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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Er hat viel erreicht Dieser Mann ist kein Klimakleber
Im Hunsrück weiß man, wie erfolgreiche Klimapolitik geht. Ausgerechnet ein CDU-Landrat hat es vorgemacht. Jetzt ist er im Ruhestand – und will mehr.
Bertram Fleck ist kein Klimakleber. 26 Jahre lang war er CDU-Landrat, von 1989 bis 2015. Und einer der ganz wenigen in der Union, der schon in den Neunzigerjahren das Thema Klima entdeckt hat. Nicht, weil er fürs Klima kämpfen wollte, wie er sagt. Sondern schlicht, um Kosten zu sparen.
Wie es dazu kam, dass er seiner Zeit und seiner Partei weit voraus war, erzählt er an diesem Abend in dem kleinen Konferenzraum eines Hotels in der mecklenburgischen Stadt Neubrandenburg. Fleck steht vorne, gestikuliert, zeigt Powerpoint-Folien. Um ihn herum sitzen etwa 20 Stadträte und Landräte, allesamt von der CDU. Die Union hat das Thema Klima für sich entdeckt. Die Klimaunion hat eingeladen. Und Fleck ist an diesem Abend so eine Art Heilsbringer.
Was der Landrat aus dem Hunsrück geschafft hat, kann sich sehen lassen. Etwa eine Milliarde Euro verdiene und spare sein ländlich geprägter Landkreis inzwischen mit ressourcenschonenden Maßnahmen alle dreieinhalb Jahre, rechnet er vor. Früher sei das anders gewesen, da seien die Energiekosten explodiert. Er überhäuft die Anwesenden geradezu mit Beispielen, wie man es als Politiker vor Ort richtig macht: Solarzellen-Kataster, Energie-Controlling, eigene Düngerproduktion, außerschulische Bildung, Energiesparen mit Bürgermeistern.
240 Einwohner, eine Million Euro fürs Klima
Der kleine Ort Schnorbach in seinem Landkreis ist eines seiner Beispiele. Etwa 240 Einwohner und ein Bürgermeister, der sich überzeugen ließ, mitzuziehen. 6.000 Euro Unterstützung konnten die Schnorbacher beantragen, für neue Kühlschränke, Heizungspumpen, Solaranlagen. Fleck rechnet vor, der Ort habe inzwischen 200.000 Euro an Fördermitteln ausgegeben und dabei über eine Million an Investitionen seiner Bürger fürs Klima angestoßen.
Bestimmt ein Dutzend solcher Ideen hat er im Gepäck, viele davon unkonventionell, kleine wie große. Es ist sein Vermächtnis, aus 26 Jahren als Landrat. In den 90er-Jahren hat er bereits angefangen mit dem Klimaschutz. Damals war das Thema in der CDU eins, das man lieber den "Spinnern bei den Grünen" überlassen hat. Nur Fleck nicht. Das Geld habe ihn damals angetrieben, sagt er, außerdem sei der ehemalige Umweltminister Klaus Töpfer für ihn ein Vorbild gewesen.
Im Ergebnis ist der Rhein-Hunsrück-Kreis seit 2020 der erste klimaneutrale Landkreis Deutschlands. Mehr noch, sein CO2-Saldo ist inzwischen negativ. Fleck erzählt weiter, von Biogasanlagen, LED-Tauschaktionen, eigenen E-Carsharing-Autos für die Gemeinden (einiges davon finden Sie hier). Fast eine Stunde geht das so. Und die Zuhörer nicken eifrig.
Fleck ist mit Leib und Seele konservativer Politiker. Er ist Jurist, hat drei Kinder, war mal Mitglied im Rotary-Club. Geht gerne zur Jagd und baut seinen eigenen Wein an.
Wenn Fleck spricht, merkt man: Der Mann hört sich gerne reden. Nicht unsympathisch. Aber immer ein wenig von sich eingenommen. Doch er merkt das, manchmal entschuldigt er sich an diesem Abend dann dafür.
"Man muss schon auch Macher sein"
Photovoltaik in Deutschland
Laut Statistischem Bundesamt waren im März 2023 in Deutschland insgesamt 2,6 Millionen Photovoltaik-Anlagen registriert - 16 Prozent mehr als im Vorjahr. Experten schätzen, dass etwa 11,7 Millionen Dächer von Ein- und Zweifamilienhäusern für Solarzellen geeignet wären. 89 Prozent der Flächen sind demnach ungenutzt.
Hier im Osten ist ein solches Auftreten ein Problem. Heilsbringer aus dem Westen hat man hier schon viele erlebt. Doch Fleck schafft es, Brücken zu bauen: "Ich kann euch nicht sagen, wie Ihr so was durchsetzen könnt", sagt er. Die Umstände in jeder Gemeinde und jedem Landkreis seien immer individuell. Da müsse man schon auch Macher sein. Und machen wollen. Er habe Dinge angepackt, auch gegen Widerstände. Und überhaupt, am besten arbeite man mit einem kleinen Team Gleichgesinnter.
Einmal, so erzählt Fleck, habe er einen ganzen Abend lang zwei FDP-Abgeordnete bearbeitet, obwohl er ihre Stimmen gar nicht gebraucht hätte. Er wollte nur sichergehen, dass sie ihm anschließend nicht jahrelang das Leben zur Hölle machen.
Fleck ist nach Neubrandenburg gekommen, um Klima-Macher zu finden und zu motivieren. In Thüringen und Sachsen war er auch schon, kommende Woche spricht er oben an der Küste. Die Idee zu der "Ost-Tour" hatte Heinrich Strößenreuther, der in der CDU vor zwei Jahren die Klimaunion gegründet hat. Doch warum eigentlich im Osten? Weil Klimapolitik genau dort einen schweren Stand hat, sagt Strößenreuther. Und weil man in der CDU verstehen will, zuhören will, nach den richtigen Antworten suchen will.
Windräder gibt es in Mecklenburg-Vorpommern schon viele. Das Land hat immer noch Freiflächen genug. Doch zum einen gilt Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) als Bremserin beim Ausbau. Und: Im Osten ist das Geld für Investitionen knapper, die Widerstände in der Bevölkerung sind groß, die politischen Strukturen kleiner.
Und es gibt ein handfestes Problem in den Kommunen: Bürgermeister und Landräte sind frustriert, weil sie sich bei Verträgen mit Investoren über den Tisch gezogen fühlen. Weil die erst Flächen sehr preiswert gekauft haben und dann außer Wartungstrupps nichts im Land gelassen haben. Das Geld fließt irgendwohin, nur nicht in die Gemeinden vor Ort.
Fleck hat im Hunsrück auch das anders gemacht. Dort haben sie eine Anstalt des öffentlichen Rechts gegründet, um gegenüber Investoren eine bessere Verhandlungsposition zu bekommen. Am Ende habe man so mehr herausgehandelt, etwa einen günstigen Stromtarif für alle Einwohner.
Kein gefragter Berater in der Union
Inzwischen ist Fleck acht Jahre im Ruhestand. Sein Landkreis wurde überhäuft mit Preisen. Er selbst hält viele Vorträge, ist bis nach Japan gereist. Nur in der Union war er bislang kein gefragter Redner oder Berater.
Es ist quasi der Elefant im Raum, der blinde Fleck, über den nicht gesprochen wird: Warum passen bei der Union Klima und Politik immer noch nicht so recht zusammen? Obwohl doch die Bewahrung der Schöpfung eines der Kernthemen der christlichen Parteien sein könnte? Warum kamen nicht längst andere konservative Landräte auf ähnliche Ideen? Auf diese Frage gibt es an diesem Abend keine Antwort.
Einer der Teilnehmer, ein Landwirt aus dem Norden Mecklenburg-Vorpommerns, drückt das so aus: "Die Veränderung ist doch dringend nötig. Wir als CDU müssen mit Pragmatismus und Freude an etwas Neuem die Leute überzeugen." Er sagt das und weiß: Das Thema und diese Herangehensweise sind für seine Partei noch neu.
Fleck hat nur eine Antwort, warum er das alles gemacht hat: "Am Ende war meine Motivation, dass ich sagen kann, wir kleinen Krauter, wir haben in unserem kleinen Radius ein bisschen was bewegt."
- Eigene Recherche vor Ort