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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Aktiv- & Skiurlaub Über Höhen und Tiefen: Bergsteiger Roger Schäli
Seit er laufen kann, bestimmen die Berge sein Leben. Was in jungen Jahren als Hobby begann, ist mittlerweile sein Beruf geworden. Roger Schäli ist Profibergsteiger. Für den 34-jährigen Schweizer Allround-Alpinisten ist Klettern aber viel mehr als ein Job. Auch mehr als eine rein sportliche Herausforderung. Klettern ist eine Leidenschaft, ein Lebensgefühl, eine überaus emotionale Auseinandersetzung mit dem Berg, dem Leben und am Ende sogar mit sich selbst. In unserer Foto-Show erhalten Sie einen Eindruck vom Leben des passionierten Bergsteigers Roger Schäli.
Bergsteiger Roger Schäli: der große Allrounder der alpinen Szene
Der Eiger ist sein Hausberg, sein Wohnzimmer die Nordwand. 35 Mal hat er sie durchstiegen, in unterschiedlichsten Routen. Der Eiger hat ihn stark gemacht. Für die großen und schwierigen Wände und Gipfel dieser Welt. Mittlerweile gehört er zur absoluten Weltspitze im Alpinismus, berichten Bergsportmedien regelmäßig über ihn. Auch gibt es Sponsoren aus der Wirtschaft, die sich mit Schälis Leistungen und Image identifizieren und daher gerne mit ihm kooperieren.
Roger Schäli sportelt seit er denken kann. Sein Vater ließ ihn die Liebe zur Natur entdecken. In seiner Schweizer Heimat Sörenberg fuhr er als Kind und Jugendlicher im Winter Ski und kraxelte im Sommer in den Bergen. Als er 14jährig einen Klettergurt geschenkt bekommt, ist dies eine Art Initialzündung. Heute gehört Schäli zu den großen Allroundern in der alpinen Szene. Er mag – in höchsten Schwierigkeitsgraden – Fels ebenso wie Eis.
Klettern als Passion, nicht nur als Beruf
Das viele Training fällt ihm leicht, weil das Klettern nach wie vor sein Hobby, seine Passion ist. Davon mittlerweile leben zu können, empfindet er als großes Privileg. Schaut man dem 34-Jährigen beim Üben in der Halle zu, funktionieren Arme und Beine wie ein Schweizer Uhrwerk. Einem Gecko gleich klettert er nach oben. Leicht und ästhetisch sieht es aus, wenn er sich in der Wand bewegt. Stark ist er. Das verrät nicht nur sein Händedruck. Ausgeprägte Muskeln zeichnen sich unter seinem T-Shirt ab. Kein Gramm Körperfett. Über sich selbst sagt er: „Nicht nur mein Körper, auch meine Psyche ist die letzten Jahre stärker geworden. Ich kann heute deutlich mehr an meine Grenze gehen als etwa noch vor fünf Jahren.“
Überhaupt hat sich einiges verändert in den letzten Jahren. Mit Gästen, also zahlenden Kunden, ist der gelernte Zimmermann und staatlich geprüfte Bergführer kaum noch in den Bergen: „Dafür reicht die Zeit einfach nicht mehr aus. Ich bin mit Training, Vorträgen, Expeditionen und deren Vorbereitung schon ziemlich ausgelastet.“ Auch findet er kaum noch Zeit seinem Hobby, dem Skifahren nachzugehen. Und das, obwohl er früher als Skilehrer gearbeitet hat. Langlaufen hingegen ließe sich im Winter gut mit seinem Ausdauertraining verbinden, denn das gibt Schäli offen zu: „Das Klettern nimmt schon sehr viel Raum in meinem Leben ein.“
Ein Unfall hat den Bergsteiger vorsichtiger gemacht
Im Alter von 17 Jahren – ungestüm und unerfahren – stürzt Schäli böse im Klettergarten. Offene Frakturen an beiden Beinen und ein gebrochener Wirbelfortsatz zwingen ihn zwar in die Knie, ans Aufhören aber hat er nicht eine Sekunde gedacht. Der Unfall kann seine Leidenschaft zwar nicht stoppen, hat ihn aber deutlich vorsichtiger gemacht.
Manchmal, speziell wenn er viel geklettert und sehr müde ist, fragen ihn Kollegen, ob er leicht hinke. Ihm selbst fallen diese Spätfolgen des Unfalls nicht groß auf, außer dass sein rechtes Fußgelenk weniger beweglich als das linke sei.
Manchmal spricht Schäli mit dem Eiger
Das Bergsteigen und Klettern hat ihn zum Weltenbummler werden lassen. Pro Jahr geht Schäli ein- bis zweimal auf große Expedition. Die entlegenen Winkel dieser Erde interessieren ihn dabei besonders: Berge, an denen noch keiner vor ihm war. Routen, die Neuland sind. Unbekanntes Terrain, das ist es, was ihn reizt.
Überhaupt sei das Reisen, das Zusammensein mit Freunden und Kletterpartnern aus der ganzen Welt, ein großer Bestandteil seiner Leidenschaft, welche weit über das Sportliche hinausgeht. Auch baut Schäli eine Beziehung zu den Bergen auf, die er besteigt. Fragt man genauer nach, lacht er von einem Ohr zum anderen und erklärt: „Ich klopfe bildlich gesprochen bei den Bergen an, die ich besteigen will. Und so kommt’s, dass ich schon mal mit dem Eiger spreche und ihn frage, ob er mir die Erlaubnis gibt, seinen Gipfel zu besteigen.“
Der Eiger hat ihm nicht nur grandiose Erfolge beschert, sondern auch – man mag’s kaum glauben – als Partnervermittler fungiert. Schälis Freundin, Yuri Kato, ist nämlich die Tochter des Erstbegehers der so genannten „Japaner Direttissima“ in der Eiger Nordwand. Als vor etlichen Jahren all jene Bergsteiger nach Grindelwald eingeladen waren, die am Eiger Spuren, also Neurouten, hinterlassen hatten, begleitete Yuri ihren Vater und äußerte im Beisein von Schäli den Wunsch, zum 30. Geburtstag auf dem Gipfel des Eiger stehen zu wollen. Also hat er sie kurzerhand ans Seil genommen und ist mir ihr über den Mittellegigrat auf den Gipfel gestiegen. Eine „Seilschaft“ bilden die beiden seither auch unten im Tal. Kürzlich haben sie zusammen einen alten Wohnwagen gekauft, der am Wandfuß der Eiger Nordwand steht und bauen diesen nun gemeinsam um. „Dieser Berg, er verbindet uns. Wir verbringen gerne Zeit gemeinsam Zeit dort.“
Die Kehrseite der Berge
Aber auch dunkle Momente und Zweifel haben die Berge in Schälis Leben gebracht. Als im Mai 2011 der Kameramann und Fotograf Daniel Ahnen auf Schälis Expedition an den Arwa Spire in Indien in einer Gletscherspalte tödlich verunglückt, bezeichnet er die Tragödie als den Tiefpunkt seiner Karriere und seines Lebens: „Jemand hat auf unserer Expedition sein Leben verloren. Schlimmer hätte es nicht kommen können.“ Fünf Tage lang haben Schäli und sein Südtiroler Kletterpartner Simon Gietl verzweifelt in einem Labyrinth aus Gletscherspalten nach dem Vermissten gesucht und dabei selbst ihr Leben aufs Spiel gesetzt. Vergeblich. Schwere, quälende Monate folgen. Voller Zweifel. Voller Trauer.
Der Gang zu Daniels Eltern war grausam und befreiend zugleich: „So bitter das Treffen auch war, es war ein erster Schritt in der Verarbeitung. Auch für Daniels Eltern war es enorm wichtig, jedes Detail zu Daniels Tod zu erfahren.“ Einen letzten großen Schritt hat Schäli im August 2012 gemacht. Gemeinsam mit seinem Freund und Kletterpartner Simon Gietl reiste er erneut an den Arwa Spire, um sich am Unglücksort noch einmal intensiv mit dem Erlebten auseinanderzusetzen. Auch um eine Gedenkstätte für Daniel zu bauen, um zu beten, zu weinen, um „endgültig“ Abschied zu nehmen.
Im Gepäck haben die beiden Kletterer auch ein Medaillon, das sie für ihren verstorbenen Freund am 28. September 2012 auf dem Gipfel des Arwa Spire stehend in die Gipfelschlinge hängen. „Dieses Mal standen wir nicht mit, sondern für jemanden auf dem Gipfel. Unser Erfolg war Nebensache“, sagt Schäli und hält lange inne. Nach langem Überlegen fährt er fort: „Diese Reise war unheimlich intensiv, emotional, aber auch schön. Wir haben so etwas wie Frieden gefunden. Vergessen aber werden wir das alles nie.“
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