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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Erhält Biden einen Denkzettel? "Notwendig, diesem System einen Schock zu versetzen"
Joe Bidens Israel-Politik gefährdet seine Wiederwahl im November. Mit ihr hat er längst nicht nur arabischstämmige Amerikaner gegen sich aufgebracht. Im Bundesstaat Michigan könnte es zum politischen Warnschuss kommen.
Bastian Brauns berichtet aus Washington
Seit Monaten muss Joe Biden heftige Kritik wegen seiner Israel-Politik einstecken, bei fast jeder Veranstaltung des US-Präsidenten kommt es inzwischen zu Störungen durch Demonstranten, die das militärische Vorgehen im Gazastreifen mit inzwischen Zehntausenden Toten anprangern.
Im Präsidentschaftswahljahr wird das für Joe Biden und die US-Demokraten politisch zur großen Gefahr. Denn immer mehr Menschen wollen ihn nicht wiederwählen, wenn das Weiße Haus Israel nicht dazu bringt, seinen Krieg zu beenden oder zumindest einen Waffenstillstand zu vereinbaren.
Im Bundesstaat Michigan im Norden des Landes ist mit der Großstadt Detroit die Gruppe arabischstämmiger Amerikaner besonders groß. Vor der Vorwahl dort rufen namhafte Demokraten zum Boykott des eigenen Präsidenten auf. Unter der Kampagne "uncommitted" wollen sie erreichen, dass möglichst viele Wählerinnen und Wähler ihre Stimme nicht für Joe Biden abgeben.
Im Interview mit t-online erklärt der langjährige Meinungsforscher, Politikberater und arabischstämmige Demokrat James Zogby, warum die Wut auf Joe Biden so groß ist.
t-online: Herr Zogby, an diesem Dienstag finden die Vorwahlen der Demokraten in dem wichtigen Bundesstaat Michigan statt. Arabischstämmige Amerikaner wie die demokratische Kongressabgeordnete Rashida Tlaib rufen dabei gezielt dazu auf, Joe Biden nicht zu wählen. Auch Sie unterstützen das Vorhaben dieser Kampagne. Was steckt dahinter?
James Zogby: Es setzen sich noch weitere demokratische Kongressabgeordnete wie Andrew Levin aus Michigan oder Beto O'Rourke aus Texas für diese Kampagne ein. Wir wollen Präsident Biden klarmachen, dass er seine Wiederwahl gefährdet. Der Grund dafür ist seine Politik in Bezug auf den Krieg in Gaza.
Die Demokraten erpressen ihren eigenen Kandidaten?
Es scheint keinen anderen Weg zu geben, als dem Weißen Haus klarzumachen, dass sie auf Kollisionskurs mit einer bedeutenden Wählergruppe sind. Biden hat eindeutig den falschen Weg eingeschlagen.
Sie würden sich also im Zweifel Joe Bidens entledigen?
Es gibt Leute, die das fordern. Aber nein, das halte ich für töricht. Doch es geht darum, Joe Biden eine klare Botschaft zu senden. Er muss seinen Kurs in Bezug auf Israel ändern. Sonst hat er keine Chance, den Bundesstaat Michigan bei den Präsidentschaftswahlen im Herbst zu gewinnen.
Braucht Biden Michigan unter allen Umständen?
Michigan ist ein extrem wichtiger Staat. Joe Biden hat ihn 2020 nur knapp vor Donald Trump gewonnen. Alle aktuellen Prognosen weisen darauf hin, dass Michigan auch im November 2024 für die Demokraten von zentraler Bedeutung sein wird. Es gibt kein Szenario, in dem Joe Biden ohne Michigan wieder Präsident wird.
Hat die arabischstämmige Bevölkerung in anderen Bundesstaaten auch so entscheidendes Gewicht?
Ja, bei den Präsidentschaftswahlen können sie auch in Virginia, in Pennsylvania, Wisconsin oder Georgia einen bedeutenden Einfluss haben. Auch das sind Staaten, in denen nicht klar ist, ob die Demokraten oder die Republikaner gewinnen werden. In Ohio spielen arabischstämmige Amerikaner und Gaza als Thema eine Rolle.
Schon kurz nach dem Massaker, das die Hamas-Terroristen am 7. Oktober 2023 unter mehr als tausend Israelis angerichtet haben, hat die Biden-Regierung Benjamin Netanjahu zur Mäßigung aufgerufen. Inzwischen gibt es auch US-Sanktionen gegen israelische Siedler im Westjordanland. Was ist Ihre Forderung?
Druck per Rhetorik hat bei den Israelis noch nie funktioniert. Was funktioniert, sind konkrete Maßnahmen, die klarmachen, dass schlechtes Verhalten Konsequenzen hat. Aber seit Jahrzehnten hat die israelische Regierung keine direkten Konsequenzen erfahren. Bei ihnen hat sich ein Gefühl von Straffreiheit eingestellt. Sie sind davon überzeugt, dass eh niemand etwas unternehmen wird. Darum machen sie immer so weiter. Es ist wie bei einem Kind, das nie korrigiert wird und darum glaubt, tun zu können, was es will.
Aber auch in Israel gab und gibt es Kritik an der Politik der eigenen Regierung.
Die großen gesellschaftlichen Debatten in Israel sind vorbei. In den 1990er-Jahren rund um die Oslo-Friedensverhandlungen waren sie sehr lebendig. Heute ist selbst die Opposition in Bezug auf die Palästinensergebiete genauso rechts ausgerichtet wie die Netanjahu-Regierung. Darum ist es notwendig, diesem System einen Schock zu versetzen.
Und sie wollen, dass dieser Schock von den USA verpasst wird, indem Sie Joe Biden zum Handeln zwingen?
Ja, wie gesagt, nur klare Konsequenzen für schlechtes Verhalten können so einen Schock und damit eine Umkehr schaffen. Zum Beispiel über das Aussetzen von finanzieller oder militärischer Unterstützung. So wie US-Präsident Ronald Reagan einst die Lieferung von Cluster-Bomben und F-16-Kampfflugzeugen unterbunden hatte. Das war, als Israel PLO-Gruppen in Beirut im Libanon bombardierte und viele Zivilisten starben. Joe Biden muss seine Macht nutzen, damit die israelische Bevölkerung einen Schock verspürt, dass sie mit ihrem Verhalten nicht durchkommt. Aber er tut es einfach nicht. Israel nutzt Bidens Tatenlosigkeit aus.
Zur Person
James Joseph Zogby ist der Gründer und Präsident des Arab American Institute (AAI), einer in Washington, D.C. ansässigen Nichtregierungsorganisation, die sich den politischen Interessen von arabischstämmigen Amerikanern widmet. Er ist außerdem der Geschäftsführer von Zogby Research Services, einem Unternehmen, das Umfragen in der gesamten arabischen Welt durchführt. 2013 hatte US-Präsident Barack Obama ihn in eine Kommission berufen, die sich für internationale Religionsfreiheit einsetzte. James Zogby ist zudem Dozent und Wissenschaftler für Nahostthemen und Gastprofessor für Sozialforschung und öffentliche Ordnung an der New York University von Abu Dhabi. Von 2001 bis 2017 war er Mitglied des Exekutivkomitees des Democratic National Committee.
Warum hört man von jenen Gruppen, die einen Waffenstillstand für Gaza fordern, eigentlich so gut wie nichts über den Terror, den die Hamas verbreitet?
Ich habe die Hamas schon vor Jahrzehnten hart kritisiert. Damals hat mir noch nicht einmal jemand zugehört. Was am 7. Oktober geschehen ist, ist grauenhaft. Aber jedes Mal, wenn wir auf das Leid der Palästinenser hinweisen, heißt es: "Ja, aber was ist mit dem 7. Oktober?" Ein durchsichtiges Manöver. Das ist bösartig. Denn es geschieht in der Absicht, die Realität zu ignorieren, und zwar das, was vor Ort passiert. 30.000 Menschen sind inzwischen gestorben. Was in Gaza geschieht, ist ein Genozid.
Warum glauben Sie, ignoriert die Biden-Regierung denn die Wählerstimmen der arabischstämmigen Amerikaner, die sich einen Politikwechsel in Bezug auf Israel wünschen?
Ich wünschte, ich hätte eine Antwort darauf. Ich habe inzwischen viele Menschen aus dem Weißen Haus und auch aus Biden Wahlkampfteam getroffen. Die meisten gehen immer noch davon aus, dass sich die Wähler im November schon noch für Biden entscheiden werden. Sie glauben, der Aufruf bei den jetzigen Vorwahlen von Michigan wird verhallen. Dabei sind selbst hochrangige Beamte, die ich noch aus der Clinton-Ära kenne, verwirrt über die aktuelle Lage. Bidens Israelpolitik ist offensichtlich zum Scheitern verurteilt. Sie ist einfach schlecht.
Sie erwarten also, dass das Signal für Joe Biden am Dienstag so deutlich sein wird, dass es zu einem Wechsel seiner Israelpolitik führt?
Ich hoffe es. Michigan ist der Warnschuss für Biden.
Was macht Sie so sicher?
Es sind nicht nur die arabischstämmigen Amerikaner, die aufbegehren. Wir haben viele Verbündete, gerade unter den jungen Wählerinnen und Wählern. Umfragen belegen außerdem, dass auch viele schwarze Wähler mit Joe Biden fremdeln. Ein Grund dafür ist ganz klar auch Gaza.
Können Sie diesen Zusammenhang erklären?
Es ist gut möglich, dass Gaza nur symbolhaft für etwas anderes steht. Viele schwarze Wähler fühlen sich alleingelassen von der Biden-Regierung. Ihre wirtschaftliche Situation hat sich trotz großer Versprechen nicht bedeutend verbessert. Wir beobachten darum eine Art Verbrüderung mit den Palästinensern. Gruppen, die sich benachteiligt fühlen, solidarisieren sich untereinander.
Aber sollte Joe Biden im November an Michigan scheitern, könnte Donald Trump der nächste Präsident werden. Wäre das besser für die Palästinenser?
Wie gesagt, es geht nicht darum, Joe Biden loszuwerden. Das wäre unverantwortlich. Aber es besteht die Gefahr, dass eine bedeutende Anzahl von Leuten ihre Stimmen entweder für einen dritten Kandidaten abgibt oder überhaupt nicht zur Wahl geht. Es reichen schon fünf bis zehn Prozent, die sich abwenden, und Bidens zweite Präsidentschaft gerät in Gefahr. Das Weiße Haus muss endlich verstehen, dass es Konsequenzen hat, wenn Menschen das Gefühl haben, dass ihnen niemand zuhört. Sie fühlen sich einfach abgeschrieben, weil ihre Anliegen nicht ernst genommen werden. Es geht hier nicht nur um das politische Kalkül, wer die nächste Präsidentschaft gewinnt. Es geht darum, dass durch einen Politikwechsel Leben gerettet werden können. Und zwar, indem es endlich zu einer Waffenruhe kommt.
Herr Zogby, vielen Dank für das Gespräch.
- Interview mit John Zogby