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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Tim Walz im Fokus Trumps China-Angriff läuft ins Leere
Tim Walz hat eine enge Beziehung zu China, bereiste die Volksrepublik bereits 30 Mal. Donald Trump versucht, dem demokratischen Vizepräsidentschaftskandidaten daraus einen politischen Strick zu drehen.
Bei allen politischen Unterschieden sind sich Demokraten und Republikaner im US-Präsidentschaftswahlkampf vor allem über eine Sache einig: Der Hauptrivale der USA im machtpolitischen Konzert der Großmächte ist eindeutig China. Kein Wunder also, dass Vizepräsidentin Kamala Harris und der ehemalige US-Präsident Donald Trump vor allem damit werben, Stärke gegenüber Peking demonstrieren zu wollen.
Bei der fast schon verzweifelten Suche nach Möglichkeiten, Kamala Harris und ihr Team anzugreifen, sind die Republikaner auf eine Sache gestoßen: die Beziehungen des demokratischen Vizepräsidentschaftskandidaten Tim Walz zu China. Walz liebt China, reiste bereits 30 Mal in die Volksrepublik, spricht sogar etwas Chinesisch. Diese Nähe soll – wenn es nach Trumps Republikanern geht – Harris im Wahlkampf zum Verhängnis werden.
Doch die Angriffe der Republikaner auf Walz entpuppen sich als populistische Lüge und schon wieder prallt damit ein Frontalangriff des Trump-Lagers an Harris und Walz ab. Der China-Schuss könnte für den ehemaligen Präsidenten sogar nach hinten losgehen.
"Es war eine großartige Erfahrung"
Dabei ist unbestritten, dass Walz eine enge Beziehung zu China pflegt. Bei seinem ersten Auslandsflug überhaupt in seinem Leben besuchte er 1989 die südöstlich gelegene Stadt Guangdong. Zudem unterrichtete der Gymnasiallehrer ebenfalls 1989 ein Jahr lang am Ersten Gymnasium von Foshan in Südchina.
Es ist im Prinzip eine Geschichte der Völkerverständigung. Walz wurde von seinen Schülern "der Großnasige" genannt, bereiste das Land drei Monate mit dem Bus, lernte die Sprache ein wenig. Seine Lehrtätigkeit lief in dieser Zeit über die gemeinnützige Organisation "World Teach", die von Studierenden der Harvard-Universität gegründet wurde. Es war in jedem Fall die Zeit, in der die China-Faszination des heute 60-Jährigen begann.
Aber ist es mehr als das?
Nachdem Kamala Harris den Gouverneur von Minnesota als Vizepräsidentschaftskandidaten nominiert hatte, suchten die Republikaner nach möglichen Angriffspunkten in dessen Biografie. Sie fanden einen Artikel in der Lokalzeitung "Chadron Record" aus dem Jahr 1990. "Egal, wie lange ich lebe, ich werde nie wieder so gut behandelt werden", sagte Walz der Zeitung. "Sie haben mir mehr Geschenke gemacht, als ich mit nach Hause nehmen konnte. Es war eine großartige Erfahrung."
Trumps Team nährt Zweifel
Ebendiese Aussagen werden nun auch von prominenten Republikanern als Beweis dafür herangezogen, dass Walz' China-Nähe gefährlich für die USA sei. Richard Grenell, Trumps früherer Botschafter in Deutschland, schrieb auf X: "Niemand ist mehr pro China als der Marxist Walz." Der republikanische Senator Marco Rubio warf ihm auf X sogar vor, ein chinesischer Agent zu sein. Walz sei ein Beispiel dafür, wie Peking geduldig zukünftige amerikanische Führer heranbildet, die "China erlauben würden, unsere Arbeitsplätze und Fabriken zu stehlen und Amerika mit Drogen zu überschwemmen".
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Der Vorwurf der Republikaner ist demnach: Walz kooperiert mit dem Feind. Aber haben diese Angriffe auf den Demokraten Substanz?
Es ist wohl eher so, dass Trumps Wahlkampfteam die Hoffnung hat, dass die Angriffe bei möglichst vielen Amerikanern Zweifel an Walz' Integrität nähren. Dabei wird mit dem zweiten Blick auf die China-Vergangenheit des Demokraten klar, dass er vor allem mit dem chinesischen Volk sympathisiert und eben nicht mit dem kommunistischen Regime.
Schon während einer seiner Aufenthalte in China besuchte Walz etwa den Platz des Himmlischen Friedens, wo die chinesische Führung die Demokratiebewegung 1989 blutig niederschlug. Dieser Ort "wird für die Menschen immer viele bittere Erinnerungen bereiten", sagte der Demokrat 1990 dem "Chadron Record".
Deutliche Kritik am chinesischen Regime
Aber das ist nicht alles. Er äußerte im Gespräch mit der Lokalzeitung seine Kritik an der Kommunistischen Partei Chinas noch unverblümter. "Wenn sie die richtige Führung hätten, wären dem, was die Chinesen erreichen könnten, keine Grenzen gesetzt." In der Lokalzeitung "The Times Herald" wiederum beschrieb er bereits das Handelsdefizit mit China als Problem für die USA: "Die chinesische Regierung möchte, dass wir kaufen, was sie verkauft, aber sie kauft nicht, was wir verkaufen."
Walz kann also als Kritiker der chinesischen Führung gesehen werden. Das untermauerte er, in dem er zehn Jahre der Kongresskommission zu Menschenrechtsfragen in China angehörte. Im Jahr 2016 traf er den Dalai Lama, der in China als Staatsfeind gesehen wird. Walz reiste 1990 auch nach Tibet, führte eine Liste mit chinesischen politischen Gefangenen in der von Peking annektierten Region.
Doch Walz gehört eben auch nicht zu den US-Politikern, die die völlige Entkoppelung von China fordern. Er kritisierte zwar die Gebietsansprüche, die Peking im Südchinesischen Meer erhebt. Er verurteilte die chinesische Unterstützung von Wladimir Putin und seinem Angriffskrieg in der Ukraine. Dabei betont Walz allerdings auch oft, dass es in bestimmten Bereichen Kooperationen zwischen den USA und der Volksrepublik geben müsse – etwa bei der Bekämpfung des Klimawandels.
Walz ist also weder ein ideologischer Falke noch eine Taube, sondern betrachtet China jeweils aus der Perspektive des Schülers und des Lehrers. Im Angesicht der republikanischen Angriffe auf ihn stellten sich mittlerweile schon prominente China-Kritiker hinter den Demokraten. Der Hongkonger Aktivist Jeffrey Ngo nennt im Gespräch mit dem "Spiegel" solche Angriffe "unfair und unaufrichtig". "Man kann gleichzeitig die Kommunistische Partei kritisieren und Hochachtung vor den Menschen in China haben."
Doch unabhängig davon, ob die Anschuldigungen der Republikaner in der US-Gesellschaft verfangen, liegt eines auf der Hand: Auch in Peking wird man die Nominierung von Walz zum Vizepräsidentschaftskandidaten mit Interesse verfolgt haben. Denn in der chinesischen Bevölkerung könnten Walz' Sympathien gut ankommen und das könnte den Umgang mit ihm für Peking kompliziert machen.
Hinzu kommt, dass bei einem möglichen Wahlsieg von Kamala Harris mit Walz mehr China-Sachverstand in die kommende US-Administration einziehen würde. Und das wäre für den chinesischen Präsidenten Xi Jinping nicht unbedingt eine gute Nachricht.
- foreignpolicy.com: Tim Walz Has Always Been Consistent on China (englisch)
- spiegel.de: Die etwas andere China-Connection von Tim Walz
- ft.com: Tim Walz’s long history with China shaped by horrors of Tiananmen (englisch)
- faz.net: Die China-Connection von Tim Walz
- sueddeutsche.de: Für Peking ist der China-Kenner Tim Walz kein Verbündeter, sondern ein Risiko
- nytimes.com: Tim Walz’s Long Relationship With China Defies Easy Stereotypes (englisch)
- Eigene Recherche