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Quereinsteiger als Lehrer: Reportage bei "37 Grad"


Reportage bei "37 Grad"
Quereinsteiger als Lehrer - kann das funktionieren?

In manchen Bundesländern fehlen so viele Lehrer, dass Quereinsteiger fürs Unterrichten angeworben werden. Ein Team der ZDF-Reihe "37 Grad" hat zwei Neulinge ein Schuljahr lang begleitet. Wie hart der Schulalltag für sie ist, und welche Schwächen die Ausbildung hat, zeigt der Film "Lehrer über Nacht".

25.08.2015|Lesedauer: 4 Min.
Von t-online
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In Berlin ist der Lehrermangel besonders drastisch. Nach Informationen von "37 Grad" werden dort derzeit 300 Quereinsteiger gesucht, um die Lücken zu stopfen. Zwei davon sind Karsten und Stefan.

Schule: Ein Astronom auf dem Boden der Realität: Als Quereinsteiger unterrichtet Karsten jetzt Schüler in Physik.Vergrößern des Bildes
Ein Astronom auf dem Boden der Realität: Als Quereinsteiger unterrichtet Karsten jetzt Schüler in Physik. (Quelle: ZDF/Andrea Hansen)

Beide sind 40 Jahre alt und Naturwissenschaftler, die bereits etliche befristete Jobs in der Forschung hinter sich haben, weil es dort zu wenig feste Stellen gibt. Eine Festanstellung an der Schule lockt. Sie haben reichlich Fachwissen und Berufserfahrung – aber keine pädagogischen Kenntnisse. Trotzdem werden sie nach nur einer Woche Vorbereitung schon auf die Schüler losgelassen. Die weitere Ausbildung läuft nebenher, dafür müssen die Neu-Lehrer am Nachmittag selbst die Schulbank drücken.

Zwischen Idealismus und Frust

"Ich glaube, dass ist ein großer Vorteil für die Schüler, wenn Quereinsteiger unterrichten", meint Stefan. Schließlich könnten sie den Schülern vermitteln, wie es in der "richtigen Berufswelt" zugeht. Aber für den Quereinsteiger ist das kein Zuckerschlecken: "Man wird ins kalte Wasser geschmissen und versucht, zu überleben." Die Naturwissenschaftler beginnen ihre neue Aufgabe mit viel Optimismus und Idealismus. Karsten will kein strenger Lehrer sein, sondern den Schülern verständnisvoll begegnen. Und er will, dass alle mitkommen.

Schon nach wenigen Wochen werden die beiden von der Realität eingeholt. Im Lauf des Schuljahres werden sie immer wieder gegen Überforderung und Frust ankämpfen müssen.

Quereinsteiger müssen die Akademiker-Brille ablegen

Der Astronom Karsten soll in der Oberstufe Mathe und Physik unterrichten. Die Kamera fängt seine Nervosität ein, als er seine erste Schulstunde hält. Er muss sich nicht nur vor den Schülern bewähren, sondern auch vor zwei Mentoren, die seinen Unterricht begutachten. Karsten macht typische Anfängerfehler: Er unterschätzt den Zeitaufwand für die von ihm gestellten Aufgaben und überschätzt das Wissensniveau der Schüler und deren Fähigkeit zu selbständigem Arbeiten.

Auch Stefan, ein promovierte Biochemiker, hat anfangs Mühe, die Schüler im Bio- und Chemie-Unterricht zum Mitmachen zu motivieren. "Sie haben nicht hartnäckig genug nachgebohrt", kritisiert ein erfahrener Pädagoge.

Die Ausbilder im Lehrerseminar kennen die Schwierigkeiten. Die Quereinsteiger kommen aus einer akademischen Welt und es fällt ihnen schwer, eine andere Perspektive anzunehmen.

Turbo-Ausbildung auf Kosten der Schüler?

Trotzdem werden sie in einer 18-monatigen Turbo-Ausbildung durchgeschleust, denn viele Schulen sind auf die Hilfslehrer angewiesen. Der Film zeigt, wie sehr das die Neu-Lehrer an die Belastungsgrenze bringt. Karsten schildert das Dilemma: "Man ist Anfänger, macht noch eine Ausbildung nebenbei und muss für das alles drumherum so viel Zeit investieren, dass ich das Gefühl habe, ich kann eigentlich keinen Unterricht richtig vorbereiten." Ihn plagt das Gefühl, dass dabei die Schüler zu kurz kommen, denen er ja ein guter Lehrer sein will.

Obwohl die Quereinsteiger keine richtige Lehrerausbildung haben, werden ihnen nach Angaben aus der TV-Doku sogar mehr Unterrichtsstunden aufgebürdet als den Referendaren.

Misstrauisch beäugt von Lehrern und Referendaren

Im Lehrerzimmer schlägt den Neulingen die Skepsis der älteren Lehrerkollegen entgegen, in Kommentaren wie "ich habe fünf Jahre dafür studiert und unterrichte schon seit 26 Jahren". Eine Lehrerin räumt ein, dass sie sich durchaus Unterstützung wünscht, aber mehr in die Ausbildung der Quereinsteiger investiert werden sollte. Und im Lehrerseminar gibt es emotionale Diskussionen mit den "richtigen" Referendaren, die fürchten, dass die Quereinsteiger dem Ansehen des Lehrerberufs schaden. Sie vermittelten den Eindruck, dass es ein leichter Job sei.

Ein leichter Job? Dieses Klischee widerlegt die "37 Gad"-Reportage. Momentaufnahmen zeigen Karsten und Stefan vor lustlosen Jugendlichen, die ihre Köpfe stumm über Arbeitsblätter senken oder den Unterricht mit Blödsinn stören. Kleine Erfolgserlebnisse sind gelegentliches Lob von Schülern und Eltern. Karsten ist zwischendurch derart frustriert, dass er seine frische Lehrerlaufbahn am liebsten abbrechen würde. Aber nach seinem ersten Schuljahr will er doch weitermachen. Es ist noch genug Idealismus übrig geblieben.

Haben die Länder den Lehrermangel verschlafen?

Karsten findet, dass "die Politik" die Entwicklung verschlafen hat: die Zahl der Lehrer, die enorme Stundenbelastung, der erhöhte Förderbedarf einzelner Schüler – es knirscht gewaltig im Schulsystem.

Nach Daten des Bundesamtes für Statistik sind 2013 deutschlandweit 26.000 beamtete Lehrer in den Ruhestand versetzt worden. Das ist der Höchstwert seit 1993. Insbesondere in den naturwissenschaftlichen Fächern rücken zu wenig neue nach.

Ein Lehramtsstudium ist für viele junge Menschen nicht mehr attraktiv. So heißt es im "Hochschulbildungsreport 2020" des Stifterverbands und der Unternehmensberatung McKinsey, dass leistungsstarke Schüler nur noch selten Lehrer werden wollen. In diesem Beruf vermissten sie demnach Aufstiegschancen und Flexibilität. Außerdem sei das Lehramtsstudium häufig "das Stiefkind" an der Hochschule. Es mangele an Betreuung und Praxisbezug, und es werde unzureichend auf die pädagogische Kompetenz der Studenten geachtet.

So wird man als Quereinsteiger Lehrer

"Aufgrund des steigenden Lehrerbedarfs werden in Zukunft auch vermehrt Bewerber ohne Staatsexamen in den öffentlichen Schuldienst eingestellt", heißt es im Info-Portal lehrer-werden.de. 2014 betrug der Anteil der Quereinsteiger bei den Neueinstellungen an öffentlichen Schulen 3,5 Prozent. Die meisten (476) gab es in Berlin, gefolgt von Niedersachsen (159) und Nordrhein-Westfalen (130).

Der Weg in den Schuldienst und die Ausbildung der Quereinsteiger ist in den Bundesländern unterschiedlich geregelt. Die Grundvoraussetzung ist meistens ein Hochschulstudium mit Diplom oder einem gleichwertigen Abschluss, bevorzugt in einem technischen, wirtschaftlichen oder kaufmännischen Fachbereich. Gute Chancen haben Quereinsteiger, die Naturwissenschaften, Mathematik, Informatik oder Musik unterrichten können, sowie Quereinsteiger für Sonderpädagogik.

Je nach Land müssen die Bewerber eine unterschiedlich intensive, berufsbegleitende Zusatzausbildung absolvieren. Dabei werden ihnen Pädagogik, Didaktik und Schulrecht vermittelt.

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