Dilemma am Fjord Fluch und Segen der Kreuzfahrtschiffe in Norwegen
Seit kurzem gelten in fünf norwegischen Fjorden für Kreuzfahrtschiffe strenge Umweltauflagen, die die Luftqualität verbessern sollen. Glücklich sind die Menschen in der Urlauberhochburg Geiranger damit aber nicht.
217 Schiffe laufen in diesem Jahr Geiranger und den Nachbarort Hellesylt an. Das entspricht rund 380.000 Kreuzfahrtpassagieren. Der enorme Ansturm an Touristen freut die Souvenirhändler, stellt das Dorf aber vor Herausforderungen.
Tourismus sorgt für Gewimmel in kleinen Orten
Es sieht aus wie ein gewaltiger Wohnkomplex am falschen Platz. Wenn die MSC Meraviglia den Geirangerfjord hochfährt, wird die umgebende Landschaft zu einer Kulisse. Das 65 Meter hohe Kreuzfahrtschiff der Schweizer Reederei MSC Cruises lässt die Berge, die den Fjord umfassen, ein wenig verblassen. 19 Stockwerke hat der Ozeanriese, Platz für 5.714 Passagiere. Sein Ziel ist das Dorf Geiranger im Südwesten Norwegens. 200 Menschen leben hier im Winter, doch in der Hochsaison zwischen Juni und August gleicht der Ort einem Ameisenhaufen.
Auf Bürgermeister Jan Ove Tryggestad wirkt das Gewimmel inspirierend. "Die Kreuzfahrtindustrie ist für Geiranger enorm wichtig", sagt er. "Sie sorgt für Arbeitsplätze und Aktivität und einen lebendigen Ort."
Seit März 2019 gelten strenge Auflagen für Luxusliner
Doch der Kreuzfahrtverkehr in den Fjorden verschmutzt die Luft und das Wasser erheblich. "An einigen Tagen lagen dicke braune Wolken über Geiranger", weiß Sveinung Rotevatn, Staatssekretär im Umweltministerium. Deshalb hat die Regierung die Reißleine gezogen: Seit März gelten im Nærøyfjord, Aurlandsfjord, Geirangerfjord, Sunnylvsfjord und Tafjord, die zum Teil UNESCO-Welterbe sind, strenge Umweltauflagen für die Luxusliner. Dazu gehören etwa kein Schweröl ohne Filter, kein Ablassen von Kloake und strengere Grenzwerte für Schwefel- und Stickoxide.
Doch aufatmen können die Menschen in Geiranger noch nicht: Im Juni war die Luftqualität auf dem Niveau von Oslo. Das staatliche Gesundheitsinstitut warnte: Kranke Personen haben ein erhöhtes Schlaganfall- und Infarktrisiko. In den Jahren 2020, 2022 und 2025 werden die Emissions-Grenzwerte weiter gesenkt, bis 2026 soll – nach dem Wunsch des Parlaments – der Kreuzfahrtverkehr überhaupt keine schädlichen Abgase mehr rausblasen.
Umweltschutz sorgt für wirtschaftliche Einbußen
Das hat Konsequenzen. "Wir haben für 2020 eine Reihe von Abbestellungen bekommen, besonders von Schiffen, die vor 2000 gebaut wurden und den Anforderungen nicht entsprechen", erzählt die Chefin der Häfen der Gemeinde Stranda, Rita Berstad Maraak. Sie erwartet wirtschaftliche Einbußen. Allein die MSC Meraviglia zahlt für die paar Stunden im Hafen 18.000 Euro Liegegebühr.
"Wir glauben, dass für einen Zeitraum eine recht große Kundengruppe ausbleibt, die vielleicht nach einigen Jahren zurückkommen wird." Dass die Regierung die Umweltauflagen verschärft hat, findet Berstad Maraak gut, räumt jedoch ein: "Für uns ist es aber wichtig, dass wir die Technologie zur Verfügung haben." Denn wenn ab 2026 nur noch strom- oder wasserstoffbetriebene Schiffe zugelassen sind, "bedeutet das faktisch null Kreuzfahrtschiffe in unserer Gegend".
Kreuzfahrtschiffe werden umweltfreundlich umgerüstet
Bei der Reederei MSC ist die Umstellung bereits im Gang. "Bis Ende 2021 sollen alle MSC-Kreuzfahrtschiffe, die mit Schweröl betrieben werden, mit hybriden Abgasreinigungssystemen (EGCS) ausgestattet sein. Die reduzieren den Schwefelgehalt in den Emissionen um 98 Prozent", sagt Unternehmenssprecherin Julia Schütz. Darüber hinaus bekämen künftig alle Schiffe ein System zur Reduzierung der Stickoxid-Emissionen.
Doch wenn Norwegen 2026 tatsächlich Null-Emissionen fordert, ist Geiranger auch für MSC passé. "Sollte der vom norwegischen Parlament formulierte ,Null-Emissionsstandard' zu einem regulatorischen Standard werden, wird dies mit ziemlicher Sicherheit bedeuten, dass kein Hochsee-Kreuzfahrtschiff, wie es derzeit in Betrieb oder bestellt ist, in den Fjorden des Welterbes eingesetzt werden kann."
Führt Umsatzrückgang zu neuen Wirtschaftszweigen?
Bürgermeister Tryggestad sieht das nicht so düster: "Klar kann das in einer Übergangsphase zu einem Umsatzrückgang führen", sagt er. "Aber das kann auch eine Möglichkeit sein, dass sich neue Wirtschaftszweige entwickeln, die alle Transportmittel abgasfrei machen."
Zusammen mit den Reedereien und der Kreuzfahrtindustrie sucht die Gemeinde Stranda Lösungen. So könnten die großen Schiffe außerhalb des Fjordes parken und die Passagiere mit Elektrobooten in den Ort gebracht werden. Denn eines wollen alle Akteure unbedingt verhindern: Dass die Urlauber statt über den Seeweg mit Bussen in die Region reisen. Schon jetzt herrscht während der Hochsaison Chaos auf den Serpentinen. Die schmalen, kurvigen Straßen wurden in den 70er Jahren gebaut, als man von der Entwicklung des Ortes nichts ahnte. Begegnen sich hier zwei Busse oder Autos mit Wohnwagen an einer Kurve, müssen sich die Fahrer abstimmen.
Maximal 6.000 Kreuzfahrttouristen pro Tag
Der Bürgermeister kann an der Situation wenig ändern. Eine neue Straße nach Geiranger ist nicht geplant. "Da begrenzen wir lieber die Anzahl der täglichen Besucher, um den Verkehr damit zu reduzieren."
Auf dem Seeweg ist das einfach: Schon jetzt hat die Hafenbehörde festgelegt, dass auch in der Hochsaison maximal 6.000 Kreuzfahrttouristen am Tag Geiranger besuchen können. Doch diese Touristengruppe machen den Behörden zufolge nur etwa 30 Prozent der Gesamtbesucher aus. "Man kann niemandem verbieten, mit dem Auto zu uns zu kommen", sagt der Bürgermeister. Deshalb wollen die Menschen in Geiranger die Kreuzfahrtschiffe auch nicht als den großen Buhmann sehen. "Wir fordern, dass der Transport sowohl an Land als auch auf der See emissionsfrei wird", so Tryggestad.
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Norwegen mit seinen vielen Elektroautos ist da auf einem guten Weg. Aber viele Urlauber kommen mit ihrem Wohnmobil – und das läuft mit Verbrennungsmotor. Für Geiranger ist das ein Dilemma. "Klar ist da ein Widerspruch zwischen dem grünen Denken und der Notwendigkeit, seinen Lebensunterhalt zu verdienen", räumt der Bürgermeister ein. "Aber diesen Widerspruch müssen wir lösen, indem wir zusammenarbeiten."
- Nachrichtenagentur dpa