Mut zur Einheit Wollen wir die Vereinigten Staaten von Europa?
Warum verstehen wir uns eigentlich nur im Urlaub in Italien oder Spanien oder Griechenland als Europäer und nörgeln ansonsten über die Brüsseler Großbürokratie oder Oettingers schwäbisches Englisch? Dabei sind wir doch selber verantwortlich für das, was Europa ist und was daraus wird.
Wie? Eine linke walisische Rockband singt auf Deutsch ernsthaft über Europa? Kein Witz, im Gegenteil. "Europa geht durch mich" meint ja wohl so viel wie: Ich bin Europa. Das ist ein anspruchsvoller Gedanke, weil die Verantwortung, was Europa ist und was aus ihm wird, in die Hände von jedem einzelnen gelegt wird. Ich, Du, Sie, wir alle müssen uns Gedanken darüber machen, wohin die Reise geht. Es genügt nicht, einmal alle paar Jahre lustlos das europäische Parlament zu wählen. Wir sollten uns auch als Europäer verstehen, anstatt als Waliser oder Deutsche, und die Konsequenzen daraus ziehen. Die Preachers singen: "European skies, European desires / European roads, European hopes / European sons, European love / European dreams, European screams."
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Ich war höllisch froh, dass ich in der Vorbereitung dieser Kolumne auf das Bekenntnis der Manic Street Preachers zu Europa gestoßen bin. Sie haben Mut. Sie tourten durch etliche Länder, nahmen eine CD, auf der sich ihr Glastonbury-Song findet, in Berlin auf. Dabei ist ihnen aufgefallen, dass Europa mehr ist als seine Teile.
War es nicht richtig, Griechenland zu retten?
Geht es uns nicht auch so? Die meisten von uns finden Europa gut, wenn wir in Italien, Spanien, Frankreich, Griechenland oder Kroatien herumreisen oder Urlaub machen. Und sind wir nicht froh darüber, dass uns da und dort der Umtausch in eine fremde Währung erspart bleibt? Na klar. Was folgt daraus? Das Schöne zu hegen und zu pflegen, zu bewahren und zu entfalten.
Damit wächst das, was Europa ist, von selber ins Politische hinüber, ob wir es wollen oder nicht. Griechenland ist noch immer ziemlich pleite. Spanien und Portugal geht es besser, habe ich gerade gelesen, was aber nicht bedeutet, dass die Jugendarbeitslosigkeit weniger beschämend hoch liegt. Aber war es nicht richtig, Geld dort hinein zu geben, damit der Süden weiterhin zu Europa gehören kann? Ich kenne alle Argumente, vor allem die der Ökonomen, die dagegen sprechen, aber das kulturelle Argument schlägt für mich das ökonomische.
Europa muss schauen, wo es bleibt
Ich bin ein überzeugter Europäer. Als ich in Washington lebte, haben mich amerikanische Freunde gefragt, ob ich Deutschland nicht vermisste. Nö, habe ich nicht, aber mir haben die Farben Italiens und das Kopfsteinpflaster, in das europäische Geschichte eingeschrieben ist, plötzlich gefehlt. Meiner Frau ging es genau so. Ohne diese Fragen wären wir wahrscheinlich gar nicht auf die Idee gekommen, uns für Europäer zu halten. Deutsche Europäer eben. Gut so. Richtig so.
Ich bin auch ein Proamerikaner, obwohl es mir langsam schwer fällt, es zu bleiben. Ich bin in den fünfziger Jahren zu meinem Glück in der amerikanischen Besatzungszone aufgewachsen und der Kalte Krieg blieb kalt, weil Amerika da war. Die Wiedervereinigung wäre ohne George Herbert Walker Bush weitaus schwieriger vonstatten gegangen. Amerika ist noch da, aber kaum noch lange. Die Weltmacht orientiert sich nach Asien, was ich gut verstehen kann. Schon deshalb muss Europa schauen, wo es bleibt und was es ändern muss.
Über Europa zu reden oder zu schreiben kann furchtbar langweilig sein. Ach, Europa: Oettinger und Junker, Marine Le Pen im Parlament. Alltag ist nun einmal langweilig.
Es gehört Mut dazu, über Europa zu reden
Aber nicht immer ist Alltag. Ich bin enorm dankbar, wenn sich jemand aufrafft, groß über Europa zu denken und zu sprechen. Siebzehn Jahre ist es her, dass Joschka Fischer in Berlin eine Rede über die "Finalität der Europäischen Integration" hielt. Ich fand das toll, zumal Mut dazu gehört, mit tiefem Ernst über Europa zu reden. Denn die Resonanz in der Öffentlichkeit und in der Politik ist oft genug unangemessen. Das Heer der Neidhammel, die den Kopf so hoch nicht heben können, fällt gern über ambitionierte Europäer dieses Schlags her. Auch Emmanuel Macron hielt vor ein paar Wochen eine kraftvolle Rede und das Echo fiel ähnlich aus.
Immer geht es in diesen großen Reden darum, wie viel Europa die Europäer wollen oder aushalten, weil die Nationalstaaten an Souveränität verlieren, was Europa an Kompetenzen gewinnt. Ich halte europäische Universitäten für einen Fortschritt. Ich finde auch länderübergreifend Listen für die nächsten Europa-Wahlen richtig, genau so wie eine europäische Staatsanwaltschaft oder eine Finanztransaktionssteuer auf Börsengeschäfte. Das sind ein paar Vorschläge des französischen Präsidenten.
Wollen wir die Vereinigten Staaten von Europa?
Aber natürlich kommt es darauf an, wie viel finale Integration wir wollen oder aushalten. Final meint: Wollen wir am Ende die Vereinigten Staaten von Europa haben? Ja, will ich. Mit eigener Armee (kann auch die Nato sein). Mit eigenem Präsidenten. Mit eigenen Ministern. Vielleicht haben bis dahin Polen und Ungarn und auch die Türkei (die zu Europa gehört) ihre nationalistische Aufwallungsphase hinter sich und machen mit. Aber ohne das eine oder andere Land ginge es auch voran. Demokratie und Rechtsstaat und Gewaltenteilung sind das Erbe Europas, was denn sonst, und wer final dabei sein will, muss es beachten.
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Amerika wird uns irgendwann links (oder rechts) liegen lassen, weil Asien der Kontinent des 21. Jahrhunderts ist. Wenn wir nicht allein zu Haus bleiben wollen, sollten wir uns zusammentun und die Verantwortung für uns selber kollektiv tragen. Denn politisch und natürlich auch ökonomisch ist es wichtig, dass wir in uns der globalisierten Welt mit dem neuen Zentrum China nicht abhängen lassen. Und für die Welt ist es gut, wenn das europäische Modell aus Demokratie plus Marktwirtschaft bewahrt bleibt.
Ja, durch uns geht Europa.