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EU-Parlamentspräsident David Sassoli: Das erwartet er von Angela Merkel


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EU-Parlamentspräsident Sassoli
"Das kann die Kluft zwischen dem Norden und Süden verringern"

InterviewVon Tim Kummert

Aktualisiert am 07.07.2020Lesedauer: 6 Min.
EU-Parlamentspräsident Sassoli: Der Dialog zwischen der deutschen Ratspräsidentschaft und den Ländern Südeuropas könne helfen, "die Kluft zwischen dem Norden und dem Süden zu verringern".Vergrößern des Bildes
EU-Parlamentspräsident Sassoli: Der Dialog zwischen der deutschen Ratspräsidentschaft und den Ländern Südeuropas könne helfen, "die Kluft zwischen dem Norden und dem Süden zu verringern". (Quelle: reuters)

Europa befindet sich in einer schweren Krise, David Sassoli kämpft dagegen an. Im Gespräch erklärt der Präsident des EU-Parlaments, wie die Rettung gelingen kann. Und was er sich von Angela Merkel erhofft.

David Sassoli ist ein Mann, der über sich selbst einmal gesagt haben soll: "Ich bin kein Star, ich bin sehr langweilig." Karriere machte der heute 64-Jährige im Fernsehen, moderierte lange Zeit die Hauptnachrichtensendung "TG1" im italienischen Fernsehen. Heute hat Sassoli eine andere Position inne: Der Italiener ist seit 2019 Präsident des Europäischen Parlaments.

In seiner Heimat Italien gilt Sassoli als hartnäckiger Kritiker der rechtspopulistischen ehemaligen Regierungspartei Lega Salvini Premier, in Brüssel und Straßburg muss er gegen die Folgen der Corona-Krise in Europa ankämpfen. Dabei arbeitet er mit Ursula von der Leyen, der EU-Kommissionschefin, und Charles Michel, dem Präsidenten des Europäischen Rats, zusammen. Im Gespräch mit t-online.de führt der überzeugte Europäer Sassoli aus, wie der Weg aus der Krise gelingen kann, warum ein einiges Europa in der Welt bestehen wird und warum er glaubt, dass Nationalisten falsch liegen.

t-online.de: Herr Präsident Sassoli, am Mittwoch stellt Bundeskanzlerin Angela Merkel die Leitlinien für die anstehende deutsche Ratspräsidentschaft im EU-Parlament vor. Was erwarten Sie von ihr?

David Sassoli: Wir haben die Prioritäten der deutschen Ratspräsidentschaft mit großem Interesse wahrgenommen und ich bin der Ansicht, dass sie den aktuellen Herausforderungen voll und ganz angemessen sind. Wir brauchen ein Europa, das die Volkswirtschaften aller Mitgliedstaaten neu belebt und den Menschen hilft, aus dieser schrecklichen Situation herauszukommen.

Die Regierungschefs ringen noch um den etwa 750 Milliarden schweren Wiederaufbaufonds. Mit dem Geld soll den Staaten geholfen werden, die besonders von der Krise betroffen sind.

Das Parlament wird darauf pochen, dass wir nicht hinter den Vorschlag, der auf dem Tisch liegt, zurückfallen. Ich hoffe, dass wir da bald zu einer Einigung kommen und den verschiedenen Ländern sowie unseren Bürgerinnen und Bürgern schnell Unterstützung zukommen lassen können. Wir brauchen außerdem einen Zeitplan für das Inkrafttreten der europäischen Eigenmittel. Und dann wollen wir im Hinblick auf das EU-Budget noch einmal einige Haushaltslinien diskutieren, die uns nicht überzeugen – zumal wenn es um junge Menschen geht und beispielsweise Investitionen in Forschung und Erasmus.

Wenn wir sagen, dass junge Menschen unsere Zukunft sind, können wir nicht ausgerechnet an dieser Stelle kürzen. Wir sagen in Richtung der anderen Institutionen: Wir bürden der nächsten Generation einiges an Schulden auf, ob es nun um Kredite oder Zuschüsse geht. Deshalb müssen wir ihr auch etwas zurückgeben. Wir müssen junge Menschen in die Lage versetzen, künftig einen höheren Lebensstandard zu haben.

Südeuropäische Länder wie Italien und Spanien hat die Pandemie mit vielen Todesfällen besonders getroffen, die Konjunktur dort verzeichnet dramatische Einbußen. Wie kann den Menschen dort möglichst schnell geholfen werden?

Indem wir jetzt Tempo beim Wiederaufbaufonds und beim EU-Budget machen – das hilft allen Ländern, denn wir sitzen alle in einem Boot. Im Übrigen ist der Dialog, der derzeit zwischen der deutschen Ratspräsidentschaft und den Ländern Südeuropas stattfindet, sehr produktiv und interessant. Er kann uns helfen, die Kluft zwischen dem Norden und dem Süden zu verringern. Ich glaube, jetzt ist der richtige Zeitpunkt, dies zu tun. Anfang März hat jeder gesehen, dass die EU entweder gestärkt werden muss oder auseinanderzufallen droht. Letzteres wäre für alle schlecht, und glücklicherweise ist das ja auch nicht passiert. Jetzt müssen wir daran arbeiten, die EU zu stärken.

Was sind die nächsten Ziele, die jetzt von der Europäischen Union erreicht werden sollten?

Zunächst: Wir haben es aktuell mit einem absoluten Ausnahmefall zu tun. Wer hätte sich im Februar vorstellen können, dass es Lockdowns auf der ganzen Welt gibt? In solchen Situationen gibt es natürlich ein Vorher und ein Nachher. Wir müssen die Erfahrung aus Covid-19 nutzen, um die Union zu stärken, ihr die Möglichkeit geben, an Unabhängigkeit und Widerstandsfähigkeit zu gewinnen.

Aber natürlich dürfen wir auch die Ziele vom Beginn der Legislaturperiode nicht aus den Augen verlieren. Wir wollen weltweit führend sein im Kampf gegen Emissionen. Unsere Vision ist es, den Planeten zu retten. Wenn Europa es nicht tut, tut es niemand. Wir müssen unsere Volkswirtschaften verändern, grüner und nachhaltiger wirtschaften, wir müssen auch unsere Art, zu leben, ändern. Alle Mitgliedstaaten müssen hierzu beitragen. Wir müssen zugleich in langen Linien denken, um der EU zu ermöglichen, ihr volles Potenzial zu entfalten.

Nicht nur die Strategien zur Bekämpfung sind unterschiedlich, es wurden für kurze Zeit auch die Grenzkontrollen zwischen Ländern teilweise wieder eingeführt. Hat die Corona-Pandemie den Zusammenhalt in der EU beschädigt?

Das glaube ich nicht, denn das wichtigste Abkommen blieb unangetastet: Schengen ist nicht ausgesetzt worden. Ja, es gab zwar Kontrollen an den Ländergrenzen, aber teilweise auch in den Mitgliedstaaten selbst. Beispielsweise konnte man zwischenzeitlich innerhalb von Italien auch nicht einfach von einer Stadt in die andere reisen. Gleichzeitig hat die EU-Kommission ab Mitte März dafür gesorgt, dass die sogenannten grünen Fahrspuren für den Transport von Lebensmitteln und medizinischen Gütern eingerichtet wurden. Jetzt fallen langsam wieder die Reisebeschränkungen.

Zugleich wurden auch in der Corona-Krise die Stimmen derer lauter, die eine Abschaffung des Staatenbunds der EU fordern. Wie ist diesem aufkeimenden Nationalismus zu begegnen?

Wir denken, dass alle Nationen in Europa europäisch sind. Viele Nationalisten sehen Europa als eine Fessel, aber man kann doch viel mehr erreichen, wenn man mit seinen Nachbarn zusammenarbeitet. Wir wären verloren, wenn jeder versuchen würde, den Weg alleine zu gehen, jeder wäre schwächer. Natürlich müssen wir uns immer vor Nationalisten hüten, vor Menschen, die nur zerstören und nicht aufbauen können.

Großbritannien hat sich dennoch entschieden, die EU zu verlassen. Bis Jahresende bleibt noch Zeit, um ein Handelsabkommen zu beschließen – doch kürzlich sind britische Verhandlungsführer wieder abgereist. Warum wird man sich seit Monaten nicht einig?

Ich hatte vor zwei Wochen gemeinsam mit der Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, und dem Präsidenten des Europäischen Rats, Charles Michel, ein Gespräch mit Premierminister Boris Johnson. Wir haben noch einmal unterstrichen, dass wir unbedingt eine Einigung für einen geordneten Brexit erreichen möchten. Aber gleichzeitig merken wir, wie schwierig es ist, eine Lösung zu finden: Ich sehe auf der britischen Seite keinen großen Wunsch, bis zum Ende dieses Jahres eine für alle zufriedenstellende Vereinbarung zu erreichen. Ich hoffe sehr, dass sich das ändert, ansonsten fallen wir im Umgang mit Großbritannien auf die Regeln der Welthandelsorganisation zurück, die für den Umgang mit anderen Ländern auch international gelten. Das wäre für alle Beteiligten die falsche Lösung.

Wie steht es aus Ihrer Sicht um Europa auf der internationalen Bühne, insbesondere was das Verhältnis zu den USA angeht?

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Was wir brauchen, ist eine unabhängigere EU. Um dies zu erreichen, müssen wir unseren eigenen Standpunkt vertreten. Wir müssen zum Beispiel auch die Produktion, die wir ausgelagert haben, nach Europa zurückholen und wir müssen das gemeinsame Verteidigungsprojekt vorantreiben. Damit die EU den globalen Herausforderungen besser gewachsen ist, bedarf es vieler Zutaten, nicht nur einer einzelnen.

Abgesehen davon haben wir eine multilaterale Ausrichtung, aber wir haben auch eine Beziehung zu den Vereinigten Staaten, die durch keine politische Entscheidung, auch nicht von amerikanischer Seite, infrage gestellt wird. Nun haben die Vorbereitungen für den US-Wahlkampf begonnen und wir werden sehen, wie die Bürgerinnen und Bürger entscheiden. Grundsätzlich gilt für den internationalen Dialog: Wir wollen, dass unsere Beziehungen auf Prinzipien und Regeln basieren. Dies ist die europäische Art, auf die Dinge zu schauen, und das fehlt heutzutage häufig. Wir müssen aufstehen und diese Sichtweise in der Welt vertreten.

Das Gespräch mit David Sassoli wurde in einem Journalistenverbund geführt. Die daraus entstandenen Interviews erscheinen heute unter anderem in Spanien, Italien und Frankreich. t-online.de interviewte Sassoli dabei exklusiv als einziges deutsches Medium mit.

Herr Präsident, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Gespräch via Videoschalte mit David Sassoli
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