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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Haftung bei Schulunfällen Vom Mitschüler verletzt - kein Anspruch auf Schmerzensgeld
Vermeintlich harmlose Schülerstreiche können schlimme Folgen haben. Wird ein Schüler bei einer Rangelei schwer verletzt, hat er in vielen Fällen nicht einmal Anspruch auf Schmerzensgeld. So sind Aufsichtspflicht und Haftung bei Unfällen in der Schule geregelt.
In einem aktuellen Fall wies das Amtsgericht Hannover die Klage eines 17-Jährigen ab, der von einem ehemaligen Mitschüler 1400 Euro Schmerzensgeld verlangte.
Zwei Jahre zuvor, beide besuchten damals die neunte Klasse, hatte ihm der Sitznachbar den Stuhl weggezogen. Der Junge fiel auf sein Steißbein und schlug dann mit dem Kopf auf. Er erlitt Prellungen und Blutergüsse. Weil er unter der Bluterkrankheit leidet, wurde er anschließend drei Tage im Krankenhaus beobachtet. Danach konnte er lange nur stehen und liegen und musste einen Urlaub absagen. Monatelang habe er unter Schmerzen gelitten. Deshalb verklagte er den MItschüler auf Schmerzensgeld.
Das Opfer ging jedoch leer aus. Das Gericht lehnte die Klage ab, weil Kinder für Streiche untereinander im Klassenzimmer in der Regel nicht haften müssen. So habe der Bundesgerichtshof in ähnlichen Fällen entschieden.
Haftung nur bei vorsätzlicher Handlung
"Das ist kein Freifahrtschein, dass man sich in der Schule prügeln darf", betonte die Richterin Catharina Schwind. Nach Schulunfällen hat eine Zivilklage Aussicht auf Erfolg, wenn dem Verursacher Vorsatz nachzuweisen ist. Der Vorsatz muss sich der Richterin zufolge aber nicht nur auf die Tat – hier das Wegziehen des Stuhls – , sondern auch auf die gesundheitlichen Folgen beziehen. Davon sei in diesem Fall nicht auszugehen.
Auf einem Auge erblindet – kein Schmerzensgeld
Besonders drastisch ist ein Fall aus dem Jahr 2003 (VI ZR 34/02), bei dem ein Schüler nach einem Unfall auf einem Auge erblindete. Als der Lehrer im Werkunterricht kurz den Raum verlassen hatte, bewarfen sich die Schüler mit Kugeln aus Alufolie. Ein damals 15-Jähriger schnappte sich eine Säge und und wehrte die Kugeln wie mit einem Tennisschläger ab. Dabei löste sich das Sägeblatt und traf einen 16-Jährigen am Auge.
Da das Unglück als Schulunfall anerkannt wurde, bezieht der Verletzte eine monatliche Unfallrente. Seine Schmerzensgeldklage wurde vom Landgericht abgewiesen, weil der 15-Jährige den Klassenkameraden aus Versehen und nicht vorsätzlich verletzt habe.
Ein Fall für die Unfallversicherung der Schule
Später bestätigte der Bundesgerichtshof (BGH) diese Auffassung. Demnach gehören Verletzungen bei Rangeleien zum Schulalltag. Für solche Fällen sei die Unfallversicherung der Schule zuständig. Sie diene einerseits dem verletzten Schüler. Andererseits stelle sie den Verursacher von seiner zivilrechtlichen Haftung frei, um ihn vor lange währenden finanziellen Belastungen zu bewahren.
Wer hat die Aufsichtspflicht?
Wenn Kinder in der Schule sind, liegen Aufsichtspflicht und Haftung gesetzlich bei der Schule, erklärt Eva Becker, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Familienrecht im Deutschen Anwaltverein. In der Regel müssen die Lehrer aufpassen. Aber: "Schon ab einem Alter von sieben Jahren kann ein Kind auch selbst haften", sagt Becker. Allerdings kommt es auf seinen Entwicklungsstand an und auf seine Fähigkeit, die Folgen seines Handelns einzuschätzen. So kann ein Kind schon in jungen Jahren zu einem Schmerzensgeld verurteilt werden – sofern es ein anderes Kind vorsätzlich verletzen wollte.
Normalerweise haben Kinder und Jugendliche noch kein Vermögen, mit dem sie bezahlen könnten. Die Eltern müssen aber nicht automatisch das Schmerzensgeld übernehmen, sagt Becker. Womöglich gibt es zwar ein Urteil, aber der Geschädigte bekommt trotzdem noch kein Schmerzensgeld. Unter Umständen fließt es erst, wenn die Kinder älter sind.