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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kanzlerkandidaten treffen auf Kinder "Haben Sie ein schlechtes Gewissen beim Abschreiben Ihres Buchs?"
So ratlos sieht man Kanzlerkandidaten selten. Scholz, Laschet und Baerbock haben sich auf Sat.1 den Fragen von Schülerinnen und Schülern gestellt. Die sind niedlich – aber auch erbarmungslos.
Beim Stresstest im Klassenzimmer geht es direkt zur Sache. "Haben Sie ein schlechtes Gewissen beim Abschreiben Ihres Buchs?", will Lucas von Annalena Baerbock (Die Grünen) wissen. Worüber habe Armin Laschet (CDU) eigentlich genau während der Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Hochwassergebiet gelacht, fragt Eva den Kandidaten der Union. Und hätte Olaf Scholz (SPD) als kompetenter Finanzminister den Wirecard-Skandal nicht früher aufdecken müssen?
Die drei Spitzenkandidaten haben sich in der Sat.1-Sendung "Kannste Kanzleramt?" am Donnerstagabend den Fragen von Schülern gestellt. Die bescheinigten am Ende zwar allen Gästen, zum Regierungschef zu taugen. Ihr Favorit war allerdings ziemlich klar zu erkennen.
Baerbock kommt gut an
Bei der Ankunft von Baerbock in dem Berliner Klassenzimmer machte sich fast ein wenig Superstar-Stimmung breit. Es war klar: Die Grünen-Vorsitzende genoss unter den Kindern den größten Bekanntheitsgrad. Sat.1 hatte nach einem Aufruf deutschlandweit 17 Schüler ausgesucht, um die Kanzlerkandidaten auf Herz und Nieren zu prüfen. Sie waren zwischen 8 und 13 Jahre alt und konnten ihre Fragen laut dem Sender frei, ohne Vorgaben stellen.
Die Schüler waren mit den Politikern allein, gefilmt wurde mit acht ferngesteuerten Kameras. Baerbock profitierte sicher auch davon, dass sie bei der Aufzeichnung am 2. August 2021 die erste Besucherin war (Laschet und Scholz folgten zwei Wochen später) und damit für die Kinder noch alles besonders aufregend war. Die Mutter zweier kleiner Töchter hatte zudem erwartungsgemäß einen lockereren Umgangston drauf als ihre mindestens 20 Jahre älteren Konkurrenten. Baerbock nahm die Schüler aber auch durch ihre Antworten für sich ein.
Baerbock zu Plagiaten: "War nicht richtig"
Bei den Plagiatsvorwürfen redete die Spitzenkandidatin nicht groß herum. Sie habe sich für ihr Buch viele Notizen gemacht. "Ich habe das alles in mein Buch reingepackt und hab dann an manchen Stellen aber nicht dazugeschrieben, von wem ich das eigentlich mal gehört habe oder wo ich das mal gelesen hab. Das war nicht richtig", räumte Baerbock ein. Es tue ihr also leid, hakte Lucas nach. "Ja. Das war ein Moment, wo ich mich richtig drüber geärgert habe", gab sie zu.
Laschet war weniger bereit, sich eine Blöße zu geben. "Das war blöde", räumte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident zwar zu seinem Lacher während Steinmeiers Rede ein. Der Bundespräsident habe weit von ihm entfernt gestanden. "Ich habe kein Wort verstanden. Und da hat irgendwer eine blöde Bemerkung gemacht und dabei sind dann diese Bilder entstanden. Das war blöde. Das tut mir leid." Über was genau er sich amüsiert hatte, wollte Laschet aber nicht verraten und blockte ab: "Es lohnt nicht, es zu vertiefen. So wichtig war es nicht."
Laschet: SPD will nicht mehr mit Union
Beim Thema Afghanistan und bewaffneten Auslandseinsätzen hatte der Unions-Kandidat eine schlechte realpolitische Nachricht für die Schüler. "Können wir überall in der Welt, wo Diktaturen sind, mit der Bundeswehr sein? Das geht ja auch nicht." Steuererhöhungen für Spitzenverdiener lehnte er im Gegensatz zum Noch-Regierungspartner Scholz ab. Fast schien er den jedoch zu umwerben. So schlecht sei die große Koalition ja nicht gewesen, bescheinigte Laschet der SPD – aber "die will ja nicht mehr so richtig".
Scholz wurde klarer und fand, "dass die CDU/CSU sich mal erholen müssen in der Opposition". Im Gegensatz zu Baerbock und Laschet vermied es der Sozialdemokrat, sein Kompetenz-Image durch irgendein Schuldeingeständnis zu beschmutzen. Fehlende Laptops und Internetverbindungen an Schulen? Habe er als Regierungschef in Hamburg schnell eingeführt und wolle das jetzt in ganz Deutschland umsetzen.
Scholz: Schüler stellen gute Fragen
Cool blieb er auch bei Rücktrittsforderungen wegen des Wirecard-Skandals. "Weil ich alles gemacht habe, damit solche Sachen nie wieder passieren", sagte Scholz. "Aber hätte das Finanzministerium den Skandal denn nicht früher aufdecken können?", hakte ein Schüler nach. "Da bin ich sicher, dass das mit den Möglichkeiten, die wir bisher hatten, nicht gegangen wäre", stellte Scholz sich ein Hilflosigkeitszeugnis aus.
Der SPD-Kandidat, der gerade in Umfragen im Höhenflug ist, wirkte sogar noch stärker als Laschet als typischer Politvertreter. "Eine ganze Bandbreite von Fragen, die auch jeder Journalist, jede Journalistin stellen würde", attestierte er den Schülern nach dem Besuch und meinte das als Kompliment. "Toll, hat Spaß gemacht. Ich glaube, den Kindern hat es auch gefallen", sagte Laschet. Er punktete vor allem, als er spontan Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auf dem Handy anrief und für die Schüler laut stellte. Die hatten sich zwar eigentlich Angela Merkel gewünscht. Da musste Laschet sie aber enttäuschen: "So einfach anrufen kann man eine Bundeskanzlerin nicht."
Darum schubste Laschet seine Frau
Der Unions-Kanzlerkandidat wurde auch persönlich. Noa wollte wissen, warum er in der Grundschule denn bloß seine spätere Ehefrau geschubst hatte. Sie habe sich über ein Mädchen lustig gemacht, das er nett gefunden habe, verriet Laschet. "15 Jahre später habe ich sie dann geheiratet. Aber die erste Begegnung war nicht ganz so nett." Der Vater dreier Kinder hatte für den Nachwuchs eine Erkenntnis parat, die einige sichtlich erschaudern ließ: "Wenn du jetzt einen Jungen triffst, den du eigentlich doof findest, könnte es sein, dass du ihn irgendwann sogar mal heiratest."
Scholz vermied sehr persönliche Einblicke. Die Frage: "Wovor haben Sie am meisten Angst?", beantwortete er staatsmännisch. "Ich habe Sorge, dass es in der Welt nicht friedlich zugeht. Dass irgendwo Krieg herrscht. Das ist, finde ich, das Schlimmste und deshalb muss man auch für Frieden sorgen, wenn man Kanzler ist."
"Wovor hast du am meisten Angst?"
"Was ist das Peinlichste, das Ihnen passiert ist?", wollte ein Junge wissen. "Oh, da gibt es viele Dinge und ich erinnere mich lieber nicht dran", blockte der Kanzlerkandidat, der die Kinder im Gegensatz zu Laschet und Baerbock auch meist nicht mit Namen aufrief. Denen gelang es eher, mit den Schülern in ein Gespräch zu kommen. "Wovor hast du am meisten Angst?", fragte Keana die Grünen-Politikerin. "Dass meinen Kindern etwas Schlimmes passiert", sagte die und die Schüler nickten. Bei ihnen sei es vermutlich die Sorge, dass ihren Eltern etwas zustoßen konnte, mutmaßte Baerbock.
Luis erzählte daraufhin, dass seine Mutter geweint hatte, als er nach einem Sturz vom Baum im Krankenhaus gelandet war. Baerbock teilte, dass auch sie mal beim Klettern abgestürzt und sich den Arm gebrochen hatte. Dann sagte sie etwas – und für den Bruchteil einer Sekunde schien ihr aufzugehen, dass die Erkenntnis auch gut auf ihre Kandidatur passt. "So ist das im Leben. Man probiert mal was Neues aus und stellt fest: Nächstes Mal nimmt man den dickeren Ast."
- Sat.1: "Kannste Kanzleramt?"