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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Schwimmende Seemonster So gefährlich sind die neuen Kreuzfahrtschiffe
Die Kreuzfahrtbranche baut immer größere Schiffe. Experten befürchten ernsthafte ökologische Gefahren für die Umwelt. Es gibt nur eine Lösung.
Setzt man die Wörter "Cruise" (engl. für Kreuzfahrt) und die japanische Riesenechse "Godzilla" zusammen, erhält man "Cruisezilla". So nennen Kreuzschifffahrtsexperten die neue Generation riesiger Kreuzfahrtschiffe. Und die Analogie zu Godzilla ist dabei ganz bewusst gewählt. Das durch nukleare Strahlung entstandene Seemonster erhebt sich 1954 erstmals vor der Insel Japan aus dem Ozean und legt Tokio in Schutt und Asche.
Im Gegensatz zu Godzilla sind die immer größer werdenden Kreuzfahrtschiffe keine Fiktion. Eine Studie hat ergeben, dass sich die Größe der weltweit größten Kreuzfahrtschiffe seit dem Jahr 2000 verdoppelt hat. Und wenn sich das Wachstum der Branche nicht verlangsamt, werden die größten Schiffe im Jahr 2050 achtmal so groß sein, wie die Titanic.
Titanic: Früherer Gigant der Meere
Die Titanic war mit einer Länge von 269 Metern, einer Breite von 28 Metern und 11 Decks seinerzeit das größte Schiff auf den Weltmeeren, bevor es am 14. April 1912 aufgrund der Kollision mit einem Eisberg im Atlantischen Ozean 550 Kilometer südöstlich von Neufundland sank. Die heutigen "Cruisezillas" ließen die Titanic wie ein kleines Schifferboot aussehen, sagt Inesa Ulichina, Analystin für nachhaltige Schifffahrt bei Transport & Environment (T&E).
Die Bruttoraumzahl (BRZ) ...
... berechnet sich (vereinfacht gesagt) nach dem Volumen aller Innenräume gemessen vom Kiel bis zum Schornstein und ist die maßgebliche Größe für Gebühren (Hafenliegegebühren, Kanaldurchfahrten, Lotsen u. ä.).
Die Anzahl der Kreuzfahrtschiffe ist seit 1970 um das 20-fache gestiegen. Branchenprognosen gehen davon aus, dass in diesem Jahr rund 35 Millionen Passagiere auf Kreuzfahrtschiffen unterwegs sein werden – ein Anstieg um sechs Prozent gegenüber dem Niveau vor der Pandemie.
Kreuzfahrten erfreuen sich nach wie vor großer Beliebtheit, und zwar nicht nur bei der Kernzielgruppe der Babyboomer, also den zwischen Mitte der 1950er und Ende der 1960er Jahre Geborenen. Zunehmend finden es auch Millennials attraktiv, auf den schwimmenden Hotels unterwegs zu sein.
Das sind die fünf größten Kreuzfahrtschiffe der Welt (Stand: 2024)
- Icon of the Seas: 250.800 BRZ, 365 Meter lang und 67 Meter breit, bis zu 5.610 Passagiere bei Doppelbelegung, Baukosten: rund 1,8 Mrd. US-Dollar
- Wonder of the Seas: 230.000 BRZ, 362 Meter lang und 66 Meter breit, bis zu 7.000 Passagiere bei Doppelbelegung
- Symphony of the Seas: 228.081 BRZ, 362 Meter lang und 66 Meter breit, bis zu 6.780 Passagiere bei Doppelbelegung, Baukosten: Rund 1,3 Mrd. US-Dollar
- Harmony of the Seas: 226.963 BRZ, 362 Meter lang und 66 Meter breit, 5.479 Passagiere bei Doppelbelegung/ 6.687 total Baukosten: Rund 1,3 Mrd. US-Dollar
- Allure/Oasis of the Seas: je 225.282 BRZ, 362 Meter lang und 66 Meter lang, 5.484 Passagiere bei Doppelbelegung/ 6.780 total Baukosten: Jeweils rund 900 Mio. US-Dollar
Größtes Kreuzfahrtschiff in See gestochen
Das weltweit größte Kreuzfahrtschiff, die "Icon of the Seas" der US-Reederei Royal Caribbean International, wurde in Turku, Finnland, gebaut und stach im Januar dieses Jahres zu ihrer ersten regulären Kreuzfahrt in See. Auf seinen 20 Decks befinden sich 40 Restaurants, sieben Swimmingpools, ein Theater und ein Park. Das 365 Meter lange Schiff kann fast 10.000 Personen (einschließlich Crew) befördern und wird mit Flüssigerdgas (LNG) angetrieben.
Außer den Hafeneinfahrten und Kreuzfahrtterminals unterliegen die Schiffe keinen regulatorischen Größenbeschränkungen. Die Schiffsgesellschaften versuchen durch immer größere Schiffe die Nachfrage zu bedienen und auch effizienter zu werden.
Bryan Comer, Leiter des Maritimen Programms beim International Council on Clean Transportation (ICCT), erklärt, dass die Gesamteinnahmen durch zusätzliche Passagiere höher seien als die Kosten für den Bau eines größeren Schiffes und die Einstellung einer größeren Besatzung. Außerdem wolle natürlich jeder aus Prestigegründen das größte Schiff haben.
Widerstand gegen "Übertourismus"
Die Ausweitung des Kreuzfahrttourismus stößt inzwischen bei Anwohnern von zahlreichen Hafenstädten und Kommunen auf immer mehr Widerstand. Das Phänomen des "Over Tourism" (zu Deutsch: „Übertourismus“) beschreibt das Problem einer unverhältnismäßig großen Anzahl von Touristen in einem Zielort, was zu negativen Auswirkungen auf die Umwelt, die lokale Kultur und die Lebensqualität der Bewohner führt.
Inzwischen haben Hafenstädte wie Barcelona und Amsterdam angekündigt, Kreuzfahrtbesucher zu besteuern, die sich oft nur wenige Stunden in der Stadt aufhalten. Mehr zu diesem Thema erfahren Sie hier.
Venedig hat sogar großen Kreuzfahrtschiffen die Einfahrt in die Lagune untersagt. Die Einwohner der Hafenstadt Juneau and der Westgrenze zu Kanada kämpfen gegen die hohe Zahl an Kreuzfahrttouristen. Ab 2026 soll die Anzahl großer Schiffe auf höchstens fünf pro Tag begrenzt werden, an Samstagen sollen die Schiffe überhaupt nicht mehr anlaufen dürfen.
Rasanter Anstieg der Schiffsemissionen
Zudem produzieren immer größere Schiffe und immer größere Schiffsflotten immer mehr schädliches Kohlendioxid, Methan und Feinstaub. Dem Bericht von T&E zufolge stießen Kreuzfahrtschiffe im Jahr 2022 17 Prozent mehr CO₂ aus als 2019 – also noch vor der Pandemie. Die Emissionen des schädlichen Treibhausgases Methan stiegen im gleichen Zeitraum um 500 Prozent.
Neben Flugreisen gehören Kreuzfahrten zu den klimaschädlichsten Urlaubsvarianten. Die meisten Kreuzfahrtschiffe fahren noch immer mit Schweröl und Marinedieselöl. Die Umstellung auf alternative Antriebe wie LNG, E-Fuels oder Wasserstoff kommen nur langsam voran. Und auch Landstromanschlüsse sind nur in den wenigsten Häfen vorhanden.
Der Naturschutzbund Nabu kritisiert den Einsatz von LNG in der Schifffahrt wegen der Emissionen von Methan, einem Treibhausgas, das ein Vielfaches klimaschädlicher sei als Kohlendioxid.
Kreuzfahrten sind extrem energieintensiv
Stefan Gössling, Professor an der Linnaeus-Universität in Schweden, der sich mit Tourismus und der Klimakrise beschäftigt, sagt, dass Kreuzfahrtschiffe zwar nur eine untergeordnete Rolle im weltweiten Tourismus spielen, dass aber "kaum eine Form des Tourismus energieintensiver ist als Kreuzfahrten – insbesondere in Kombination mit Flügen zum Abreiseort".
Laut Angaben des Umweltbundesamts werden auf einer siebentägigen Schiffsreise rund 1,9 Tonnen CO2-Äquivalent pro an Bord befindlicher Person ausgestoßen. Zum Vergleich: Der deutsche Ausstoß an Treibhausgasen pro Person liegt derzeit im Schnitt bei etwa elf Tonnen CO2-Äquivalenten pro Jahr.
Nach Berechnungen des NDR verbraucht ein mittelgroßes Kreuzfahrtschiff bei einer Liegezeit von zehn Stunden rund 50 Tonnen Marinediesel für die Stromerzeugung an Bord. Das entspricht in etwa dem Tagesverbrauch von 25.000 Diesel-Pkw, die im Schnitt rund 30 Kilometer fahren. Wegen der schlechten Filteranlagen stoße das Schiff ein Vielfaches an Stickoxiden und Feinstaub aus als die Dieselautos. Feinstaub trägt erheblich zur Luftverschmutzung bei und kann in Hafenregionen besonders problematisch sein.
Effizienzsteigerung bei Kreuzfahrten mit großen Schiffen
Die Cruise Lines International Association (Clia), der weltweit größte Verband der Kreuzfahrtindustrie, erklärte, dass die weltweite Kreuzfahrtflotte "energieeffizienter als je zuvor" sei, da die durchschnittlichen Emissionen pro Schiff in den vergangenen fünf Jahren um 16 Prozent gesunken seien.
Die überwiegende Mehrheit der Kreuzfahrtschiffe, die heute in Betrieb sind – und mit der Inbetriebnahme neuer Schiffe bis weit in das nächste Jahrzehnt hinein sein werden – seien kleine bis mittelgroße Schiffe. Neue Schiffe werden aber vor allem eines: größer.
Allein Royal Carribean plant zwei Schwesternschiffe der "Icon of the Seas" voraussichtlich 2025 und 2026. Disney lässt in der MV Werft Wismar die "Disney Adventure" bauen, ein Schiff für bis zu 6.000 Passagiere. Auch Aida plant für seine Helios Klasse ("AIDAnova") ein Schwesternschiff für bis zu 5.400 Passagiere. MSC will mit der "l'Atlantique" ein neues Schiff mit einer Länge von 345 Metern bauen lassen.
Schwere Akkus bremsen Entwicklung der Nachhaltigkeit
Mit der derzeitigen Batterietechnologie können große Schiffe ähnlich wie Flugzeuge noch keine langen Strecken zurücklegen, da die Akkus zu schwer wären. Experten empfehlen deshalb, von der Verbrennung fossiler Brennstoffe auf sauberere Alternativen umzusteigen, die synthetisch mit erneuerbarer Energie hergestellt werden können.
Um das Ziel von Null-Emissionen bis 2050 zu erreichen, geht die Internationale Energieagentur (IEA) davon aus, dass 44 Prozent der für die internationale Schifffahrt benötigten Energie aus Ammoniak stammen werde, gefolgt von Wasserstoff (19 Prozent), Biokraftstoffen (19 Prozent) und Methanol (3 Prozent). Heute liegt dieser Anteil bei null Prozent.
Gesetzliche Vorgaben notwendig
Da die Kreuzfahrtreedereien aber nur begrenzte Möglichkeiten hätten, eigene Treibstoffanlagen zu bauen und auch wenig Anreize dazu haben, könnten sie verpflichtet werden, die in den Häfen hergestellten Produkte zu kaufen, so Tourismusexperte Gössling weiter. Dazu müsse aber in Kooperation mit vielen Ländern eine Infrastruktur auf- und ausgebaut werden, die auf erneuerbare Energien setze.
Weiterhin könnten Länder beschließen, dass Kreuzfahrtschiffe in ihren Häfen Landstrom nutzen müssen, auch wenn dieser teurer wäre als der aus schmutzigem Marinediesel erzeugte Strom. Noch können Reedereien entscheiden, auf Landstrom zu verzichten und den günstigeren Strom aus eigener Erzeugung zulasten von Umwelt und Klima zu nutzen.
Kreuzfahrten müssten teurer werden
Kreuzfahrten zählen zum Luxustourismus, sagt Inesa Ulichina von T&E, und die Veranstalter müssen nicht nur Verantwortung übernehmen, sondern auch ihr Geschäft zum Schutz des Klimas ändern. "Die einzige grüne und skalierbare Lösung für die Dekarbonisierung des Seeverkehrs sind E-Treibstoffe", so Ulichina.
Der Umstieg auf umweltfreundliche Treibstoffe kann sich lohnen. Denn der Betrieb von Schiffen mit fossilen Kraftstoffen könnte bis 2030 um 30 Prozent und bis 2050 um mehr als 80 Prozent teurer werden. Grund dafür ist die Initiative "FuelEU Maritime" der Europäischen Union.
Die neue Verordnung, die am 1. Januar 2025 in Kraft treten wird, sieht vor, den CO₂-Fußabdruck des Seeverkehrssektors in der EU in Zukunft zu verringern. Beispielsweise durch die Einführung sogenannter erneuerbarer Kraftstoffe nicht biogenen Ursprungs (E-Fuels) oder die Verpflichtung zur Landstromversorgung in Häfen ab 2030.
Eine internationale Ticketsteuer von 50 Euro auf ein typisches Kreuzfahrtticket würde laut T&E weltweit 1,6 Milliarden Euro einbringen. Das könnten wichtige Einnahmen sein, um Luxusreisen in Zukunft umweltfreundlicher zu machen. Bis dahin werden die geschätzten 500 Kreuzfahrtschiffe weltweit noch viel Müll, Abwasser und Dreck produzieren.
- transportenvironment.org: „Biggest cruise ships today are more than twice as big as they were in 2000”
- seetours.de: "Das größte Kreuzfahrtschiff der Welt"
- nrd.de: "Neue Staatshilfen für Kreuzfahrtschiffe"
- worldoceanreview.com: "Kreuzfahrttourismus: Vergnügen auf Kosten von Umwelt, Mensch und Meer"
- consilium.europa.eu: "Initiative "FuelEU Maritime": Rat verabschiedet neuen Rechtsakt zur Dekarbonisierung des Seeverkehrs"