Frans Timmermans Sozialdemokratisch, volksnah, chancenlos?
Der Spitzenkandidat der Sozialdemokratischen Partei Europas, Frans Timmermans, stürzt sich in den Europawahlkampf. Er möchte EU-Kommissionschef werden – trotz mäßiger Chancen. Wer ist der Mann?
Erst gegen Ende wurde Frans Timmermans laut. "Der Binnenmarkt, die Währung, das sind keine Ziele, meine Freunde, das sind nur Instrumente", rief der sozialdemokratische Spitzenkandidat für die Europawahl jüngst vor Genossen in Österreich. "Unsere Werte sind unsere Ziele." Soziale Gerechtigkeit, Gleichheit von Mann und Frau, Offenheit, Unabhängigkeit von Richtern und Journalisten. "Die Sozialdemokratie steht auf!"
Klassenkampf ist dem 57 Jahre alten Vizepräsidenten der EU-Kommission nicht unbedingt auf den Leib geschrieben. Der frühere niederländische Außenminister spricht oft sanft, er erzählt gerne von seinen Kindern und begeistert sich für sperrige Themen wie Nachhaltigkeit, Klimawandel oder bessere Rechtssetzung. Jetzt aber ist der Kämpfer in Timmermans gefragt: Der Sozialdemokrat will neuer EU-Kommissionschef werden und ist damit wichtigster Gegenspieler des deutschen CSU-Politikers Manfred Weber.
Für Timmermans wird es nicht leicht. Zwar parliert der Diplomatensohn charmant und flüssig in sieben Sprachen, darunter auch Deutsch. Er hat etwas, was Weber fehlt: Regierungs- und Führungserfahrung. Und er bewegt sich politisch so mehrheitsfähig-mittig, dass Linke ihn als verkappten Liberalen verdächtigen. Trotzdem sind seine Chancen mäßig: Europas Sozialdemokraten schwächeln.
Die wichtigsten Termine
5. Mai: Letzter Tag für die Benachrichtigung der Wahlberechtigten in Deutschland. Zudem müssen sich Menschen, die nur auf Antrag ins Wählerverzeichnis aufgenommen werden, bis zu diesem Tag melden.
15. Mai: Im Plenarsaal des Europaparlaments in Brüssel debattieren die Spitzenkandidaten der Parteien.
23. Mai: Erster von vier aufeinanderfolgenden Abstimmungstagen der Europawahl. Den Auftakt machen Niederländer und Briten – so letztere die EU nicht vorher doch noch verlassen.
26. Mai: Zum letzten Abstimmungstag der Europawahl sind auch die Deutschen an die Urnen gerufen. In Deutschland werden zeitgleich die Bremische Bürgerschaft und die Kommunalvertretungen in zehn Bundesländern gewählt.
Vom 27. Mai an: Die gewählten Mitglieder des neuen Parlaments können nach der Wahl Fraktionen bilden. Möglicherweise müssen angesichts der Wahlergebnisse neue politische Bündnisse geschmiedet werden. Die EU-Staats- und Regierungschef müssen entscheiden, wen sie als neuen Kommissionspräsidenten vorschlagen.
2. Juli: Konstituierende Plenartagung des neu gewählten Europaparlaments mit Wahl eines neuen Parlamentspräsidenten.
Juli: Erst in der zweiten Plenarsitzung können die Parlamentarier einen neuen Kommissionspräsidenten wählen. Den genauen Termin legen sie selbst fest.
September/Oktober: Das Parlament muss der Ernennung der neuen Mitglieder der EU-Kommission zustimmen.
31. Oktober: Die Amtszeit von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und seiner 27 Kolleginnen und Kollegen aus den Mitgliedstaaten endet. Zugleich ist auf den Tag der festgelegte späteste Termin für den Austritt Großbritanniens aus der EU datiert.
Bei der Europawahl 2014 erreichten sie 25,4 Prozent der Stimmen, in Umfragen zuletzt nur noch 19,8 Prozent, deutlich hinter Webers Europäischer Volkspartei (EVP) mit 24 Prozent. Timmermans hofft, dass es am Ende für eine "progressive Mehrheit" im EU-Parlament reicht, zusammen mit Grünen, Liberalen und Linken. "Wir müssen Europa dringend verändern", sagte Timmermans neulich im TV-Duell mit Weber im französischen Fernsehen. "Wir brauchen ein progressives Europa."
Der massige Mann mit den klingenden Vornamen Franciscus Cornelis Gerardus Maria stammt aus Heerlen an der deutsch-niederländischen Grenze, lebte aber in jungen Jahren schon in Paris, Brüssel und Rom. Er studierte französische Literatur- und Sprachwissenschaft in den Niederlanden und französische Literatur, Politik und Europarecht im französischen Nancy, bevor er wie sein Vater Diplomat wurde.
Wie Weber gibt sich Timmermans volksnah und heimatverbunden. Seine Bewerbung für den Kommissionsvorsitz gab er im Oktober in Heerlen bekannt. "Hier gehöre ich hin", sagte der in zweiter Ehe verheiratete Vater von vier Kindern. "Nicht ins Berlaymont."
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Das stimmt natürlich nur halb, denn in eben diesem Berlaymont, dem Sitz der EU-Kommission, hat er die vergangenen fünf Jahre verbracht. Dort stritt er für die Kommission mit Polen, Ungarn und Rumänien über Justizreformen und warb für das – letztlich auch beschlossene – Verbot von Einwegplastik. Und dort will er immerhin in den nächsten fünf Jahren das Sagen haben.
- Nachrichtenagentur dpa