Polyamorie Bei Mehrfachliebe geht es nicht nur um Sex
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Nur einen einzigen Partner an der Seite haben? Für Polyamoristen keine Option. Sie möchten ihre Liebe teilen - ohne Versteckspiele. Und dabei geht es um weit mehr als Sex. Wir haben einen Beziehungsexperten gefragt, wie dieses Modell funktionieren kann.
Die meisten Menschen schätzen in ihrer Beziehung die Exklusivität. Den Partner zu teilen, ist für sie unvorstellbar. Zu zweit sein, gibt ihnen die Sicherheit und Geborgenheit, die sie brauchen. Polyamoristen sehen das anders. Sie möchten ihre Liebe nicht nur einem einzigen Menschen schenken, sie hegen Gefühle für mehrere Partner. Dabei spielen sie mit offenen Karten: Im Gegensatz zu einem Seitensprung wissen alle Beteiligten voneinander. Sex steht bei diesem Beziehungsmodell nicht im Fokus. Es geht auch um Gefühle und seelische Verbundenheit.
Polyamoristen teilen ihre Liebe mit mehreren Partnern
"Mittlerweile werden polyamore Beziehungen von der Gesellschaft nicht mehr so stark abgewertet wie noch vor einigen Jahren. Dennoch besteht nach wie vor Skepsis gegenüber diesem Modell", sagt Paarberater und Beziehungscoach Eric Hegmann. Das liegt zum einen daran, dass viele in der Mehrfachliebe nicht die Stabilität, Intimität und Nähe sehen, die sie sich für eine Partnerschaft wünschen. Zum anderen sind viele überzeugt: Man kann nur einen Menschen wirklich lieben. Aber stimmt das?
Liebe kennt keine Grenzen
"Wir suchen Nähe zu anderen Menschen. Dass es nur eine Person sein muss, ist da nicht festgelegt. In der Liebe ist alles möglich. Auch die Liebe zu mehreren Partnern", sagt Hegmann. Es ist also nicht unwahrscheinlich, dass man im Laufe seines Lebens auf weitere Menschen trifft, für die man Gefühle entwickelt - ohne dass dabei die Liebe dem festen Partner gegenüber abnehmen muss.
Mehrfachliebe funktioniert nur mit Ehrlichkeit
Ignoriert man die zusätzliche Zuneigung? Lässt man sich auf eine Affäre ein? Oder spricht man mit seinem Partner darüber? Das ist keine leichte Entscheidung und es steht eine Menge auf dem Spiel. Manch einer findet über Jahre hinweg nicht die richtige Lösung für sich.
Fragt man überzeugte Polyamoristen, plädieren sie für Ehrlichkeit. Nur so könne die Mehrfachliebe funktionieren, sind sie sicher. Sie wollen die Menschen, die sie lieben, nicht verletzen. Für sie zählt eine Partnerschaft auf Augenhöhe, in der jeder die gleichen Möglichkeiten hat. Dabei geht es nicht darum, jedes Detail auszuplaudern. Wohl aber darum, mitzuteilen, mit wem man innige Freundschaften pflegt und was einem in diesem Liebesmodell wichtig ist.
Verantwortung übernehmen und für den anderen da sein
Auch bei der Mehrfachliebe kehrt irgendwann der Beziehungsalltag ein. Polyamorie bedeutet eben auch Verantwortung gegenüber den Partnern zu übernehmen und mit Eifersucht, Enttäuschung oder Streit umzugehen.
Vereinbarungen, die zu Beginn der polyamoren Beziehung getroffen werden, helfen bei der Orientierung. Zudem beugen sie Enttäuschungen vor. Wichtige Entscheidungen sollten gemeinsam getroffen werden. Nur wenn sich niemand übergangen fühlt, schafft das auch Vertrauen. Dazu zählen Fragen wie: Wie weit gehen wir? Mit welchen Vorstellungen fühlen wir uns unwohl? Außerdem müssen die Grenzen des Anderen akzeptiert und eingehalten werden.
Polyamorie: Wünsche und Bedürfnisse müssen Platz finden
"Es gibt heute mehr offene Beziehungen als früher. Paare verstehen, dass sie in ihrer Beziehung ihre eigenen Regeln aufstellen dürfen. Sie finden Absprachen für ihre Wünsche und Bedürfnisse und leben sie im besten Fall gemeinsam aus. Das funktioniert allerdings nur, wenn niemand betrogen und hintergangen wird", sagt Hegmann. "Solange also die Partner ehrlich zueinander sind, darf niemand das Modell kritisieren, das die beiden für sich gewählt haben. Offenheit und Ehrlichkeit sind dabei die Schlüssel für die Mehrfachliebe. Sonst kann kein Vertrauen aufgebaut werden."
Aus einer Zweierliebe wird nicht plötzlich eine Mehrfachliebe
Doch es gibt Hürden: Wie der Beziehungscoach aus der Paarberatung weiß, lässt sich eine Zweierbeziehung nicht einfach mal so in eine polyamore Beziehung umkrempeln. Laut dem Experten funktioniert Polyamorie eher bei Paaren, die bereits Erfahrung mit offenen Beziehungen haben. Es gilt also, gründlich abzuwägen, bevor man eine Entscheidung trifft und mit einem Geständnis an den Partner herantritt.
Bevor man die eigene Beziehung riskiert, sollte man laut Hegmann versuchen herauszufinden, ob es sich wirklich um Liebe handelt oder nur um das Ausleben einer Fantasie oder um eine Flucht aus dem Alltag. "Liebe entsteht langsam und braucht gemeinsame Erlebnisse und Vertrauen, während sexuelle Anziehungskraft von einer Sekunde auf die andere wirken kann."
Polyamorie ist eine Herausforderung für alle Beteiligten
Trotzdem könne Polyamorie funktionieren. Allerdings brauche es dazu Übung. Schließlich sei es schon in einer Zweierbeziehung schwer genug, sich nicht gegenseitig zu verletzten, wenn die Wünsche unterschiedlich sind. Da müssten sich alle Beteiligten erst herantasten und herausfinden, was ihnen wichtig ist, was sie verletzt und welche Bedürfnisse sie haben.
Wichtig ist zudem: "Polyamorie ist kein Freifahrtschein für Sex außerhalb einer Beziehung. Es geht darum, seine Liebe, Achtsamkeit und Dankbarkeit für das Zusammensein auf mehr als eine Person zu lenken. Das ist eine Herausforderung, die nicht immer gelingt", sagt Hegamnn.