Immunität in den USA Hat ein US-Präsident nun völlige Narrenfreiheit?
Es ist ein Ergebnis mit weitreichenden Folgen: Der Supreme Court hat geurteilt, dass ehemalige Präsidenten in Teilen vor Strafverfolgung geschützt sind. Können sie sich nun alles erlauben?
Der Supreme Court hat am Montag entschieden, dass ehemalige US-Präsidenten hinsichtlich offizieller Handlungen im Amt vor Strafverfolgung geschützt sind. Die Verfassung gewährt ihnen nicht explizit Immunität, auch nicht während ihrer Zeit im Amt. Allerdings ist das Justizministerium traditionell der Auffassung, dass Präsidenten zumindest während ihrer Zeit im Weißen Haus nicht angeklagt werden können.
Für Trump ist das ein Teilsieg: Einige seiner Gerichtsverfahren könnten fallen gelassen werden. Der Republikaner versucht noch immer, eine Klage des Sonderberaters Jack Smith abzuwehren. Dabei geht es um Trumps Aufruf zum Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 und seine Versuche, die Machtübergabe an Joe Biden zu vereiteln.
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Shugerman: "Verfassungsrechtliche Peinlichkeit"
Die Entscheidung des mehrheitlich konservativen Supreme Courts könnte bedeuten, dass die Verhandlung in dem Fall sehr wahrscheinlich bis nach den Wahlen im November verschoben wird. Sollte Trump gewinnen, wird das Justizministerium das Verfahren aller Voraussicht nach einstellen.
Oberster Richter John Roberts führte in der Mitteilung zur Entscheidung die zwei Formen der Immunität für Präsidenten aus: Es gebe absolute Immunität für "verfassungsmäßige Kernbefugnisse" und eine Immunitätsvermutung für "übrige Amtshandlungen". Die Aufsicht des Präsidenten über das Justizministerium falle in die erste Kategorie, ebenso die implizite Befugnis, Beamte der Exekutive zu entlassen. Dazu kommt, dass auch die Beweise in Verfahren davon betroffen sind. Die Geschworenen dürfen keine Beweise vernehmen, die in den Geltungsbereich der Immunität fallen, erklärt Juraprofessorin Kim Wehle. Für inoffizielle Handlungen genießen Präsidenten allerdings keine Immunität.
Einige Rechtsexperten zeigten sich empört über die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs. "Ich meine, diese Stellungnahme ist eine Peinlichkeit", sagte Jed Handelsman Shugerman, Juraprofessor und Joseph-Lipsett-Stipendiat an der Boston University School of Law. "Es ist eine historische, verfassungsrechtliche Peinlichkeit. Sie ist inkohärent. Es ist schwer zu entziffern."
Nicht alle Richter am Obersten Gericht sind einverstanden
Sonia Sotomayor, selbst Richterin am Obersten Gerichtshof, schrieb: "Wenn man über das Schicksal dieser speziellen Strafverfolgung hinausblickt, sind die langfristigen Folgen der heutigen Entscheidung deutlich." Das Gericht schaffe effektiv eine gesetzesfreie Zone um den Präsidenten herum und stelle damit den Status quo, der seit der Gründung des Landes besteht, auf den Kopf. Und weiter: "Die neue Immunität für Amtshandlungen liegt jetzt wie eine geladene Waffe für jeden Präsidenten herum, der seine eigenen Interessen, sein eigenes politisches Überleben oder seinen eigenen finanziellen Gewinn über die Interessen der Nation stellen will."
- Trumps juristische Probleme: Für ihn steht viel auf dem Spiel
Sie nannte dann noch "Albtraumszenarien", die daraus entstehen könnten: "Beauftragt das Seal Team 6 der Navy mit der Ermordung eines politischen Rivalen? Immun. Organisiert einen Militärputsch, um sich an der Macht zu halten? Immun. Nimmt eine Bestechung im Austausch für eine Begnadigung an? Immun. Immun, immun, immun, immun", schrieb sie.
David Super, Rechtsprofessor an der Georgetown University, sagte Al Jazeera: "Dies verändert die Präsidentschaft grundlegend." Und weiter: "Dies sind sicherlich die Art von Befugnissen, die Diktatoren sehr viel vertrauter sind als den Präsidenten demokratischer Länder."
- Trump
- Biden
Anklage muss nun genau hinschauen
Shugerman erklärte: 90 Prozent der Anklage gegen Trump gehe über diese beiden exklusiven Kernbefugnisse des Präsidenten hinaus. Juraprofessorin Wehle sagte zum Urteil: "Es ist sehr schwer zu erkennen, was von der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Präsidenten im Rechtsstaat noch übrig ist." Denn auch das dahinterstehende Motiv für fragwürdige Handlungen ist vor Gericht dann irrelevant.
Wie genau sich das Urteil auf Trumps Prozesse auswirken wird, bleibt abzuwarten. Fakt ist jedoch nach Einschätzung der Experten, dass die Anklage nun genau prüfen muss, welches Beweismaterial in die Anklage aufgenommen werden kann und ob es dann für den Beginn eines Prozesses überhaupt noch reicht.
- aljazeera.com: "How Supreme Court’s immunity ruling ‘transforms’ US presidency" (englisch)
- nytimes.com: "What the Supreme Court’s Immunity Decision Means for Trump" (englisch)
- npr.org: "Legal expert reacts to today’s Supreme Court ruling on presidential immunity" (englisch)
- edition.cnn.com: "Takeaways from the Supreme Court’s historic decision granting Donald Trump immunity" (englisch)
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa