Post aus Washington Trump nimmt Hunderttausende als Geiseln
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Donald Trump feilscht weiter um Milliarden für seine Grenzmauer. Der Machtkampf entwickelt für Hunderttausende in Washington dramatische Folgen.
Auf den ersten Blick wirkt alles harmlos: Washingtons Straßen und U-Bahnen sind leerer, die Schlangen mittags vor den Restaurants im Zentrum verschwunden. Es wirkt, als ob die Weihnachtsferien in Washington nie aufgehört hätten.
Gestern im Weißen Haus musste ich gleich dreimal in den eigentlich stets vollen Büros von Donald Trumps Presseleuten vorbeischauen, bis ich endlich eine einzige Mitarbeiterin antraf. "Zwangsurlaub", zischte sie und nickte in Richtung der leeren Stühle.
In Wahrheit wird es gerade dramatisch, weil Washington so sehr am Tropf der Bundesverwaltung hängt. Jetzt, wo wir kurz vor der längsten Haushaltssperre in der Geschichte der USA stehen, werden die Folgen herber: Allein in der Hauptstadt sind 150.000 Beamte im unbezahlten Zwangsurlaub – und während diese darauf hoffen können, irgendwann ihr Gehalt doch noch ausgezahlt zu bekommen, werden die zahlreichen Dienstleister für die Behörden vom Putzpersonal bis zu IT-Kräften keinen Dollar sehen für die Wochen der Haushaltssperre. Für viele Amerikaner, die lieber knapp auf Kredit als ausgeruht auf Sparguthaben leben, ist das eine Katastrophe. So sieht es aus, wenn die Politik Bürger als Geisel nimmt.
Atemberaubend sind die Sicherheitsrisiken, die an allen Ecken und Enden drohen: Fluglosten bekommen im Notdienst kein Geld, die Food and Drug Administration musste Lebensmittelkontrollen aussetzen, FBI-Beamte fürchten, dass sie in Zahlungsverzug geraten und damit ihre Sicherheitsfreigaben verlieren könnten. Die Küstenwache riet ihren Zwangsurlaubern schon, die Haushaltskasse doch aufzubessern, indem sie einen Flohmarkt organisieren. Kurz: Es ist der Wahnsinn.
_______________________________
Der Shutdown ist ein Ausdruck dafür, wie dysfunktional Amerikas Politik geworden ist. Seit Jahren können sich Republikaner und Demokraten nicht mehr auf richtige Haushaltsgesetze einigen und behelfen sich mit kurzfristigen Nothaushalten. An kurze Shutdowns ist man bereits gewöhnt.
Trump hat das Ganze mit seiner Grenzwall-Obsession nun auf die Spitze getrieben. Kein Haushalt ohne 5,7 Milliarden Dollar für die Mauer! Der Shutdown enttarnt Trumps vielleicht größte Lüge: Dass er ein Dealmaker sei, ein Mann, der unkonventionell, aber begnadet verhandelt.
In zwei Jahren hat er nichts in Sachen Grenzwall erreicht. Vor einem Jahr stand seine Partei kurz vor einem Deal mit den Demokraten, von denen man schon damals ein paar Stimmen im Senat brauchte. Trump ließ ihn platzen – und sieht sich jetzt Demokraten mit Macht über eine Kongresskammer und neuem Selbstbewusstsein gegenüber.
Die Front bei den Republikanern bröckelt, die bei den Demokraten steht fest – meist war es in den vergangenen Jahren genau andersherum, doch die Dynamik in Washington ändert sich gerade.
Das Ganze zeigt, wie sich Trumps größter Wahlkampfschlager in eine politische Belastung wandelt. Hier seine nationalistische Wählerbasis, die nach zwei Jahren endlich Ergebnisse sehen will, dort seine Partei, für die die Mauer keine Priorität hat, und eine Mehrheit im Land, die den Grenzwall sowieso ablehnt. Und sollte nicht eigentlich Mexiko für das Ganze zahlen?
Gestern früh stand ich auf dem Südrasen des Weißen Hauses, um Trump auf dem Weg zum Hubschrauber abzupassen. Dabei verrenkte sich der Präsident – ohne dass wir danach gefragt hätten – mit der Aussage, er habe nie behauptet, Mexiko werde direkt die Mauer bezahlen (dabei stand das sogar in seinem Wahlkampfprogramm). Trumps Notbehauptung, Mexiko werde doch noch dafür zahlen, irgendwie mit Umweg über das neue Handelsabkommen, nimmt ihm kaum noch jemand ab.
Hier auf dem Südrasen wird das häufigste und verrückteste Gesprächsformat mit Trump aufgeführt: Trump und Korrespondenten schreien sich unter dem Lärm des bereitstehenden Helikopters Marine One gegenseitig an und verstehen, wenn es gut läuft, 90 Prozent des Gegenübers. Treibstoffgeruch liegt in der Luft, und am Donnerstagmorgen peitschte auch noch eisiger Wind. Trotzdem ging es 15 Minuten hin und her. Schlagzeilen: viele. Erkenntnisgewinn: gering.
In der "Post aus Washington" berichtet unser Korrespondent Fabian Reinbold von der Arbeit im Weißen Haus und seinen Eindrücken aus den USA. Gefällt Ihnen die Kolumne? Sie können sie hier als kostenlosen Newsletter abonnieren, der noch weitere Beobachtungen aus Washington enthält und einmal pro Woche direkt in Ihrem Postfach landet.
So windig wird es übrigens, wenn Trump hinter dem Weißen Haus abhebt.
Der mögliche Ausweg für Trump: Er ruft den nationalen Notstand aus, um im Alleingang Gelder aus anderen Töpfen abzuziehen und damit ein bisschen Mauer zu bauen. Das wird augenblicklich Klagen nach sich ziehen – und womöglich schon bald vor Gericht gestoppt werden. Doch für Trump bietet dieser Weg unabhängig vom Ausgang die Möglichkeit, vor seinen Anhängern das Gesicht zu wahren. Ich habe alles versucht für die Mauer...
________________________________
Wer in Washington wichtig wird: Kamala Harris steigt schon bald als nächste Trump-Herausforderin in den Ring, da bin ich mir sicher.
Noch windet sich die Senatorin aus Kalifornien um jede Antwort darauf, ob sie demokratische Präsidentschaftskandidatin werden will. Aber in ihren gleich zwei neuen Büchern, die jetzt erscheinen, schreit jede Seite förmlich: Ich! Trete! An!
Die 54-Jährige ist eine interessante Figur unter den vielen möglichen Kandidaten der Demokraten. Sie ist als schwarze Frau aus dem liberalen Kalifornien einer der Lieblinge der neuen demokratischen Wählerkoalition aus Minderheiten, Frauen, Linken – und sie könnte als ehemalige Staatsanwältin auch bei konservativeren Wählern punkten.
Als sie vorgestern ihr Buch an der George Washington University vorstellte, wurde sie als das „Gesicht Amerikas im 21. Jahrhundert“ unter lautem Jubel angekündigt. Doch noch ist die Frau vor allem eins: relativ unbekannt.
Und so musste im Saal erst einmal Grundsätzliches geklärt werden, nämlich wie man ihren Vornamen denn nun ausspricht. Die Antwort: nicht Ka-MA-la, wie man es so oft hört, sondern: KA-ma-la. Betonung vorn, Sanskrit für: Lotusblume.
Der Auftritt war eine Lockerungsübung, denn bislang fiel die ehemalige kalifornische Generalstaatsanwältin vor allem als knallharte Fragestellerin im Justizausschuss des Senats auf, wo sie sich Facebook-Chef Mark Zuckerberg oder den Richterkandidaten Brett Kavanaugh vorknöpfte. Auf der Bühne ging es weniger ernst zu.
Es ist noch ein weiter Weg für Harris. Doch wer wusste zwei Jahre vor der Präsidentschaftswahl 2008 schon, wie man den Vornamen Barack richtig ausspricht?