"Es ist nicht zu spät" Anti-Brexit-Partei "Renew" will das Blatt noch wenden
Könnte der Brexit noch gestoppt werden? EU-Freunde in Großbritannien haben die Hoffnung anscheinend noch nicht ganz aufgegeben. Eine neue Partei trommelt gegen den Ausstieg.
Noch ein gutes Jahr, dann soll es so weit sein: Großbritannien verlässt die EU. Die großen politischen Parteien auf der Insel sind sich darin einig, dass die Entscheidung unumstößlich ist, nicht mehr rückgängig gemacht wird und auch nicht werden kann. Aber innerhalb der konservativen Londoner Regierung herrscht Uneinigkeit darüber, wie scharf der Schnitt sein soll, der das Königreich von der Europäischen Union trennen wird. Und das gibt Pro-EU-Kräften, die hoffen, dass sich das Blatt am Ende doch noch wenden kann, Auftrieb.
Inspiriert durch Macrons "En Marche!"
So ist eine neue Anti-Brexit-Partei entstanden, die sich "Renew" nennt, übersetzt erneuern oder auch verlängern. Die Gruppe hofft, Wähler mobilisieren zu können, die sowohl genug von den Konservativen als auch von der Labour Party haben. Beide große Parteien sind entschlossen, Großbritannien aus der EU zu führen. Zum Teil inspiriert durch die Bewegung "En Marche!" des französischen Präsidenten Emmanuel Macron will "Renew" Menschen ansprechen, die sich "politisch heimatlos und im Stich gelassen fühlen", wie Sandra Khadhouri, Co-Chefin der Organisation, sagt. Die Botschaft von "Renew" laute: "Es ist nicht zu spät. Es ist noch nicht gegessen."
So hat die Gruppe denn am Mittwoch einen Bus auf die Reise geschickt, auf dem in großer Schrift die Summe prangt, die der EU-Ausstieg die Briten kosten könnte: 2000 Millionen Pfund (2,3 Milliarden Euro) pro Woche im Zeitraum von 15 Jahren. Die Pro-EU-Kämpfer berufen sich dabei auf regierungsinterne Schätzungen, die an die Öffentlichkeit gelangten. Demnach könnte sich das Wirtschaftswachstum in dieser Zeitperiode um fünf Prozent abschwächen, auch wenn es nach dem Brexit zu einem umfassenden Freihandelsvertrag käme.
"Wir müssen den Menschen die Fakten vorlegen"
"Es gibt so viele neue Informationen, die über die Kosten des Brexit herausgekommen sind", sagt Virginia Beardshaw, eine der Organisatoren der Bustour unter dem Motto "Is it Worth it?" (Ist es die Sache wert?). "Wir müssen den Menschen die Fakten vorlegen und sie eine eigene Meinung bilden lassen."
Es ist mittlerweile 20 Monate her, dass Großbritannien mit 52 zu 48 Prozent für den EU-Ausstieg nach über 40 Jahren Mitgliedschaft stimmte. Vor fast einem Jahr leitete die Regierung dann konkret den zweijährigen Countdown zum Brexit ein, der am 29. März 2019 wirksam werden soll.
Aber noch ist unklar, wie die künftigen Beziehungen zwischen der europäischen Gemeinschaft und Großbritannien genau aussehen werden. Das betrifft vor allem die Frage, wie viel Zugang das Vereinigte Königreich zum EU-Binnenmarkt erhalten wird. Verhandlungen über das Verhältnis nach dem Brexit sollen im März beginnen. Ziel ist es, bis zum Herbst eine breit angelegte Vereinbarung zu erzielen, damit die EU-Länder den Deal vor Ende März 2019 genehmigen können.
Im Vorfeld der Verhandlungen stand am Donnerstag ein Treffen von britischen Kabinettsmitgliedern an – ein neuerlicher Versuch der Regierung, eine gemeinsame Linie zu finden. Auf der einen Seite stehen die Verfechter eines "harten" Brexit, die einen klaren Bruch wollen, auf der anderen die Befürworter einer "sanfteren" Lösung, um die wirtschaftliche Schockwirkung des Ausstiegs etwas abzufedern.
Vor dem Treffen ließen die Brexit-Hardliner ihre Muskeln spielen: 62 konservative Parlamentarier warnten Regierungschefin Theresa May in einem Brief davor, EU-Forderungen nachzugeben. Großbritannien müsse "volle regulative Autonomie" haben, das heißt, es dürfe sich nicht auf Bestimmungen der EU einlassen, um im Austausch Zugang zu deren Programmen und Markt zu erhalten.
Viele sind "von den traditionellen Parteien enttäuscht"
Die "Renew"-Kämpfer glauben, dass die Öffentlichkeit eine solche harte Position nicht will und die Unterstützung für den Brexit im Zuge der andauernden Unsicherheit abbröckelt. Die Botschaft der Organisation finde großen Anklang bei Wählern, "die von den traditionellen Parteien enttäuscht sind, ihnen anlasten, dass sie Mitschuld an unserem derzeitigen politischen Scherbenhaufen tragen", sagt James Clarke, der zu den "Renew"-Führungspersonen zählt.
Die Gruppe hofft, bei der nächsten Wahl Kandidaten für alle 650 Parlamentssitze ins Rennen schicken zu können. Aber das mag nicht vor 2022 geschehen, drei Jahre nach dem Brexit. Und als eine Partei, die ihren Ursprung in gehobeneren Londoner Berufskreisen hat, könnte es "Renew" schwer haben, Wähler in wirtschaftlich schwächeren ländlicheren Gebieten anzusprechen – und dort ist die Unterstützung für den Brexit am stärksten.
Die meisten Menschen seien die Diskussionen über den Brexit völlig leid und wollten einfach, dass diese Angelegenheit in den Hintergrund rücke, meint Politik-Expertin Victoria Honeyman von der Universität Leeds. "Technisch könnten wir den Brexit noch stoppen. Aber ich sehe nicht, wie das geschehen könnte. Ich glaube, wir sind schon zu weit auf dem Weg fortgeschritten."
- AP