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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Umfrage Mehrheit der Länder will an Schreibschrift festhalten
Es gibt Schüler und Studenten, die ihre eigene Handschrift selber nicht lesen können. Sollte sich deshalb an den Grundschulen etwas ändern? Vielerorts wird eine neue Schrift erprobt, die aus Druckbuchstaben besteht.
Erst Druckbuchstaben, dann eine Schreibschrift und schließlich die eigene Handschrift: Die Mehrheit der Bundesländer will vorerst nicht daran rütteln, in welcher Reihenfolge Grundschüler schreiben lernen. Allerdings wird vielerorts die umstrittene neue Grundschrift erprobt, ergab eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Sie besteht aus Druckbuchstaben, die nach und nach zu einer eigenen Handschrift verbunden werden sollen. Die klassische Schreibschrift fällt bei diesem Modell weg.
Grundschrift: pro und contra
Der Grundschulverband entwickelte die neue Schrift unter anderem, weil sie Schülern den Umweg über eine Schreibschrift erspart und leichter zu lernen ist. Kritiker befürchten dagegen, dass seit Generationen bewährte Schreibschriften verloren gehen könnten.
Für den Grundschulverband ist die Einführung der Grundschrift eine sinnvolle didaktische Weiterentwicklung. So müssten sich die Kinder nicht nach dem Erlernen der Druckschrift innerhalb weniger Wochen an zwei Schriften gewöhnen. Dies würde den Lernprozess des Schreibens erheblich behindern und oftmals seien die Schüler verwirrt, denn sie könnten nur schwer nachvollziehen, warum sich Lese-Buchstaben von Schreib-Buchstaben unterscheiden.
Aber auch die Zahl der Grundschrift-Kritiker ist groß: Viele von ihnen argumentieren vor allem mit den Vorzügen der etablierten Schreib- beziehungsweise Ausgangsschriften. Zu ihnen gehört die Hamburger Grundschullehrerin Jessica Werk. Sie schätzt die Technik, Buchstaben miteinander zu verbinden, denn Grundschüler sähen so besser, welche Lettern zusammengehörten und ein Wort bildeten. Außerdem befürchtet die Pädagogin, dass sich die Grundschrift zu einer reinen Druckschrift verfestige und Groß-und Kleinschreibung irgendwann nur noch schlecht zu erkennen seien.
Die Münchner Grundschulpädagogin Ute Andresen hält die Grundschrift für eine Notlösung mit unkalkulierbaren Folgen. "Es droht ein Bildungs- und Kulturverlust", sagt die Gründerin des Vereins "Allianz für die Handschrift". Nur mit einer echten Schreibschrift könne ein Schreiber seine Gedanken fließen lassen, betont Andresen. "Man lernt mehr, als Buchstaben zu produzieren. Das ist mit dem Erlernen eines Musikinstrumentes vergleichbar." In Ländern wie England oder Kanada, die lange allein auf Druckschrift gesetzt hätten, gebe es ein Umdenken.
Auch viele Mütter und Väter gehen auf die Barrikaden und sind gegen die Einführung der Grundschrift. Einer der Wortführer ist der Hamburger Anwalt und Bildungskritiker Walter Scheuerl. Durch die wenigen formalen Regeln der Grundschrift befürchtet er einen Wildwuchs von eigenwilligen Handschriften schon in der Mittelstufe. Kinder, die nur Druckschrift beherrschten, seien benachteiligt, vor allem wenn sie lange Aufsätze schreiben müssten.
Versuche in Baden-Württemberg und Bayern
In Baden-Württemberg wird an 17 Grundschulen bis nächstes Jahr die Grundschrift erprobt. Aussagen dazu wolle man erst treffen, wenn die Schüler alle vier Grundschuljahre komplett durchlaufen haben, hieß es im Kultusministerium in Stuttgart. Bayern hat einen wissenschaftlich begleiteten Modellversuch zum Vergleich zwischen Grund- und Schreibschrift bereits abgeschlossen. "Vorteile der Grundschrift konnten dabei nicht festgestellt werden", erklärte das Kultusministerium in München.
Positive Ergebnisse in Bremen
Dagegen sprechen erste Ergebnisse einer Untersuchung an acht Grundschulen in Bremen für positive Auswirkungen der Grundschrift. Dabei wurden dem Bildungssenat zufolge unter anderem die Aspekte Linkshändigkeit, Hyperaktivität und Orthografie untersucht. "Von den beteiligten Lehrerinnen und Lehrern wird die Grundschrift durchweg positiv bewertet", sagte eine Senatssprecherin.
In diesen Ländern ist die Grundschrift erlaubt
Wie viele Grundschulen bereits ausschließlich mit den Druckbuchstaben arbeiten, ist nicht bekannt. Erlaubt ist die Grundschrift unter anderem in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, Hamburg und Thüringen. "Zu 90 Prozent wird aber die Schulausgangsschrift gelehrt, die 1968 in der DDR eingeführt wurde", sagte ein Sprecher des Thüringer Bildungsministeriums. In Sachsen ist die Schulausgangsschrift sogar verbindlich. Auch die meisten Berliner Grundschulen verwenden sie seit dem Schuljahr 2000/01.
Grundschrift als einzige Schrift lehnt die Mehrheit ab
In Bayern war bisher die vereinfachte Ausgangsschrift vorgeschrieben. Nach dem neuen Lehrplan Grundschule, der nach den Sommerferien in Kraft tritt, kann auch die Schulausgangsschrift unterrichtet werden. In Rheinland-Pfalz favorisiert die Mehrzahl der Grundschulen nach informellen Rückmeldungen die Lateinische Ausgangsschrift, wie ein Sprecher des Bildungsministeriums sagte. Eine Festlegung auf die Grundschrift als einzige Schrift bundesweit lehnen die Ministerien der befragten Länder übereinstimmend ab.