Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.USA im Wahlkampf Die Methode Trump stößt an ihre Grenzen
Donald Trump verliert den Kampf um die Aufmerksamkeit: Die Amerikaner sind zunehmend von ihm erschöpft. Barack Obama strickt daraus eine neue Wahlkampf-Strategie.
In Washington ist man mittlerweile für Kleinigkeiten dankbar. Die letzte TV-Debatte am Donnerstagabend war tatsächlich so etwas wie eine Debatte, gesitteter im Umgang, mit zwei Kandidaten, die dem anderen nicht ständig ins Wort fielen. Gewiss, sie war auch voller Unwahrheiten, aber die Ära Trump hat einen in dieser Hinsicht genügsam gemacht.
Donald Trump wollte eines beweisen: Dass dazu er gelernt hat. Sein Rambo-Auftritt im ersten Duell hatte die Nation angewidert, nicht nur seine ewigen Gegner, sondern eine breitere Öffentlichkeit. Das zweite kniff er. Im dritten Anlauf wollte er Joe Biden nicht ständig über den Mund fahren – und eine Zeitlang ging das sogar gut.
Dahinter steckt das vielleicht größte aller Probleme Donald Trumps. Es lässt sich nicht so genau messen wie sein Rückstand in den Umfragen oder bei den Spenden. Es ist eher eine gefühlte Wahrheit. Die Gefühlslage, die mir in diesem Herbst immer wieder begegnet: Die Amerikaner sind erschöpft.
Erschöpfung gehört immer zu amerikanischen Wahlkämpfen, die viel zu lange dauern und stets als Materialschlacht enden, in der das Wahlvolk mit Werbespots und Roboteranrufen bombardiert wird. Doch die Erschöpfung in diesem Herbst bezieht sich auf einen Kandidaten: Donald Trump.
Ich spüre sie immer wieder, in den Schlangen vor den Wahllokalen, selbst auf den Trump-Rallys und neulich vor der Haustür. Eine kleine Feier in der Nachbarschaft, einer, der in der Air Force dient, sagte es so: “Wir haben ihn alle so satt. Wir sind Republikaner, aber wir sagen uns: Der Preis für noch einen Wahlsieg wäre zu hoch.” Tired und exhausted sind die Worte, die immer wieder fallen. Ermüdet, erschöpft, aber eben auch: jemanden satthaben.
Es ist das zwanghafte Lügen, das Immer-nur-um-sich-selbst Kreisen, das ständige Gejammere, wie fies einem die anderen doch mitspielen. Eine Zeitlang fanden das manche noch amüsant und andere egal, doch in einem Jahr, in dem Hunderttausende sterben, Millionen ohne Job sind, ihre Kinder nicht in die Schule schicken können oder auf den Straßen protestieren, wirkt Trumps Zirkus in eigener Sache kräftezehrender denn je. Man hat andere Sorgen.
Civey
Die Erschöpfung zeigt sich auch in einem Punkt, der Trump besonders trifft: der Aufmerksamkeit. Trumps Auftritt in Debatte eins hatte zur psychischen Ermüdung beigetragen. Vergangene Woche, als er das zweite TV-Duell platzen ließ, setzte Trump eine Art Wettpinkeln um die Einschaltquoten an: Parallel zu Bidens Town Hall auf ABC, hielt er Hof auf NBC, wohlwissend, dass er dank der mitausstrahlenden Schwestersender CNBC und MSNBC einen Vorteil hätte.
Bidens Bürgerrunde war eine dröge Veranstaltung, Trumps Runde hingegen knalliges Unterhaltungsfernsehen. Auf gut Deutsch: Phoenix gegen ProSieben. Zwar machte der 77 Jahre alte Demokrat mit seinen ausschweifenden Antworten dem von Trump erfundenen Spottnamen “Sleepy Joe” alle Ehre, doch in der erschöpften Öffentlichkeit gibt es nach einem schläfrigeren Kandidaten Nachfrage: Biden holte mehr Zuschauer.
Trumps Wahlkampf-Rallys sind vollgepackt, aber sie wirken im Fernsehen mächtiger als vor Ort – und ganz anders als noch 2016 überträgt sie kaum noch ein Sender. Trump dreht auf, die Öffentlichkeit dreht ab.
Er schiebt in diesen Tagen die große Welle: Alle Gegner seien kriminell, der Justizminister soll ermitteln. Er kann nicht einmal lassen, den eigenen Corona-Experte Anthony Fauci, beim Wähler deutlich beliebter als er selbst, als “Idioten” abzukanzeln.
Wie er es einst mit Hillary Clinton tat, so will er auch Joe Biden als korrupt darstellen. Dafür haben er und seine Helfer sich auf eine angebliche E-Mail-Affäre von Bidens Sohn Hunter eingeschossen, bei der es keine Belege, aber umso mehr Fragezeichen gibt. Trump raunte auch im TV-Duell in der Nacht zum Freitag immer wieder von Details aus diesen E-Mails.
Wer Medien der Trump-Blase konsumiert, wusste allzu gut, worum es geht, alle anderen blieben verdutzt zurück. Der Präsident hat seit anderthalb Jahren alle Hebel in der Sache Hunter Biden in Bewegung gesetzt hat, ohne Erfolg. Doch er macht einfach weiter, als ob es nichts wichtigeres gäbe.
Ermüdung ist für Trump sehr viel gefährlicher als Empörung, denn wer erschöpft ist, schaut eher weg statt hin. Der Präsident ist ein Meister darin, Aufmerksamkeit zu binden, doch die Methode Trump kommt in diesem Corona-Wahlkampf an ihre Grenzen.
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Seine Gegner haben das auch bemerkt. Am Mittwoch war ich in Philadelphia, um mir Barack Obamas ersten Wahlkampfauftritt für Biden anzusehen. Es war eine Drive-in-Rally am Baseballstadion.
Nach einer guten Viertelstunde Redezeit sagte Obama dies: “Mit Joe und Kamala am Steuer müsst ihr nicht mehr jeden Tag über die verrückten Sachen, die sie sagen, nachdenken. Das ist viel wert”, rief er. Die Zuschauer in ihren Autos hupten. “Es wird einfach nicht so erschöpfend sein. Ihr müsst Euch nicht mehr jeden Tag streiten. Ihr habt vielleicht wieder ein Thanksgiving-Dinner ohne Streit.” Der neue Präsident werde nicht mehr Verschwörungskram retweeten.
Obama hat ein Potenzial erkannt: Wahlkampf mit der Trump-Erschöpfung.
Als ich mit den Gästen vor Obamas Auftritt, einer Drive-in-Rally am Baseballstadion, sprach, spürte ich wieder ein zweites überwältigendes Gefühl dieses Wahlkampfs: Die Anhänger der Demokraten sind hochnervös. Sie kennen die Meinungsumfragen, sie wissen, dass es gut für ihren Biden aussieht, aber sie werden sofort zurückhaltend, wenn es um die Siegchancen des Mannes geht, der in allen Erhebungen klar vorn liegt.
Carolyn Hood kam im weißen BMW vorgefahren. Als ich sie nach ihrer Zuversicht fragte, sagte sie ausgiebigst “Oooooooooh”. Sie muss sich erst einmal sammeln. Biden habe natürlich gute Chancen, “aber ich mache mir Sorgen.” Es gehe ihr um die schwarzen Männer. Viele nähmen Biden die von ihm verfasste Strafrechtsverschärfung aus den Neunzigern krumm, die schwarzen Drogenkonsumenten viel härtere Strafen einbrachte als weißen. (Der Kandidat selbst hat es mittlerweile als Fehler bezeichnet.) “Ehrlich gesagt”, sagte die 62-Jährige, “bin ich ziemlich nervös.”
Das Trauma von 2016 ist bei den Anhängern der Demokraten zu greifen: Dass Hillary Clinton von allen Seiten noch bis zum Wahltag selbst der Sieg prophezeit wurde, den sich in den Abendstunden dann aber Trump erschlich. 2016 ist vieles anders als 2020 (Ich habe das hier näher beschrieben). Doch die Zahlen sind jetzt wieder ähnlich. Diejenigen, die sich nach dem Debakel weiterhin trauen, Prognosen zum Wahlsieg zu berechnen, beziffern Trumps Chancen wieder nur auf rund zehn Prozent.
“Ich bin nicht allzu zuversichtlich, das hat mit 2016 zu tun”, sprach beim Obama-Event auch der Reverend Heath Terry. “Dabei brauchen wir doch unbedingt den Wechsel.” Der Pfarrer sah ebenfalls eine Skepsis gegenüber Bidens bei schwarzen Männern. “2016 haben wir über Trump gelacht, und dann hat er gewonnen.” Er schaute mir in die Augen und sagte: “In Amerika ist alles möglich.”
Wir sollten den Satz des Reverend im Hinterkopf behalten. Ich will kein Kopf-an-Kopf-Rennen herbeischreiben. Auf dem Papier ist Biden der klare Favorit. Das letzte TV-Duell hat er gut überstanden – mehr musste er nicht tun. Die Leute wählen bereits in Scharen: 50 Millionen Bürger haben ihre Stimme abgegeben. All das spricht für Biden. Manche in Washington reden schon von einem Erdrutschsieg.
Doch Trump wird noch einmal alles versuchen. Wird rastlos durchs Land ziehen, Biden mit allen erdenklichen Mitteln als korrupt, krank und gefährlich darstellen. Doch funktionieren kann das nur, wenn ihm eine erschöpfte Nation doch noch einmal das schenkt, was er am bittersten benötigt: ihre Aufmerksamkeit.
Ist das wahrscheinlich? Nein. Aber in Amerika ist alles möglich. Noch elf Tage.