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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kamala Harris' Rede von Chicago Kein Feuerwerk
Vor der wichtigsten Rede ihres bisherigen politischen Lebens wurde Kamala Harris überladen mit Erwartungen. Die konnte sie in Chicago kaum alle erfüllen. Das aber könnte ihr am Ende trotzdem zugutekommen.
Bastian Brauns berichtet aus Chicago.
Viele Zuschauer rechneten noch damit, dass vielleicht der amerikanische Superstar Beyoncé auftreten würde. Den Nachmittag über hatten sich Gerüchte dazu hartnäckig gehalten. Es hieß, die Demokraten hätten noch einen streng geheimen Überraschungsgast eingeladen. Das Klatschportal "TMZ" meldete sogar "exklusiv", der Weltstar werde kommen, um Kamala Harris zu unterstützen. Doch am Ende lief Beyoncés Hit "Freedom" in Chicago nur vom Band.
Aber es waren nicht nur die musikalischen Erwartungen, die an diesem letzten Tag des Nominierungsparteitags hoch waren und sich in Ernüchterung oder gar Enttäuschung zu verwandeln drohten. Als absoluter Höhepunkt hatte es Kamala Harris in Chicago nicht einfach. Nach mitreißenden Reden der vergangenen drei Tage von Michelle und Barack Obama, von der Moderatorin Oprah Winfrey und Ex-Präsident Bill Clinton, stand die 59-Jährige vor der wichtigsten Ansprache ihres bisherigen politischen Lebens.
Die Gefahr einer Pflichtübung
In einer historischen Nacht sollte sie ein rhetorisches Feuerwerk entfachen, um nicht nur die eigenen Leute, sondern die ganze Nation, zumindest aber die wichtigen Wechselwähler und die Zögerlichen mitzuziehen. Gemessen an Kamala Harris' atemberaubendem Höhenflug der vergangenen Wochen bestand die Gefahr, dass diese wichtige Rede der amtierenden Vizepräsidentin zu einer Art Pflichtübung verkommen und den guten Lauf einbremsen könnte.
Doch gleich zu Beginn gelang es Kamala Harris, mit persönlichen Worten Sympathie zu erzeugen. Sie grüßte Ihren Ehemann Douglas Emhoff, bekundete, wie sehr sie ihn liebe, um dann herzhaft lachend zu sagen: "Happy anniversary, Dougie". Das Paar feierte seinen 10. Hochzeitstag, und das Publikum jubelte gerührt mit den beiden. Weil Harris an diesem Abend die Chance nutzen musste, sich Millionen von amerikanischen Fernsehzuschauern besser bekannt zu machen, blieb sie auch gleich bei den persönlichen Dingen.
Nähe erzeugen über die Familie
Ihre bereits verstorbene Mutter, die sich als indische Einwanderin hocharbeiten musste, habe ihr und ihrer Schwester Maya eine wichtige Lektion erteilt, sagte Harris. "Sie hat uns beigebracht, uns nie über Ungerechtigkeit zu beschweren, sondern etwas dagegen zu tun." Vor diesem Hintergrund habe sie sich als junge Frau dazu entschieden, Staatsanwältin werden zu wollen. Gefallen sei dieser Entschluss, als sich ihr eine Freundin anvertraut habe, weil sie sexuell missbraucht worden sei.
Harris schaffte es an dieser Stelle ihrer Rede, nicht direkt auf Donald Trump zu verweisen. Und das, obwohl sie ihn bei vergangenen Wahlkampfauftritten schon oft attackiert hatte, weil Trump von einem Zivilgericht in New York wegen sexueller Nötigung verurteilt worden ist. Ihr Auftritt in Chicago richtete sich aber eben nicht nur an die eigenen Wählerinnern und Wähler, sondern an jene, die sie von Trump abhalten will. Sie entschied sich dazu, das bei diesem Thema nur indirekt zu tun.
Eine Präsidentin, auf die Verlass sein soll
Stattdessen sagte die Demokratin: "Heute Abend schauen Menschen mit unterschiedlichen politischen Ansichten zu. Ich möchte, dass Sie wissen: Ich verspreche Ihnen, eine Präsidentin für alle Amerikaner zu sein." Die Menschen könnten sich bei ihr immer darauf verlassen, dass sie das Wohl des Lands über ihre Partei und sich selbst stelle. "Ich werde die heiligen Grundprinzipien Amerikas hochhalten und einen friedlichen Machtübergang ermöglichen", sagte sie. Es war die nächste Anspielung auf Trump, der sich bis heute weigert, seine Niederlage gegen Joe Biden einzugestehen.
Eine der wichtigsten Aufgaben für die Vizepräsidentin war es, in ihrer Rede endlich mit politischen Inhalten zu punkten. Zu wenig ist bislang darüber bekannt, was ihre Politik von Donald Trump, aber vielleicht auch von Joe Biden konkret unterscheiden wird. Vom Schutz des Wahlrechts und der Abtreibungsrechte für Frauen bis zur Klima- und Grenzpolitik streifte Kamala Harris einige ihrer Vorhaben.
Stark beim Thema Frauenrechte
Wenngleich die wenig überraschend waren, brachte sie beim Thema Abtreibung die Arena mit dem Satz "Die [Republikaner] haben ihren Verstand verloren" erstmals zum Kochen. Trump und die Republikaner würden Frauen misstrauen. Die Demokraten hingegen würden Frauen vertrauen. Mit Stolz würde sie als künftige Präsidentin ein Gesetz unterschreiben, welches das Recht auf Abtreibung für Frauen festschreiben würde.
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Darum fokussierte sich Harris auf Außenpolitik
Zur Hochform lief Kamala Harris ausgerechnet beim Thema Außenpolitik auf. Nicht ohne zuvor dem großen amerikanischen Militärapparat ein martialisch anmutendes Versprechen zu machen. Die USA würden unter ihrer Führung, stets die "tödlichste Streitmacht der Welt" bleiben, sagte Harris und erntete den Jubel der Arena, in der auch viele Militärangehörige und Veteranen zu Gast waren.
Fünf Tage vor dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine habe sie sich als Vizepräsidentin mit Wolodymyr Selenskyj getroffen, um ihn vor Putin zu warnen. Sie versucht, sich präsidial zu geben, fähig, als erste Frau "Commander in Chief" werden zu können. Harris attackierte ihren Kontrahenten: "Trump hat damit gedroht, die Nato zu verlassen und damit Putin ermutigt, unsere Verbündeten anzugreifen." Dann gab sie ein klares Bekenntnis ab, das auch in der Ukraine und in Europa gerne gehört werden dürfte. "Als Präsidentin werde ich fest an der Seite der Ukraine und unserer Nato-Verbündeten stehen", sagte Harris.
"Ich werde mich nicht Tyrannen und Diktatoren wie Kim Jong Un anbiedern, die Trump unterstützen", rief Harris in die Arena. Denn die wüssten, dass Trump sich durch Schmeicheleien und Gefälligkeiten leicht manipulieren lasse. "Sie wissen, dass Trump Autokraten nicht zur Verantwortung ziehen wird, weil er selbst ein Autokrat sein will", so Harris. Trump sei durch und durch "unseriöser Mann". Wenn er ins Weiße Haus zurückkommen würde, hätte das gravierende Folgen.
Das Gaza-Problem für Harris
Einem für sie innerhalb der demokratischen Partei besonders heiklen Thema, dem Krieg im Gazastreifen, wich sie nicht aus. Nach wie vor drohen viele Sympathisanten der Palästinenser damit, ihre Stimme im November nicht für das Team Harris abzugeben. Demonstranten zogen mit Plakaten durch Chicago, auf denen unter anderem "Killer Kamala" zu lesen war. Auch auf dem Parteitag selbst blockierten Protestierende immer wieder Wege oder störten die Auftritte in der Arena. In verschiedenen Bundesstaaten, wie Michigan oder Georgia, könnte diese innerparteiliche Unruhe die Demokraten im Zweifel entscheidende Siege kosten.
Mit deutlicheren Worten, als es Joe Biden bislang tat, thematisierte Harris darum neben dem Leid der Israelis und dem der von der Hamas verschleppten Geiseln auch die Zehntausenden toten Palästinenser. Sie sprach sich für einen Waffenstillstand in Gaza aus und fügte hinzu, dass sie immer für Israels Recht auf Selbstverteidigung eintreten werde. "Das Volk Israel darf nie wieder dem Horror ausgesetzt sein, den eine Terrororganisation namens Hamas am 7. Oktober verursacht hat." Dann aber fügte sie auch hinzu: Was in Gaza passiere, sei verheerend und herzzerreißend.
Präsident Biden und sie würden rund um die Uhr daran arbeiten, diesen Krieg zu beenden, so Harris. "Damit Israel sicher ist, die Geiseln freigelassen werden, das Leid in Gaza endet und das palästinensische Volk sein Recht auf Würde, Sicherheit, Freiheit und Selbstbestimmung wahrnehmen kann", sagte sie und erntete dafür den größten Applaus des Abends. Das war ein wichtiges Signal in die Partei hinein. Ob das ausreicht, ist angesichts eines gerade erst wieder gescheiterten Deals im Nahen Osten aber unklar.
Jetzt beginnt die härteste Zeit
Kamala Harris begann und beendete ihre Rede vor den Demokraten in Chicago mit ihrer Mutter. "Unsere Gegner sind jeden Tag da draußen unterwegs, verunglimpfen Amerika und reden darüber, wie schrecklich alles ist", sagte sie. Eine Lektion habe sie als Tochter einst von ihrer Mutter aber auch mitgenommen. Und die habe gelautet: "Lass dir von niemandem sagen, wer du bist, sondern zeig' du ihnen, wer du bist". Nicht nur sich selbst solle man also nicht schlechtreden lassen, sondern auch nicht das eigene Land. "Also lasst uns das nächste große Kapitel schreiben", schloss Kamala Harris ihre Rede.
Am Ende dieses historischen Abends hatten sich im United Center von Chicago ein paar Luftballons unter der riesigen Hallendecke verhakt. Im für amerikanische Parteitage typischen Regen aus roten, weißen und blauen Luftballons wollten sie einfach nicht auf Kamala Harris, Tim Walz und ihre Familien herabschweben. Hakte es am Ende auch bei ihrer Rede, die rhetorisch mit denen der Obamas kaum mithalten konnte?
Fest steht: Mit ihrer Parteitagsrede, mit der sie unbedingt auch moderate Wähler erreichen musste, konnte die Gegnerin von Donald Trump gar nicht alle in sie gesetzten Erwartungen vonseiten der Demokraten bedienen. Ein ganz großes Feuerwerk aus Attacken gegen Trump hätte ihr womöglich mehr geschadet als geholfen. Nicht alles in diesem Wahlkampf kann glitzern und Spaß machen. Wäre Kamala Harris' Rede ein Fußballspiel gewesen, könnte man von einem Arbeitssieg sprechen. Solche schnörkellosen Siege sind wichtig, um die Meisterschaft zu holen.
Um gegen den Republikaner richtig zu zünden, sind jetzt die kommenden, entscheidenden Wochen da. Harris muss dazu unzählige Wahlkampfauftritte, vorwiegend in den wichtigen Swing States, absolvieren. Sie darf sich keine gravierenden Fehler erlauben. Und sie muss ihre erste Fernsehdebatte gegen Trump im September bestehen. Mit ihrer Rede von Chicago hat sie einen schweren Weg begonnen. Wohin er führt, zeigen ihr die Amerikaner im November.
- Eigene Beobachtungen vor Ort