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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Leben Tradition mit feinporigem Schaum
Nach einem harten Arbeitstag, an einem warmen Abend im Biergarten, nach dem Sport oder einfach nur so: Weizen-, äh, Weißbier schmeckt verdammt gut. Doch was unterscheidet ein richtig gutes Weißbier vom Mittelmaß? Welche Temperatur ist die beste für den Hochgenuss? Ein Experte gibt Auskunft.
Jahrhundertelang war das Brauen von Weißbier ein streng überwachtes, herrschaftliches Privileg der bayerischen Herzöge, Kurfürsten und Könige. Heute produzieren es beispielsweise auch die Flensburger Brauerei und die Ratsherren-Brauerei in Hamburg. Etwa sechs Millionen Hektoliter werden laut Zahlen des Deutschen Brauerbundes jährlich alleine im Lebensmittelhandel und in Getränkemärkten verkauft.
Was unterscheidet Weißbier von Weizenbier?
Weißbier, Weizenbier: Der einzige Unterschied zwischen den beiden Namen ist der Buchstabe "ß" – wahrscheinlich zurückzuführen auf Unterschiede in der Jahrhunderte langen Entwicklung der regionalen Dialekte nördlich und südlich der Mainlinie.
Mindestens 50 Prozent Weizenmalz muss in jedem Weißbier enthalten sein, dazu kommen Gerstenmalz und sehr wenig Hopfen. Weißbier ist für Pilshasser die richtige Alternative, denn der Geschmack ist viel weniger von Bitternoten geprägt. Dunkles Weißbier entsteht durch Weizenmalz, das länger und heißer getrocknet wird. Dabei entstehen die dunkle Farbe und das Raucharoma. Ein halber Liter enthält übrigens etwa 260 Kilokalorien und rund 15 Gramm Kohlehydrate – kaum mehr als Orangensaft, der in dieser Menge auf 225 Kilokalorien bei 21 Gramm Kohlenhydraten kommt.
Die Anfänge des Weißbiers
Der Münchner Georg Schneider I. gilt als der Pionier des Weißbiers. Er verhandelte 1872 mit dem Hofbräuamt des "Märchenkönigs" Ludwig II. über das Recht, das Bier aus Weizenmalz wie früher in offenen Bottichen brauen zu dürfen. Schneider hatte das Potential des damals völlig aus der Mode gekommenen Biers erkannt – und erhielt von den königlichen Beamten als erster bayerischer Brauer bürgerlicher Herkunft das Recht, es herzustellen. Er gab dem Bier seinen Namen, das es bis heute trägt: "Schneider Weisse". 144 Jahre später führt Georg Schneider VI. in sechster Generation die Geschäfte der Traditionsbrauerei. Für ihn das Wichtigste am Weißbier: "Es muss fruchtig, rund und ausgewogen schmecken, es muss die richtige Balance haben und darf nicht kompliziert sein."
Zwei unterschiedliche Gärprozesse
Das klingt einfach, ist es aber nicht. Beim traditionellen Verfahren lässt man das Bier zunächst sechs bis acht Tage lang in offenen Bottichen bei 15 bis 20 Grad Temperatur gären. Bei der offenen Gärung muss man extrem sorgfältig arbeiten, damit keine Verunreinigungen entstehen. Der Braumeister ist zu 80 Prozent mit Putzen beschäftigt. Die Sauerstoffzufuhr bei der offenen Gärung sei aber einer der wesentlichen Faktoren, um den Geschmack auszuprägen. Bei der Tankgärung mit wenig Luft entwickelten sich ganz andere Aromen. Es ist viel billiger und einfacher, es auf diese Weise zu produzieren. Viele Brauereien machen das so. Doch damit schmeckt das Bier völlig anders.
Weitere gute Weißbiere
Es sind nur noch kleine, regionale Brauereien, die die Tradition der offenen Gärung pflegen. Neben Schneider arbeiten etwa die Brauerei Gutmann im bayerischen Titting, die Berg-Brauerei in Ehingen-Berg bei Ulm, die Brauerei Wasserburger in Dingolfing sowie Sperber-Bräu in Franken auf diese Weise. Weitere Brauereien, die die offene Gärung in Deutschland verwenden, konnten wir nach längerer Recherche nicht ausfindig machen – nicht ausgeschlossen, dass es doch noch weitere gibt.
Malzzucker und Hefe wie bei Champagner
Beim ersten Gärverlauf entsteht Jungbier mit einem Alkoholgehalt von meist 5,2 bis 5,4 Volumenprozent Alkohol – bei einigen Sorten können es auch sechs oder acht Prozent sein. Doch allzu viel Kohlensäure hat es noch nicht – sie ist beim Gären in die Luft entwichen. Dieses Bier wird traditionell nicht pasteurisiert. Vor allem bei Brauereien mit großem Ausstoß sei das aber üblich, erklärt er den Unterschied. "Das Bier wird kurz und kräftig erhitzt, damit die Hefebakterien absterben. Damit erreicht man eine gute Haltbarkeit und Geschmacksstabilität – aber so entstehen Noten nach Graubrot sowie eine oft bittere Süße."
Nun folgt die zweite Gärung, die "Reife". Das auf die Flasche gefüllte Jungbier erhält – ähnlich wie Champagner – eine "Speise" genannte Mischung aus Malzzucker und Hefe. Damit entsteht eine Menge Kohlensäure, die den Schaum beim Einschenken produziert. Braumeister Schneider kocht dazu spezielle Speisesude und verwendet obergärige Hefen, weil beides "schön fruchtige Aromen ausprägt". Auch die Noten nach Banane und Gewürznelken entstehen bei diesem Vorgang. Viele Brauereien wollen aber kein Risiko eingehen und verwenden nur untergärige Hefe – die produziert fast geschmacksneutral einfach eine Menge Kohlensäure.
So entsteht Kristallweizen
Brauereien, die aus Kostengründen auf die Flaschengärung verzichten, lassen das Bier in riesigen Tanks zum zweiten Mal gären. Das funktioniert ähnlich wie in der Flasche, allerdings geschieht die Kaltlagerphase bei knapp unter null Grad. Die Aromabildung ist daher bei der Tankreife deutlich schwächer ausgeprägt. Manche Brauereien stabilisieren ihr Weißbier, indem sie es am Ende der Reife filtrieren, die separierte Hefe durch Erhitzen abtöten und die Trübstoffe dem Bier wieder zugeben. So bleibt es länger haltbar.
Das klare Kristallweizen entsteht ebenfalls in diesem Produktionsschritt: Es wird filtriert und klar in die Flasche gefüllt. Damit schmeckt es etwas schlanker und prägt andere Aromen aus, als mit den Heferesten, die das Bier blickdicht machen.
Hell oder dunkel?
Dunkles Weißbier wird mit demselben Weizenmalzanteil wie helles gebraut. Allerdings wird der rohe Weizen länger und heißer getrocknet. So entstehen die Farbe und das leichte Raucharoma.
Bier-Sommeliers empfehlen zum hellen Weißbier nicht zu kräftig gewürzte Wurst, Fisch und Meeresfrüchte, milden Käse und sogar Desserts. Dunkles Weißbier dagegen ist ein hervorragender Begleiter zu Wildgerichten.
Die ideale Trinktemperatur
Doch mit Kühlschranktemperatur von sechs Grad seien viele Nuancen nicht zu schmecken, warnt Schneider. Er empfiehlt: Acht bis zehn Grad seien optimal. Doch da bleibt er entspannt: "Wenn man im Biergarten, auf dem Balkon oder der Terrasse sitzt, geht das ziemlich schnell." Die Zitronenscheibe, die in vielen Kneipen mit ins Glas geworfen wird, sei ein Überbleibsel der Vergangenheit, erzählt Schneider. "Als die Gärprozesse in früherer Zeit noch nicht kontrolliert abliefen, schmeckte der Schaum durch die Hefereste öfter sehr bitter. Um das zu kompensieren, legten die Wirte die Zitrone hinein. Das ist aber schon lange nicht mehr nötig."
Doch eins sei beim Einschenken wichtig: Sauberkeit. Das Glas darf weder Spülmittelreste noch feine Fasern vom Geschirrtuch enthalten, sonst hat der schöne Schaum ein schnelles Ende. Das Glas also einfach vorher kräftig und klar ausspülen. Tradition kann so einfach sein.