seiner Kanzlerkandidatur den Todesstoß. Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne), die ebenfalls wegen ihres Verhaltens während der Flutkatastrophe in der Kritik stand, gab sich mit einem emotionalen Presseauftritt den Rest.
Die Königsdisziplin für Kanzler
Regierungschefs müssen die Kunst der Selbstbeherrschung noch stärker verinnerlicht haben als andere. Denn sie stehen unter besonderer Beobachtung. Ein falsches Wort kann eine internationale Krise oder sogar Kriege auslösen. Auch treffen sie in ihrem Amt auf die unterschiedlichsten Gesprächspartner: auf vernünftige Demokraten, aber auch irrationale Despoten. Sich nichts anmerken zu lassen, wenn ein Staatsgast gerade wieder einmal den größten Mist von sich gibt, diplomatisch zu bleiben, ist gewissermaßen eine Königsdisziplin für Kanzler und Präsidenten.
Nur so ist zu erklären, warum Olaf Scholz am Dienstag schwieg, als Palästinenserführer Mahmud Abbas bei einer gemeinsamen Pressekonferenz die israelischen Militärinterventionen im Gaza-Streifen mit dem größten Menschheitsverbrechen der Geschichte verglich.
Auch sein Sprecher Steffen Hebestreit verhielt sich ganz so, wie er es für diese Rolle gelernt hat. Er ließ sich nichts anmerken und moderierte die Veranstaltung ab. Das war ein Fehler. Denn so wichtig die Beherrschung der Reflexe sein mag, in einem Punkt gilt sie nicht: wenn es um den Holocaust geht. Hier muss vielmehr der Reflex sein, immer und überall gegenzuhalten, wenn es Versuche gibt, diesen zu leugnen oder zu relativieren. Auch wenn man damit den Gast vermeintlich "vor den Kopf stößt". Wer den Holocaust kleinreden will (und dann auch noch bei einem Besuch in Deutschland), muss das klare Signal erhalten, dass dies nicht hingenommen wird.
Wie hätte sich Merkel verhalten?
Wie hätte sich Scholz' Vorgängerin Angela Merkel verhalten? Auch sie kontrollierte ihre Gefühle manchmal bis zur Selbstverleugnung. Und doch spricht viel dafür, dass sie hier interveniert hätte. Nie hat sie Zweifel gelassen, dass die Sicherheit Israels für sie ein unverhandelbarer Teil der deutschen Staatsräson ist. Dazu gehört auch der kompromisslose Kampf gegen Antisemitismus.
Niemand, der Olaf Scholz kennt, wird infrage stellen, dass er sich nicht der Besonderheit der deutsch-israelischen Beziehungen bewusst ist. Umso wichtiger aber ist es, dass er dies auch öffentlich demonstriert. Und so falsch sein Sprecher reagiert haben mag: Natürlich hätte der Kanzler sich selbst noch einmal zu Wort melden können, ja, melden müssen. Es mag richtig sein, sich so gut wie alle Reflexe in der Politik abzutrainieren. Der Reflex, der Relativierung des Holocausts zu widersprechen, gehört definitiv nicht dazu.
- Eigene Recherche