Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Corona-Krise verändert Sichtweise Das sind wirklich die Säulen unserer Gesellschaft
Dank der Corona-Krise erkennen wir immer deutlicher, wer in unserer Gesellschaft wirklich Wertschätzung verdient hat. Die Topmanager sind es eher nicht.
Seit es Corona gibt, haben einige Berufe neue Wertschätzung bekommen, die es verdient haben. Es handelt sich um die Menschen, die im Gesundheitssystem arbeiten, im Krankenhaus und in Altenheimen, auf Intensivstationen und in Heimen für Demente. Moralische Würdigung ist gut, mehr Gehalt natürlich noch besser, weil schwierige Arbeit großzügiger entlohnt werden sollte. Passiert wohl auch, wenn nicht, wäre es eine Schande.
Corona lässt neue Blicke auf die Gesellschaft zu, das ist nicht schlecht. Was wichtig ist und was weniger wichtig, lässt sich jetzt genauer sagen. Wer zum Ganzen beiträgt und wer nur so tut, zeigt sich wie beiläufig in diesen Tagen.
Nachsicht sollte vorbei sein
Wie es sich fügt, hat die Staatsanwaltschaft vor Kurzem den Beschluss gefasst, Anklage gegen Martin Winterkorn, den VW-Vorstandsvorsitzenden in der Zeit der Manipulationen mit dem Abgassystem, zu erheben. Gut so. Wie es sich fügt, müssen sich momentan die Bafin und der Finanzminister fragen lassen, warum sie nicht bemerkten, dass Wirecard ein monströses Windei war – während zwei britische Journalisten die Zahlen lasen und Alarm schlugen. Wie es sich fügt, müssen seit gestern deutsche Banken erklären, ob sie zur Geldwäsche beitrugen – nach den vielen Skandalen um Cum-Ex-Geschäfte, um Währungsmanipulationen usw.
Es ist ja merkwürdig, dass seit der großen Finanzkrise 2008 die Serie der Skandale im Herzen des Kapitalismus nicht abreißt. Die dort oben sollten sich was schämen, könnte man sagen, und sie sollten in sich gehen und ansonsten ist es nur folgerichtig, wenn sie vor einem Richter stehen, der sie angemessen verurteilt. Die Zeit der Nachsicht mit denen, die sich als Säulen der Gesellschaft verstehen, sollte vorbei sein.
Der Polizei sollte mehr Wertschätzung zukommen
Die Zeit der Wertschätzung für die wirklich tragenden Säulen sollte nicht abreißen. Dafür gibt es gute Gründe und Nachholbedarf auch anderswo. Womit ich bei einem meiner neuesten Lieblingsthemen bin: den Polizistinnen und Polizisten.
Gestern gab es in Düsseldorf eine Querdenker-Demonstration. Einige Tausende kamen, dazu aufgerufen von einem Mann namens Michael Schele aus Hagen, einem DJ, der seit Beginn der Corona-Krise nach eigenen Angaben keine Jobs bekam. Wer kam, trug keine Maske, weil er die Pandemie für eine Lüge hält, eine Erfindung von wem auch immer.
Ausübung eines undankbaren Jobs für das Gemeinwohl
Worauf es mir ankommt: Jeder dieser Demonstrationszüge wird von jungen Polizistinnen und Polizisten passiv begleitet, egal wie dicht beieinander die Demonstranten durch die Straßen ziehen, wie sehr sie sich über die Regierung lustig machen oder sich niederträchtig über sie äußern und egal gegen welche Regeln sie sonst noch verstoßen. Es ist Sonntag, die Sonne scheint, Spätsommerherrlichkeit und etliche Hundert haben Dienst. Was geht ihnen da durch den Kopf?
Kann ja gut sein, dass einige dieser Polizistinnen und Polizisten klammheimlich Sympathie für die Demonstrationen aufbringen. Gut möglich, dass eine Mehrheit von ihnen mit den Zähnen knirscht, weil Verstöße gegen Corona-Regeln ungeahndet bleiben.
Diese Arbeit ist der Normalfall im Leben von jungen Polizistinnen und Polizisten, egal ob im Umkreis der besetzten Häuser in der Rigaer Straße, in Auseinandersetzungen mit Hooligans in vollen Fußballstadien oder bei wild gewordenen Clan-Hochzeiten. Sie sind mitten drin, sie setzen sich ein, sie setzen Recht und Ordnung durch. Sie üben einen undankbaren Job für das Gemeinwohl aus, also für uns, und haben wenig davon, materiell wie moralisch.
Bundespräsident hat es vorgemacht
Wie wäre es mit Wertschätzung? Der Bundespräsident hat neulich damit angefangen, als er die drei Polizisten auf den Stufen des Reichstages einlud. Nachahmung empfohlen.
Ich komme darauf, weil alle Nase lang irgendjemand ultimativ fordert, den latenten Rassismus in der Polizei zu entlarven, am besten durch eine Studie, die sämtliche Vorurteile belegt, die Saskia Esken oder Bodo Ramelow hegen. Was wäre denn, wenn sie recht hätten? Was würde daraus folgen?
Sie können sich ja gar nicht wünschen, dass sie recht haben. Sie reagieren nur wortreich, weil grelle Fälle sie dazu einladen.
Ablehnung Seehofers zur Polizeistudie hilft niemandem
Aber dass Leute, die aus Amtsstuben heraus bösartige Mails an Anwälte und Politiker und andere Figuren des öffentlichen Lebens verschicken, nichts in der Polizei zu suchen haben, versteht sich von selber. Dass Leute, die tief in der Hitler-Zeit steckengeblieben sind, nichts in der Polizei zu suchen haben, ist ja wohl auch klar. Ob sie rechtsradikale Schläfer waren oder sich im Dienst radikalisiert haben, würde mich brennend interessieren, aber das findet man an besten anhand ihrer Fälle heraus – mit solider, wacher Polizeiarbeit.
- Rassismus in der Polizei: Das wahre Ausmaß sehen wir nicht
So reflexhaft wie Linke eine Studie nach ihren Vorstellungen einklagen, so reflexhaft wehrt Innenminister Horst Seehofer sie ab. Damit ist niemandem geholfen. Ende September wird eine Studie erwartet, die der Verfassungsschutz über die Sicherheitsbehörden ausarbeiten soll – vom BND über das Zollamt bis zur Polizei. Ich bin gespannt, ob sie zur Wahrheitsfindung beiträgt oder niemandem weh tun möchte.
Rund 250.000 Polizisten gibt es in Deutschland. Knapp ein Drittel von ihnen stammt aus Migrantenfamilien, nicht gerade wenig. Kein schlechtes Verhältnis. Sicherlich finden auch unter den Beamtinnen und Beamten Alltagsdebatten statt, was rassistisch ist und was noch geht, wann eine Grenze überschritten wird und wie sie mit rechten Kollegen umgehen sollen und wann sie einen der ihnen dem Vorgesetzten melden sollte.
Alltagsstudie wäre sinnvoll
Für eine Studie, die den Alltag beschreibt und die interne Konflikte behandelt, die mir erzählt, wie Demos à la Düsseldorf oder Berlin auf diejenigen in Uniform wirkt, die neben den Demonstranten herlaufen und mit anhören, was dort oben auf der Tribüne an Theorien über die Gesellschaft verbreitet wird und was das mit ihnen macht – dafür würde ich mich interessieren. Denn im Normalfall formt die Arbeit die Einstellung der Arbeitenden zur Arbeit, was denn sonst.
Werden sie irre an ihrem Beruf? Zynisch? Was folgern sie für sich selber aus den Erlebnissen und was erzählen sie, wenn sie heim zu ihren Familien kommen?
Daraus würde wie von selbst eine Studie über die Einstellung der Polizisten und Polizisten zu ihrem Job und zu ihrem Land entstehen. Eine Mentalitätsstudie über ein bestimmtes Milieu innerhalb der Sicherheitsbehörden, aus der sich Konsequenzen ziehen ließen, vor allem dann, wenn sie so vorurteilsfrei wie möglich angelegt wäre.