Waffenruhe in Nahost Hamas und Israel tauschen Geiseln gegen Häftlinge aus
Israel und die Hamas haben sich im Januar auf ein Abkommen im Gaza-Krieg geeinigt. Als Teil des Deals kommen weitere aus Israel Verschleppte sowie palästinensische Häftlinge frei.
Drei aus Israel entführte Männer sind nach 484 Tagen Geiselhaft im Gazastreifen in ihre Heimat zurückgekehrt. Ihre Freilassung aus der Gewalt der Hamas löste in Israel große Freude aus. Im Westjordanland und Gazastreifen warteten Angehörige auf die Rückkehr von palästinensischen Häftlingen aus israelischen Gefängnissen. In Gaza sorgte die Nachricht über die Öffnung des Grenzübergangs Rafah zu Ägypten für Erleichterung.
Die Hamas übergab im Zuge einer Waffenruhe-Vereinbarung mit Israel folgende Geiseln an das Rote Kreuz.
- Ofer Kalderon (54), israelisch-französischer Staatsbürger
- Jarden Bibas (35), israelisch-argentinischer Staatsbürger
- Keith Siegel (65), israelischer und US-amerikanischer Staatsbürger
Im Gegenzug kamen 183 Palästinenser frei - 72 aus israelischen Gefängnissen und 111 nach dem 7. Oktober im Gazastreifen festgenommene Personen.
Palästinensische Terroristen hatten Kalderon, Bibas und Siegel während des Hamas-Massakers am 7. Oktober in Israel verschleppt. Vor allem das Schicksal der Familie Bibas sorgt weltweit für Aufsehen. Bibas" Frau und ihre zwei Kleinkinder werden weiterhin im Gazastreifen festgehalten. In Israel gibt es "ernsthafte Sorgen" um das Schicksal der drei, die auch die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen.
Nach der Freilassung der drei Verschleppten werden noch 79 Geiseln im Gazastreifen festgehalten, 35 von ihnen sind israelischen Angaben zufolge tot. Die nächsten Geiseln sollen am kommenden Wochenende freikommen.
Keine großen Menschenmengen bei Geisel-Freilassungen
Die beiden Geisel-Übergaben in Chan Junis und der Stadt Gaza verliefen im Vergleich zur Freilassung am Donnerstag, bei der sich chaotische Szenen abgespielt hatten, geordnet und zügig. Die zwischen Israel und der Hamas vermittelnden Staaten hatten israelischen Angaben zufolge eine sichere Ausreise der Geiseln zugesagt. Dieses Mal war keine große Menschenmenge vor Ort versammelt.
Fernsehaufnahmen zeigten, wie bewaffnete und vermummte Hamas-Kämpfer in Uniform am Hafen von Gaza eine Straße säumten, durch die das Fahrzeug mit Keith Siegel fuhr. Zu sehen ist auch eine Frau, die Rosenblätter und glitzerndes Konfetti in Richtung der Hamas-Kämpfer streut. Das sorgsam inszenierte Prozedere glich einer Machtdemonstration der Hamas.
Vor jeder Übergabe unterschrieben Hamas und Vertreter des Roten Kreuz "Freilassungsdokumente". Auf Fernsehaufnahmen war zu sehen, wie Kalderon und Bibas nacheinander auf eine Bühne in der Stadt Chan Junis traten und dort Anwesenden winken mussten.
Auf einem Banner an der Bühne, auf die Keith Siegel zwei Stunden danach am Hafen der Stadt Gaza geführt wurde, stand in hebräischer Schrift: "Der Zionismus wird nicht siegen". Unter dem Begriff versteht man das Streben nach der Gründung eines jüdischen Staates. In ihrer Charta fordert die Terrororganisation Hamas die Zerstörung des Staates Israel und die gewaltsame Errichtung eines islamischen Staates Palästina vom Jordan-Fluss im Osten bis zum Mittelmeer im Westen.
Grenzübergang Rafah wieder geöffnet - Patienten reisen nach Ägypten aus
Nach der Rückkehr der drei Verschleppten nach Israel wurde erstmals seit fast neun Monaten der Grenzübergang Rafah zwischen Ägypten und dem Gazastreifen wieder geöffnet. Mehrere Patienten wurden aus dem Gazastreifen über Rafah zur ärztlichen Behandlung nach Ägypten gebracht, wie Sicherheitskreise und der Ägyptische Rote Halbmond bestätigten. Zunächst sollten rund 50 von ihnen den Gazastreifen verlassen.
Der staatsnahe TV-Sender Al-Kahira News berichtete, unter anderem seien ein Junge mit einer Immunkrankheit in Begleitung seiner Mutter sowie ein Mädchen, dem ein Bein amputiert werden sollte, nach Ägypten gebracht worden.
Insgesamt benötigen nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO 12.000 bis 14.000 Personen dringend medizinische Hilfe, die im Gazastreifen nicht geleistet werden kann. Darunter seien mindestens 2.500 Kinder. Es geht um Menschen mit lebensbedrohlichen Krankheiten oder Kriegsverletzungen.
Der einzige Grenzübergang, der nicht über israelisches Gebiet führt, wurde geschlossen, nachdem Israels Armee dort im vergangenen Mai auf palästinensischer Seite die Kontrolle übernommen hatte.
Freigelassene Geiseln treffen Angehörige - große Emotionen
Nach der Rückkehr der drei freigelassenen Männer herrschte in Israel, und vor allem bei den Angehörigen der Ex-Geiseln große Freude. Jarden Bibas etwa ist auf einem von der israelischen Regierung verbreiteten Video lächelnd und in enger Umarmung mit seinem Vater und seiner Schwester zu sehen. Sein Humor sei geblieben, hört man seinen sichtlich erleichterten Vater zu dem 35-Jährigen sagen. Immer wieder küsst er seinen Sohn.
Israels Regierung veröffentlichte auch Aufnahmen des freudigen Wiedersehens von Ofer Kalderon mit seinen vier Kindern. Ein Video zeigt den Vater, wie er seine beiden Töchter und beiden Söhne umarmt und anschließend mit ihnen Scherze macht. "Ich habe nicht aufgegeben", ließ er die vier wissen. Zu seinem ältesten Sohn, der den Terrorüberfall andernorts in einem Schutzraum überlebte, sagte er scherzend, dieser habe sich besser versteckt.
Angehörige empfangen palästinensischen Häftlinge in Ramallah
Dutzende freigelassene palästinensische Häftlinge kamen im Westjordanland an. Angehörige der Betroffenen empfingen sie in der Stadt Ramallah, wie palästinensische Medien meldeten. Insgesamt sollten 72 Häftlinge freikommen, darunter auch einige, die zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt wurden. Zu den bekanntesten, die Berichten zufolge freikamen, zählen:
- Schadi Amuri, der im Jahr 2002 einen Autobombenanschlag mit 17 Toten verübte
- Ahmed Salim, der 2002 an der Ermordung eines israelischen Ehepaars im Westjordanland beteiligt war
Die beiden aus dem Westjordanland stammenden Männer werden nach ihrer Freilassung ins Ausland gebracht, in welches Land, war nicht bekannt. Das ist im Rahmen des Gaza-Abkommens wegen der Schwere ihrer Straftaten vorgesehen.
Zusätzlich sollten 111 nach dem 7. Oktober im Gazastreifen festgenommene Palästinenser freikommen. Berichten zufolge soll Israel festgestellt haben, dass sie nichts mit dem Hamas-Terrorüberfall zu tun hatten.
Die Hamas teilte mit, dass Ex-Häftlinge in Krankenhäusern behandelt werden müssten. Sie warf Israel vor, die Gefangenen in Gefängnissen misshandelt und gefoltert zu haben. Auch in den vergangenen Wochen entlassene Häftlinge hatten palästinensische Medien von Misshandlungen berichtet. Die Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.
Noch 79 Geiseln im Gazastreifen
Das Abkommen über eine Waffenruhe trat am 19. Januar in Kraft. Es sieht vor, dass in einer ersten Phase innerhalb von sechs Wochen 33 Geiseln im Austausch für 1.904 palästinensische Häftlinge freigelassen werden. Die Hamas teilte zuletzt mit, dass acht der 33 Geiseln tot seien. Um wen genau es sich dabei handelt, ist unklar. 18 Geiseln sind inzwischen frei.
Terroristen der Hamas und anderer extremistischer Gruppen hatten bei ihrem Überfall auf Israel am 7. Oktober 2023 rund 1.200 Menschen getötet und mehr als 250 Israelis als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Der Überfall war der Auslöser des Krieges in dem abgeriegelten Küstengebiet, wo seither laut der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde mehr als 47.400 Menschen getötet wurden. Die Zahl unterscheidet nicht zwischen Zivilisten und Kämpfern.
- Nachrichtenagentur dpa