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Paradise Papers: Margrethe Vestager kämpft gegen Steuerhinterzieher in Europa


Paradise Papers – was tut die EU?
Die Kommissarin und der Kampf gegen die Steuertricks

t-online, RP

07.11.2017Lesedauer: 5 Min.
Europas aufrechte Kämpferin: EU-Kommissarin Margrethe Vestager geht resolut gegen legale Steuerhinterzieher wie Apple vor. Manche trauen ihr auch das Amt des EU-Kommissionschef zu.Vergrößern des Bildes
Europas aufrechte Kämpferin: EU-Kommissarin Margrethe Vestager geht resolut gegen legale Steuerhinterzieher wie Apple vor. Manche trauen ihr auch das Amt des EU-Kommissionschef zu. (Quelle: Charles Platiau/Reuters-bilder)

In ihrer Heimat Dänemark dient sie als Vorbild für den Polit-Krimi "Borgen", in Brüssel als resolute EU-Kommissarin: Margrethe Vestager ist Europas aufrechte Kämpferin gegen Steuertricks. Ihr Credo: "Keine Politik ohne Widerstand."

Die Frau strickt gerne (am liebsten Woll-Elefanten). Sie hat eben einen kleinen Hang zum Skurrilen. In ihrem Büro in Brüssel thront eine kleine Faust mit ausgestrecktem Mittelfinger. Ein Arbeitsloser hat sie Vestager einst in ihrer Zeit als dänische Wirtschaftsministerin überreicht - als Protest gegen ihre Arbeitsmarktreformen. "So ist das eben", hat Vestager den Zwischenfall kommentiert. Kühl und knapp.

So ist sie. Margrethe Vestager, 49, modischer Pixie Cut. Ihr Credo lautet: "Es gibt keine Politik ohne Widerspruch". In ihrer Heimat Dänemark wird sie deshalb mal "Eiskönigin" oder - in Anlehnung an die strenge dänische Königin - "Margrethe III" genannt. Je nachdem, ob man sie minder oder mehr mag.

In Brüssel gilt die Wettbewerbskommissarin der EU längst als Vestager I. und eine der stärksten im Team von Kommissionschef Jean-Claude Juncker. Um die drei Kinder kümmert sich ihr Mann, ein Lehramtsprofessor. So läuft das mit Familie, Beruf und Karriere. Zumindest in Skandinavien.

LuxLeaks 2014

Vestagers Aufstieg begann vor drei Jahren: Kaum hatte die Dänin ihr Amt als Kommissarin aufgenommen, kam die LuxLeaks-Affäre ans Licht. Steuerdeals für Firmen wie Amazon, Ikea und Fiat in Luxemburg; eingefädelt von der Beratungsfirma PwC, gewährt vom Großherzogtum. Aus Deutschland tauchen im Zuge der Recherchen Firmen auf, die in die Luxleaks-Affäre so die RP-Gruppe der Unternehmerfamilie Reimann (Calgon, Clearasil), sowie der Chemiehersteller Oxea und der Chemiehändler Brenntag.

Die EU-Mitgliedstaaten zeigten sich damals empört und kündigten eine gemeinsame Bemessungsgrundlage für die Unternehmensbesteuerung an. Getan hat sich aber wenig, im Kreis der zaudernden EU-Finanzminister beraten sie darüber noch immer. Europaabgeordnete wie der Grünen-Politiker Sven Giegold fordern zudem, dass internationale Konzerne künftig ausweisen müssen, wie viele Gewinne sie in einem Land erwirtschaftet haben (Experten sprechen von Country-by-Country-Reporting).

Weil die EU-Staaten und ihre Finanzminister zögerten, übernahm Vestager den Fall. Mit einem kleinen Trick: Eigentlich ist sie als Wettbewerbskommissarin für Kartelle zuständig und nicht für Steuern. Vestager erkannte in den staatlichen Steuerrabatten für Großkonzerne aber unerlaubte staatliche Beihilfen für die Unternehmen. Und so wurde LuxLeaks ein Fall für die Wettbewerbskommissarin.

Luxemburg ist überall

Und so machte sich Vestager mit ihrem engagierten Team - darunter auch mehrere hochtalentierte Deutsche - auf die Spur der Scheine. Von "Dutch Sandwich" und "Double Irish" sprechen Experten.

So läuft das Business in Europa: Der Softwarekonzern Google erwirtschaftete 2010 rund 5,8 Milliarden Euro. Die Steuerlast freilich betrug lediglich 174 Millionen Dollar. Und das alles ganz legal. Der Trick: Google hat in Irland gleich zwei Tochterfirmen registriert. Die eine zahlt an die andere übertriebene Gagen für Lizenzgebühren und rechnet sich damit arm. Die zweite Tochter hat eine Mutter auf den Bermudas und geht fast steuerfrei aus. Schaltet man noch eine niederländische Stiftung dazwischen wird es noch günstiger.

11.500 Briefkastenfirmen in den Niederlanden

Die Organisation Tax Justice Network – ein Netzwerk für Steuergerechtigkeit - kommt allein in den Niederlanden auf 11.500 Briefkastenfirmen. Die Bilanz für den niederländischen Staat: Als Beifang bleiben in den holländischen Steuerkassen jährlich rund eine Milliarde Euro hängen. Hollands Finanzindustrie kassiert nochmal rund 500 Millionen Euro ab.

Kein Wunder, dass sich der neue niederländische Finanzminister Wopke Hoekstra am Dienstag beim Treffen mit den EU-Kollegen in Brüssel zurückhaltend zeigte. Er nannte die jüngsten Enthüllungen "gut". Nur tut sein Land nichts gegen die allseits bekannten Briefkasten-Praktiken.

EU-Parlament unterstützt Vestager

Unterstützung erhält Vestager für ihren Kampf aus dem Europaparlament. Die "Schattenwelt, in der sich Konzerne und Reiche dem Gemeinwohl entziehen, müssen wir ein Ende bereiten", erklärte der junge Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold.

Vestager ließ nicht locker. Die Frau ist Pastorentochter. Sie kämpft gegen Unrecht. "Nicht nur moralisch, sondern auch rechtlich verwerflich", befand sie und sprach ihr Urteil gegen Luxemburg (Amazon), Niederlande (Starbucks) und Irland (Apple). 13 Milliarden Dollar an Steuern soll allein der US-Technologie-Riese in Irland an Steuern nachzahlen. Doch Irlands Regierung weigert sich, das Geld einzutreiben. Im Oktober 2017 reicht die resolute Vestager deshalb Klage gegen Irland vor dem Europäischen Gerichtshof. Auch zu den "Paradise Papers" äußert sie sich lobend.

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Doch hat Europas Kampf gegen die Steuertricks der Reichen einen kleinen Haken. Eigentlich müsste sich EU-Finanzkommissar Pierre Moscovici um die Sache kümmern. Aber die Finanzminister blockieren. So wird das nichts mit Steuergerechtigkeit. Und mit Europa. Und so ist Vestager Europas letzte Aufrechte im Kampf gegen Steuerhinterzieher.

Panama Papers (Panama-Papiere)

Im Jahr 2016 legt das internationale Recherchenetzwerk ICIJ die Panama Papiere offen, ein System von Briefkastenfirmen im Steuerparadies Panama. Es geht um rund 130.000 Personen aus der ganzen Welt. Zu den Steuerverschiebern gehören unter anderem Pakistans Premier Nawaz Sharif und die Familie von Islands Premier Sigmundur Gunnlaugsson. Beide müssen zurücktreten. Der britische Ex-Premier David Cameron muss seine Geldflüsse offenlegen.

Die Reaktion der Politik eine schwarze Liste von Steueroasen soll erstellt werden, um internationale Geldflüsse besser zu kontrollieren. Trotz aller Empörung - auch des damaligen Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble. Beraten wird darüber im Kreis der EU-Finanzminister noch immer. Zu den Bremsern gehören Malta, Luxemburg, Irland und die Niederlande, die legalen Steueroasen im Kreis der EU. "Es darf kein weiter so mehr geben. Ein Rechtsstaat darf Sonderrechte für die wirtschaftlich Mächtigen nicht länger tolerieren", so der Grünen-Europarlamentarier Sven Giegold.

Paradise Papers

Im Jahr 2017 legt der Rechercheverbund ICIJ neue Akten offen. Auf der Liste stehen Namen, die kaum überraschen (US-Handelsminister und Finanztycoon Wilbur Ross). Und Namen, die man lieber nicht auf der Liste gesehen hätte wie der Popsänger (und Daueraktivist) Bono (soll in Litauen günstig investiert haben), Formel-1-Weltmeister Lewis Hamilton (hat seinen Privatjet über eine britische Kanalinsel günstig abgerechnet) und die britische Queen Elizabeth II. (hat ebenfalls kostengünstig investiert).

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Die Reaktion der EU-Finanzminister? Empörung und Staunen. So wie bei LuxLeaks. Und wie bei den Panama-Papieren. Der Grünen-Europarlamentarier Giegold fordert Konsequenzen - auch in den Brexit-Verhandlung: "Die Paradise Papers beweisen die zentrale Rolle Großbritanniens für das globale Steuerdumping. Die Brexit-Verhandlungen sind eine Chance, die britischen Steueroasen trocken zu legen", erklärte Giegold.

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Epilog

Derzeit wird in Brüssel nach einem neuen Chef für die Gruppe der Euro-Staaten gefahndet. Heißer Kandidat: Pierre Gramegna, Finanzminister der europäischen Steueroase Luxemburg. Auch deutsche Unternehmen wie Allianz, so Giegold, tauchten auf der jüngsten Liste auf. LuxLeaks, Panama Papers, Paradise Papers - Steuerparadiesvögel gibt's überall. Giegold fordert daher: "Steuervermeidung muss jetzt ganz oben auf die Tagesordnung der Jamaika-Sondierungen."

Und Brüssel? Schaut auf die zaudernden EU-Finanzminister. Und auf Margrethe Vestager, die Frau mit den vielen Eigenschaften. Sie könnte die Liberalen 2019 als Spitzenkandidatin in die Europawahl führen. Die Nachfolge des scheidenden EU-Kommissionspräsidenten Juncker trauen der Aufrechten längst viele zu.

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