Heftiger Gegenwind in Athen Varoufakis rechnet mit Tsipras' Rücktritt
In Brüssel konnte sich der griechische Premier Alexis Tsipras nach der Einigung mit den Gläubigern im Schuldenstreit ein wenig feiern lassen. Doch in Athen steht ihm nun direkt die nächste Herkules-Aufgabe bevor. Ob er auch daraus als Sieger hervorgeht, darf stark bezweifelt werden. Sein ehemaliger Finanzminister geht sogar von einem baldigen Rücktritt Tsipas' aus.
Im Schnellverfahren muss der griechische Ministerpräsident tiefgreifende Reformen wie eine Anhebung von Mehrwertsteuern und Einschnitte ins Rentensystem durch das Parlament bringen. So sehen es die Auflagen vor, die der Gipfel der Euro-Zone Griechenland für die Aufnahme von Verhandlungen über ein neues Hilfsprogramm gemacht hat.
Um einen Staatsbankrott und einen Grexit (ein Verlassen der Euro-Zone) abzuwenden, muss Tsipras nun Sparmaßnahmen und Reformen verabschieden, die er und sein linkes Parteienbündnis Syriza bisher strikt abgelehnt hatten.
Spaltung der Partei wird nicht mehr ausgeschlossen
"Die Regierung bewegt sich in einem politischen Minenfeld", titelte die Zeitung "To Ethnos". Ein Teil der Syriza-Abgeordneten will das Sparpaket nicht mittragen. Selbst eine Spaltung der Partei wird nicht mehr ausgeschlossen.
Zudem wackelt die Koalition mit den Rechtspopulisten der Unabhängigen Griechen (Anel). "Wir unterstützen die Regierung", versicherte zwar Anel-Parteichef Panos Kammenos. Der Junior-Koalitionspartner kündigte aber unterdessen bereits an, nicht alle Vereinbarungen mitzutragen - der Zoff ist vorprogrammiert.
Der zurückgetretene Finanzminister Gianis Varoufakis geht indes davon aus, dass Tsipras die Reformen zwar noch durch das Parlament bringen, danach aber zurücktreten will. "Ich wäre sehr überrascht, falls Tsipras Ministerpräsident bleiben wollte", so Varoufakis in einem Interview mit dem australischen Radiosender ABC. Regierungskreise widersprachen dem allerdings: Tsipras werde nicht zurücktreten.
Streiks und Proteste in Griechenland
Aber nicht nur im Parlament bläst dem Premier der Wind ins Gesicht: Die Staatsbediensteten, die Apotheker und das Pflegepersonal in staatlichen Krankenhäusern wollen am Mittwoch aus Protest gegen das Sparpaket streiken.
Reformgegner riefen zu Demonstrationen auf. Die Polizei erließ besondere Sicherheitsvorkehrungen, nachdem es in der Vergangenheit bei solchen Kundgebungen zuweilen zu schweren Ausschreitungen gekommen war.
Tsipras hat sich verkalkuliert
Tsipras muss nun teuer für eine Fehlkalkulation bezahlen, die ihm bei der Ansetzung der Volksabstimmung über Einsparungen und Reformen unterlaufen war. Der Regierungschef war davon ausgegangen, dass das massive "Nein" der Griechen beim Referendum seine Verhandlungsposition stärken würde. Es trat jedoch genau das Gegenteil ein: Die Geldgeber sahen darin ein Untergraben der Vertrauensbasis und machten Athen besonders strenge Auflagen.
Unbekannte Zahl von Abweichlern
Bei der Abstimmung am Mittwoch wird Tsipras sehen, wie groß die Zahl der Abtrünnigen in seiner Fraktion sein wird. Bei der Billigung des Verhandlungsmandats für den Euro-Gipfel gingen 32 der 149 Syriza-Abgeordneten in der einen oder anderen Form auf Distanz zur Regierung: 17 stimmten mit Nein, enthielten sich oder nahmen an der Sitzung nicht teil, 15 erklärten, gegen ihre Überzeugung mit Ja votiert zu haben.
Am Mittwoch könnte die Zahl der Abweichler noch größer sein, weil es dann um konkrete Spar- und Reformbeschlüsse geht, die direkte Auswirkungen für einen großen Teil der Bevölkerung haben werden.
In den Medien wird bereits über eine mögliche Abspaltung des linken Flügels von Syriza und die Gründung einer "Partei der Drachme" spekuliert.
Die Partei-Linke betont demgegenüber, nicht sie sei von der Syriza-Linie abgewichen, sondern die Tsipras-Regierung. Sie trete für das ein, was Syriza im Wahlprogramm versprochen habe.
Spekulationen über Regierungsumbildung
Wirtschaftsminister George Stathakis sagte Bloomberg TV, möglicherweise werde die Regierung nach der Abstimmung umgebildet. In griechischen Zeitungen wurde auch über eine Übergangsregierung unter einem Technokraten bis zu möglichen Neuwahlen im Herbst spekuliert.
Mehrere Medien berichteten, dass Tsipras eine Regierungsumbildung plane - lediglich der Zeitpunkt stehe noch nicht fest. Auch ein nicht namentlich genannter Regierungsvertreter sagte gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, dass eine Veränderung des Kabinetts wahrscheinlich sei.
In all dem Wirrwarr hat Tsipras einen wichtigen Trumpf in der Hand: Die Oppositionsparteien der Konservativen (ND), der Liberalen (Potami/Fluss) und der Sozialisten (Pasok) kündigten an, im Parlament für die Sparmaßnahmen zu stimmen.
Damit hat der Regierungschef eine breite Mehrheit praktisch sicher. Allerdings denken die proeuropäischen Parteien nicht daran, sich als Koalitionspartner an der Regierung zu beteiligen. ND und Pasok haben nicht vergessen, dass sie in der Vergangenheit als Regierungsparteien von den Wählern für Sparbeschlüsse bitter abgestraft worden waren.
"Es wird äußerst schwer, dieses Land zu regieren"
Das Ringen um ein neues Hilfsprogramm für Griechenland birgt auch andere Gefahren. "In einflussreichen Kreisen der Euro-Zone schlägt ein Anti-Hellenismus Wurzeln", warnte Alexis Papachelas, Chefredakteur der angesehenen Zeitung "Kathimerini".
"Die Falken in der Euro-Zone warten nur darauf, sagen zu können: Seht ihr, die Griechen schaffen es nicht. Auf der anderen Seite macht sich in der griechischen Gesellschaft eine antieuropäische Stimmung breit, die sich irgendwann gegen Tsipras richten wird. Es wird äußerst schwer sein, dieses Land zu regieren."