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Absturz von US-Gouverneur Cuomo: Die Wahrheit über die Anti-Trump-Helden


US-Gouverneur Cuomo stürzt ab
Die unbequeme Wahrheit über die Anti-Trump-Helden

MeinungEine Kolumne von Fabian Reinbold, Washington

19.03.2021Lesedauer: 5 Min.
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Gouverneur Andrew Cuomo: Um den Trump-Widersacher wird es einsam.Vergrößern des Bildes
Gouverneur Andrew Cuomo: Um den Trump-Widersacher wird es einsam. (Quelle: Angus Mordant/reuters)

Vor einem Jahr war er Amerikas Corona-Held, jetzt zittert der New Yorker Gouverneur Cuomo um seine Karriere. Sein rasanter Absturz zeigt, wie Amerika jetzt mit den Anti-Trumps abrechnet.

In Washington führt uns ein sagenhafter Absturz gerade vor Augen, was die Zeitenwende bedeutet, die wir gerade erleben. Falls Sie es in der ganzen Aufregung um Corona, Lockdowns und Impfungen vergessen haben: Zumindest hier drüben schreiben wir bekanntlich seit wenigen Wochen das Jahr 1 n. Tr.

Seit dem Machtwechsel und dem Beginn des Post-Trump-Zeitalters gelten ganz neue ungeschriebene Gesetze. Das erfährt in diesen Tagen insbesondere ein Mann, der vor einem Jahr noch zum Helden Amerikas aufstieg.

Im März 2020 begann unser Held oben im eisigen Albany, Bundesstaat New York, täglich am späten Vormittag einen Vortrag zu halten. Er sprach über die Gefahren von Corona, zeigte Power-Point-Folien mit verständlichen Zahlen und Botschaften, machte Mut und mahnte zur Vorsicht. So weit, so unspektakulär.

Zur Sensation wurde das nur, weil zeitgleich im Weißen Haus ein anderer Mann seine täglichen Corona-Briefings lieber dafür nutzte, wahlweise Hydroxychloroquin oder Bleiche, UV-Licht oder seine eigene angebliche Genialität als Wunderwaffen in der Pandemie zu preisen.

Andrew Cuomo, der Gouverneur von New York, wurde zum Helden, weil Donald Trump ein paar hundert Meilen weiter südlich den perfekten Anti-Helden gab. Cuomo galt als großer Mitfühlender, weil Trump keinerlei Mitleid zeigte. Als der letzte Vernünftige, während der Präsident in die Scheinwelt flüchtete. Fakten statt Fantasie. Dass er ausladend über sich und seine Familie sprach, wurde ihm wohlwollend als sympathisch attestiert. Dass er abends in der CNN-Sendung seines Bruders Chris auftrat, und der wiederum, als er an Corona erkrankte, in das Briefing des Gouverneurs zugeschaltet war, wurde als die große Cuomo-Show gefeiert.

Amerika – nicht das Trump-Fox-und-Waffen-Amerika, aber das liberale-urbane-New York Times-Amerika – war Cuomo verfallen. Es gab in jener Zeit ernstzunehmende Stimmen bei den Demokraten, die Joe Biden aufforderten, er solle seine gerade errungene Präsidentschaftskandidatur an Cuomo abtreten.

Manche empfanden vor den Bildschirmen den 62 Jahre alten Single bei den Briefings derart attraktiv, dass sie sich als "cuomosexuell" bezeichneten. Cuomo veröffentlichte in einem Buch selbst seine Heldenerzählung, Lektionen der Führung in der Pandemie nannte er es. Und schließlich bekam er für seine insgesamt 111 Corona-Briefings sogar einen TV-Preis, den Emmy, für – ich zitiere die Jury – "seinen meisterhaften Einsatz des Fernsehens, um Menschen in aller Welt zu informieren und zu beruhigen."

Kleiner geht es eben für amerikanische Helden nicht, und erst recht nicht für jene wenigen, die als Trump-Widersacher in den Olymp des liberalen Amerika hinauffahren. Unten auf Erden vergaßen die Cuomo-Anbeter derweil, dass der Mann eigentlich als kaltblütiger und egozentrischer Machtpolitiker bekannt war. Er war jetzt eben der Anti-Trump, nur das zählte.

Seit Trump nun aus Weißem Haus, Twitter-Timelines und Nachrichtensendungen vertrieben ist, begann für Cuomo ein Abstieg, genauer gesagt eine Schussfahrt nach unten. Erst kam heraus, dass der Corona-Held die Covid-Totenzahlen in den New Yorker Pflegeheimen fälschen ließ – damit wollte er verdecken, welch hohen Preis sein Entschluss gefordert hatte, Covid-Patienten wieder in die Heime zurückzuschicken. Man habe das nicht eingestehen wollen, um Trump keine Vorlage für politische Angriffe zu bieten, lautet nun Cuomos lapidare Antwort.

Als sich dann ein Abgeordneter der Demokraten zu Wort meldete, dass Cuomo gedroht habe, ihn zu "zerstören", trat er eine Welle los. Jetzt begannen die Vorwürfe von Frauen aus seinem Umfeld auf Cuomo einzuprasseln: Der Gouverneur soll sie betatscht haben, über ihr Sexleben ausgefragt haben. Insgesamt sechs Frauen – darunter auch frühere Mitarbeiterinnen haben solche Vorwürfe in den vergangenen Wochen erhoben. Dutzende weitere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen berichteten über eine vergiftete Arbeitsatmosphäre, die insbesondere für junge Frauen nur schwer zu ertragen war.

"Cuomosexuell" hat nun einen ganz anderen Klang.

Corona-Held Cuomo hat jetzt zwei Untersuchungen am Hals, eine wegen der Vorwürfe sexueller Belästigung und eine wegen der Altenheime, hinzu kommt ein Amtsenthebungsverfahren. Die wichtigsten Politiker des Bundesstaates hier in Washington haben ihn zum Rücktritt aufgefordert, darunter der neue Mehrheitsführer im Senat Chuck Schumer.

Ob Cuomo wirklich am Ende ist, weiß ich nicht. Der Mann will 2022 eigentlich noch einmal antreten, mit einer vierten Amtszeit hätte er seinen Vater Mario überholt, der als Gouverneur drei Amtszeiten absolviert hatte und dann die vierte Wahl verlor. Es hängt von den Ergebnissen der Untersuchungen ab. Er hat sich entschuldigt für seine Bemerkungen, aber dementiert, dass er Frauen unangemessen angefasst habe.

Der Fall Cuomo steht in meinen Augen für eine größere Entwicklung: In der Post-Trump-Öffentlichkeit gibt es für eine Affäre dieser Größenordnung reichlich Aufmerksamkeit, weil nicht eine Trump-Ungeheuerlichkeit nach der anderen allen übrigen Affären den Sauerstoff entzieht – und weil der Status als Anti-Trump-Held rapide an Wert verliert.

Interessieren Sie sich für die US-Politik? Washington-Korrespondent Fabian Reinbold schreibt einen Newsletter über seine Eindrücke aus den USA und die Zeitenwende nach dem Ende der Trump-Präsidentschaft. , die dann einmal pro Woche direkt in Ihrem Postfach landet.

Mir fällt da auch das sagenumwobene Lincoln Project ein, ein Zusammenschluss von Trump-Gegnern aus dem Dunstkreis der Republikaner, die im Wahljahr mit einem ätzenden Wahlwerbeclip nach dem anderen Trump mächtig provozierten. Auch sie erreichten in der liberalen Öffentlichkeit nahezu Heldenstatus.

Mit Trumps Ende gerieten auch ihre Anführer unter die Lupe. Schnell kam heraus, dass einer der Gründer seine Position missbrauchte, um junge, teils minderjährige Männer sexuell zu belästigen. Die Kollegen, die davon wussten, hielten dicht und machten lieber mit dem Scheffeln von Spendengeldern weiter. An den 87 Millionen Dollar, die sie zur Wahl einwarben, bereicherten sich manche vor allem selbst. Die Kämpfer gegen den ehrlosen Präsidenten: selbst ein ziemlich ehrloser Haufen.

Jetzt kann sich der Blick wieder auf jene richten, die sich – auch als Gegner Trumps – Machtpositionen erarbeitet haben. Man sieht weniger Weiß und Schwarz, mehr Grautöne. Wer will, sieht es in diesen Tagen auch im Regierungshandeln. Biden, der wieder eine humanitäre Flüchtlingspolitik machen will, steht an der Grenze zu Mexiko vor ähnlichen Problemen wie Mauerbauer Trump und tut sich schwer, sie einzugestehen.

Das ist eine überfällige Korrektur, um sich der Realität wieder anzunähern, statt die Welt nur in Pro- und Contra-Trump zu unterteilen. Eine unbequeme Wahrheit lautet, dass die am lautesten bejubelten Trump-Bekämpfer oft mehr mit ihm gemein hatten, als ihre Anhänger wahrhaben wollten.

Cuomo erscheint jetzt wieder als derjenige, als der er in Politik und Medien zuvor eigentlich bekannt war: als Bully, wie man hier sagt, also als Schulhoftyrann, der die Schwächeren mobbt. Übergriffig gegen Frauen, grausam gegenüber Mitarbeitern, stets um sein Ego kreisend. Besessen von den Einschaltquoten, getrieben von Rachegelüsten und der im Hintergrund lauernden übergroßen Vaterfigur. Der Anti-Trump-Held hat sich selbst als kleiner Trump entpuppt.

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