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Nachruf auf John le Carré (†89): Der Mann, der uns George Smiley schenkte


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Nachruf auf John le Carré
Der Mann, der uns George Smiley schenkte

Von Gerhard Spörl

Aktualisiert am 14.12.2020Lesedauer: 4 Min.
John le Carré: Der britische Bestseller-Autor ist im Alter von 89 Jahren gestorben.Vergrößern des Bildes
John le Carré: Der britische Bestseller-Autor ist im Alter von 89 Jahren gestorben. (Quelle: Christian Charisius/dpa)

Erst war John le Carré ein Spion im Kalten Krieg, dann verließ er den Geheimdienst und schrieb Bücher, die zu Bestsellern wurden. Zuletzt wollte er mit Brexit-England nichts mehr zu tun haben und wurde zu einem Bürger Irlands.

Ich war jung, als ich David Cornwell alias John le Carré kennenlernte, und ungemein beeindruckt war. Er war ein feinsinniger Mann mit schmalem Kopf, der gerne lächelte. Lautes Lachen erschien ihm wohl unangemessen. Er sah die Welt als einen Tummelplatz seltsamer Spione, gebrochen und tückisch und besessen von ihrem Handwerk, das sie zum Scheitern verdammte, selbst im Erfolg. Außerdem war er nun einmal Brite und benahm sich auch so, obwohl er keineswegs aus guter oder gar wohlhabender Familie stammte, eher im Gegenteil.

Er mochte Deutschland, er kam regelmäßig herüber. Er lebte in jungen Jahren in Bonn und Hamburg, sprach gut Deutsch, in diesem behutsamen Singsang, weil Menschen sich in einer zweiten Sprache, so gut sie sie auch sprechen, stets in der Angst vor Fehlern bewegen, die sie in Verlegenheit stürzen könnten.

In einem seiner letzten Interviews erzählte le Carré von seinen Ursprüngen als Autor von Kriminalromanen. "Ich habe das Glück gehabt", sagte er, "dass ich mit einem Thema auf die Welt kam." Das Thema war nicht etwa der Kalte Krieg in der geteilten Nachkriegswelt, das Thema war sein Vater. Der war ein ebenso außergewöhnlicher wie unersättlicher Krimineller, ein lebenslanger Hochstapler mit Verbindung zum organisierten Verbrechen in London.

Cornwell flüchtete in die Geheimdienste

"Eine endlose Prozession faszinierender Leute" mit verbrecherischem Hintergrund habe seine Kindheit bevölkert, sagte le Carré in diesem Interview. Er habe gar nicht gewusst, was Wahrheit ist. Wahrheit war das, womit man durchkam. Die Mutter brannte mit einem Geschäftsfreund ihres Mannes durch, als er fünf Jahre alt war. Der Vater sagte, sie sei tot. Dann steckte er ihn und seinen Bruder in teure Internate, weil Hochstapler eben groß denken.

Was wird aus so einem Kind, Jugendlichen, jungen Mann, der so aufgewachsen ist? David Cornwell flüchtete in die Institutionen, die hinter seinem Vater her waren. Als Student in Bern erwies er dem britischen Auslandsnachrichtendienst MI 6 kleine Dienste. In Oxford dann arbeitete er für den Inlandsgeheimdienst MI 5 und horchte kleine kommunistische Studentenzirkel aus.

In England gehörte es im und nach dem Krieg dazu, dass einige Studenten aus bestem Hause eine seltsame Vorliebe fürs Spionieren entwickelten. Kim Philby zum Beispiel war Teil einer Clique, die der Sowjetunion Geheimmaterial zukommen ließ. Le Carré tat das Gegenteil und hatte keine sonderliche Sympathie für die Philbys seines Landes. In "Dame, König, As, Spion" verarbeitete er diese fünfte Kolonne, deren Enttarnung ein Riesenskandal in England war.

In seine Geschichten flossen viele eigene Erfahrungen ein

Ehe David Cornwell zu John le Carré wurde, unterrichtete er den Nachwuchs der britischen Elite in Eton und versuchte sich als Kinderbuch-Illustrator. Dann trat er vollends dem Inlandsgeheimdienst bei und lernte, Agenten zu führen, Telefone anzuzapfen und andere Spione zu verhören, eben das reiche, seelenlose Handwerk, aus dem er später seine Geschichten schöpfte.

Sein berühmtestes Buch blieb "Der Spion, der aus der Kälte kam". Le Carré war gleich nach dem Mauerbau nach Berlin geschickt worden. Berlin war das Dorado für sämtliche Geheimdienste der Erde. Ein idealer Ort für diesen Roman, der zum ersten unter zahllosen Bestsellern wurde. 1965 wurde er mit Richard Burton in der Hauptrolle verfilmt.

Le Carré wies damals seine Bank an, sie möge ihn benachrichtigen, sobald 20.000 Pfund auf seinem Konto lägen. Als es so weit war, schied er aus dem Dienst aus und war fortan ein freier Mann, ein freier Schriftsteller. Er kreierte seine eigene Welt aus Spionen und brachte darin Biografisches aus dem echten Leben unter.

Hauptfigur dient auch als Vaterfigur in Carrés Fantasie

John le Carrés Hauptfigur ist George Smiley. Er ist klein und dick. Ein ebenso bescheidener Melancholiker wie brillanter Mann. Er ist der Inbegriff des desillusionierten Meisterspions, der an seinem Dienst irre wird und den seine Frau betrügt.

Zugleich ist Smiley so etwas wie Carrés Ersatzvater für den leiblichen Vater, dem Monster an Lüge und Betrug, für den der Sohn immer wieder aufkam, wenn er pleite war, Schulden angehäuft hatte, ohne je zur Besinnung zu kommen. Le Carré sagte dazu: "Smiley war als Vaterfigur in meiner Fantasie die genaue Antithese zu meinem echten, unberechenbaren Vater."

In seinem letzten Buch "Federball" ist Carré ganz in der Gegenwart angekommen. Der amerikanische Präsident lässt seinen Geheimdienst mit den Briten zusammen arbeiten, um die demokratischen Institutionen der Europäischen Union zu untergraben. "Schrecklich plausibel" nannte Le Carré diese Romanhandlung und verwies auf Donald Trump. Die Gegenwart liefert nun einmal die besten Geschichten, die niemand glauben würde, dächte ein Autor sie sich nur aus.

Der britische Bestseller-Autor wird zum Staatsbürger Irlands

Am Ende seines Lebens wollte David Cornwell nicht einmal mehr Brite sein. Den Brexit fand er grauenvoll, besser gesagt fand er die Menschen grauenvoll, die den Brexit wollten und auch diejenigen, die ihn nicht verhinderten. So wurde aus ihm im Oktober 2019 ein Staatsbürger der Republik Irland.

60 Jahre lang hat John le Carré Bücher geschrieben. Die Welt mit Geschichten beschenkt, die unsterblich sind. Bescheiden ist er geblieben und unnachgiebig in seinem Eigensinn. Was für ein Leben, was für ein Mann, was für ein Werk! Danke, David.

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