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Berliner Irrsinn | Hört auf damit, die Demokratie zu strapazieren!


Meinung
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Berliner Irrsinn
Hört auf damit, die Demokratie zu strapazieren!

MeinungEine Kolumne von Gerhard Spörl

Aktualisiert am 09.02.2018Lesedauer: 3 Min.
Der CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer (l), der SPD-Parteivorsitzende Martin Schulz (r) und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU): Gerhard Spörl in seiner Kolumne über die Regierungsbildner.Vergrößern des Bildes
Der CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer (l), der SPD-Parteivorsitzende Martin Schulz (r) und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU): Gerhard Spörl in seiner Kolumne über die Regierungsbildner. (Quelle: Kay Nietfeld/dpa)
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Nicht das Land ist in einer Krise, sondern die ausgelaugten Regierungsbildner, die sich um Glaubwürdigkeit bringen. Schulz fällt ins Bodenlose, Seehofer klammert sich an das Innenministerium und die Kanzlerin verpasst den würdevollen Abschied, genau so wie ihre Vorgänger.

Beim Mittagessen unterhielt ich mich mit einer wunderbaren Kollegin von der „Zeit“ darüber, dass Martin Schulz bestimmt nicht Außenminister wird. Dass es ihm so schnell ans Leder gehen würde, hätte keiner von uns gedacht und auch keiner der anderen Berlin-Nahbeobachter.

Alles ist möglich

Was lernen wir daraus? Alles ist möglich bei dieser Regierungsbildung. In der SPD sowieso. Jetzt können wir darauf gespannt sein, wie stark ein paar Parteifreunde über Angela Merkel herfallen. Falsch wäre es ja nicht, oder?

Alles begann am 24. September mit einem verheerenden Wahlergebnis für alle Parteien, die jetzt auf erstaunliche Weise weitermachen wollen. Horst Seehofer ist der Erste, der die Konsequenzen tragen musste, obwohl er es nicht wollte. Martin Schulz ist das nächste Opfer, das er auf keinen Fall sein wollte. Am Ende hat ihm seine irrlichternde Partei nicht verziehen, dass er einen beispiellosen Absturz hinlegte, erstens persönlich und zweitens für die SPD.

Von ganz oben nach ganz unten

Natürlich ist Schulz ein Weltmeister in Vollmundigkeit. Das ist sein Stil, dieses Pompöse, das ausufernde Reden, die Vorliebe für Absolutheitssätze. Im Merkel-Orbit der abgesicherten Sätze, die wie in Watte getaucht sind, fand ich Schulz zumindest erstaunlich und erheiternd. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es gut gehen würde. Doch so schnell von ganz oben nach ganz unten zu rauschen, ist für mich faszinierend und für ihn auch ein bisschen tragisch.

Seit September erleben wir eine Krise in Glaubwürdigkeit der Politik. Ich glaube ja noch immer, dass Christian Lindner aus den falschen Gründen das Richtige getan hat. Wenn er damit durchkommt, wenn die FDP bei den nächsten Wahlen ungestraft bleibt, hat sie Glück gehabt. Das Drama der anderen lässt den ersten Akt im Irrsinn relativieren.

Ist die Kanzlerin noch glaubwürdig?

Auch Angela Merkel schrumpft von Sondierungsgespräch zu Koalitionsverhandlung. Menschlich wäre es sinnvoll, die Amtsdauer der Kanzler auf zehn Jahre zu begrenzen. Die darüber hinausgehenden Jahre sind eine Zumutung und zwar für uns. Ich habe ihr die Zweitstimme gegeben, aber diese Wurstigkeit nach der Wahl, dieses Abtauchen und dann diese Vereinbarungen unter Selbstreduzierung der CDU: Wer soll das gut finden? Wer hält die Kanzlerin noch für glaubwürdig?

Und dann die SPD: Sie muss sich fragen, wieso sie einem Menschen, den sie vor exakt einem Jahr mit 100 Prozent gewählt hat, in die Wüste schickt. Hat sie so viele Talente, das sie sich das leisten kann? Wenn ja, wo sind sie? Andrea Nahles ist jetzt allein zu Haus. Ich bin gespannt, wann sie vom Brüllen und von der Kindersprache („Bätschi!“) ablässt und erwachsen wird.

Deutschland läuft auf Autopilot

Glaubwürdigkeit in der Politik ist ein verdammt hohes Gut und damit treiben viele unserer Politiker gerade Raubbau. Was sie anrichten, stärkt nicht nur den rechten Rand, sondern irritiert auch die brav demokratische Mitte; davon könnte die FDP auf Kosten der Union profitieren. Das Treiben von Schulz, Seehofer, Merkel etc. ist auch deshalb grotesk, weil es diesem Land ziemlich gut geht. Momentan läuft es auf Autopilot, was ja nicht das Schlechteste zu sein scheint.

Ich bin seit 37 Jahren Journalist und habe geglaubt, ich hätte so ziemlich alles erlebt und mitbekommen. Was sich seit der Septemberwahl ereignet, ist beispiellos. Ich hätte eine Minderheitsregierung vorgezogen, mir ihr wären uns wenigstens einige Trauerspiele erspart geblieben. So wie die neue Regierung zustande kommt, ruht kein Segen auf ihr.

Ein würdevoller Abschied wird nicht gelingen

Wie es weitergehen wird, können wir uns an fünf Fingern abzählen: Sigmar Gabriel, das große schlampige Talent, wird Anspruch auf weitere Verweildauer im unschönen Amt erheben. Wer wäre in der SPD auch eine Alternative als Außenminister? Er wird es sich nicht nehmen lassen, Andrea Nahles zu belehren, war sie doch mal seine Generalsekretärin und ist an das Kujonieren gewöhnt. Ralf Stegner wird uns weiterhin mit seiner schlechten Laune quälen. Wenn es eine Schlafkur für Parteien gäbe, müssten wir der SPD ins künstliche Koma schicken.

Bleibt die Kanzlerin. Noch keiner ihrer Vorgänger ist der Abschied gelungen, und ihr wird er auch nicht gelingen. Ich habe sie ungemein geschätzt, sie hat ihre historischen Verdienste, aber die hatten Schröder, Kohl, Schmidt und Brandt auch. Aber nichts hat sie vom Übergang ins Kraftlose abgehalten, kein innerer Kompass, keine innere Stimme. Am Ende gehen sie nicht. Sie werden gegangen.

Was bleibt uns? Die Einsicht, dass die von uns Gewählten die Demokratie überlang strapazieren. Sie sollten damit aufhören.

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