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Kinderarmut und Chancengleichheit: Arche-Gründer Bernd Siggelkow im Interview


Arche-Gründer Bernd Siggelkow im Interview
Emotionale Armut macht sich in der Wohlstandsgesellschaft breit

Er ist Pastor, Sozialarbeiter und Buchautor: Siggelkow hat das Kinder- und Jugendhilfswerk "Arche" gegründet. Er wird nicht müde zu betonen, dass Deutschland seine Kinder vergisst und nicht wertschätzt. Aber er gibt Denkanstöße, was man verändern könnte. Und schreibt schon wieder das nächste Buch, irgendwann zwischen Gesprächen mit Kindern, Familienbesuchen, Talkrunden, Mittagessen bei den Kindern und einem Interview mit t-online.de.

Aktualisiert am 27.12.2013|Lesedauer: 6 Min.
t-online, Maria M. Held
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Seine Bücher haben Titel wie "Deutschlands vergessene Kinder", "Generation Wodka" oder "Ausgeträumt - die Lüge vom Sozialstaat". Man müsste sie gar nicht gelesen haben, um zu ahnen, wofür der umtriebige Pastor sich einsetzt.

Pastor Bernd Siggelkow, Gründer des Kinder- und Jugendwerks "Arche"Vergrößern des Bildes
Pastor Bernd Siggelkow, Gründer des Kinder- und Jugendwerks "Arche" (Quelle: dpa-bilder)

Herr Siggelkow, wofür kämpfen Sie?

Den Menschen mit denen wir arbeiten fehlt es nicht unbedingt an Geld, sondern oft an Perspektive und Würde. Das kann man mit Geld nicht bezahlen. Viele haben sich selber aufgegeben. Denken sie an die alleinerziehenden Mütter, die gar keine Chance mehr auf dem Arbeitsmarkt haben. Wir brauchen heute existenzsichernde Arbeitsplätze auch für Mütter, die aus einer bildungsferneren Schicht kommen, damit die mit ihrem Gehalt auch ihre Familie ernähren können.

Sie treten strikt gegen eine Erhöhung von Hartz IV und anderer Leistungen ein, mit ihren Themen schwimmen sie manchmal gegen den Trend: Stößt das nicht manche vor den Kopf?

Also die, mit denen wir arbeiten, natürlich nicht, aber die, die nur fordern und Forderungen stellen, ja, die stoßen wir vor den Kopf, da stimmt.

Machen Sie das manchmal bewusst so, um die Menschen aus ihrem Trott und ihrer Lethargie zu wecken?

Nein, die Arche ist immer schon ein bisschen gegen den Strom geschwommen. Es ist immer schon unpopulär, zu sagen, dass das, was den Kindern fehlt, nicht unbedingt materielle Dinge sind, sondern Emotionen. Wir versuchen den Schlüssel zum Herzen zu benutzen. Bei anderen ist es eher Dienstleistung und wenn ich eine Entscheidung über einen Menschen treffen muss, den ich gar nicht kenne, wird das immer ein oberflächliches Urteil sein. Aber die Arche und die Mitarbeiter sind immer nah dran an den Menschen. Das geht vielleicht manchmal gegen den Trend von dem, was man in einer Dienstleistungsgesellschaft gewohnt ist.

Mario Barth, Günther Jauch, Lukas Podolski - es ist erstaunlich, wie viele Prominente bei Ihnen mitmachen.

Sie lassen sich anstecken von unseren Ideen. Manche Prominente wollen sich vielleicht mit sozialen Aktionen ein soziales Herz verpassen. Bei uns ist das in der Regel nicht so. Die kommen zu uns, um zu sehen, was wir machen. Sie fangen Feuer bei den Kindern und wollen im Prinzip ein Stück von ihrem Glück zurück geben. Da steht nicht an erster Stelle, dass ihr soziales Engagement und ihr großes Herz an die Öffentlichkeit kommen.

Trotzdem profitieren vermutlich beide Seiten davon?

Es ist ja auch ein Leumund, wenn Günther Jauch die Arche unterstützt, denn die Leute wissen: Günther Jauch ist nicht irgendein oberflächlicher Mann. Dem müssen wir haargenau zeigen, was wir tun, wofür geben wir das Geld aus. Der fragt auch nochmal kritisch nach und das weiß auch jeder, der sich mit Günther Jauch beschäftigt. Das ist dann natürlich wie ein Gütesiegel. Deshalb ist es auch so positiv, dass sich solche Leute hinter die Arche stellen.

In ihrem Buch "Ausgeträumt - die Lüge vom Sozialstaat" fordern sie ja indirekt, dass sich Privatleute und Unternehmer mehr einmischen sollen. Wie verbreiten sie ihre Ideen, wie kommen sie mit den Leuten ins Gespräch?

Ob die Ideen ankommen, weiß ich nicht, wir versuchen sie für jeden Bürger attraktiv zu machen. Durch unsere Bücher, durch das, was wir sagen, durch die Vorträge, die ich halte, durch die Medien und durch die vielen Besucher die in unsere Einrichtungen kommen, um unsere Arbeit anzuschauen. Wir haben schon auch gemerkt, dass Politiker ein großes Interesse an uns haben.

Haben Sie das Gefühl, es findet ein Umdenken statt?

Wir merken schon, dass viele anders denken, wir bemerken eine neue Sensibilität. Viele erkennen, so wie es bisher funktioniert hat, kann es nicht dauerhaft weiter funktionieren.

Sie hatten ja auch einige Forderungen an die Politik - wie schauen Sie jetzt auf die große Koalition?

Ich hoffe, dass das, was man sagt nicht nur leere Versprechungen und Sprüche sind, sondern dass jetzt endlich mal etwas unternommen wird, damit es den Kindern in Deutschland besser geht und dass Bildung nicht abhängig ist vom Einkommen der Eltern.

Bildung kehrt als Begriff immer wieder - das ist der Schlüssel?

Das ist natürlich ein wichtiger Aspekt, wenn wir Armut bekämpfen. Das können wir nur, wenn wir eine Generation fördern, die - wenn wir es wirtschaftlich sehen, auch etwas zurückgeben kann. Aber wenn 10 Prozent aller 15jährigen funktionale Analphabeten sind, dann schaffen wir das nicht. Wir brauchen nämlich Fachkräfte, wir importieren jetzt Fachkräfte aus dem Ausland anstatt die Kinder, die da sind so zu fördern, dass das Potenzial, das sie in sich tragen, zum Einsatz kommt. Die zu fördern wäre letztendlich auch billiger, als wenn sie dann straffällig werden oder drogenabhängig.

Stört es manche Leute, dass die Arche ein christliches Hilfswerk ist, dass sie ein Pastor sind?

Die Leute, die das kritisieren wollen, die stolpern natürlich irgendwann darüber, aber dadurch dass wir Christen sind und ein christliches Wertefundament haben, sind wir sogar bei den anderen Religionen sehr angesehen. Wir sind wohl die christliche Einrichtung, die die meisten muslimischen Kinder erreicht. Dieses Wertefundament kommt bei den anderen Religionen gut an, wir finden sogar eher Unterstützer dadurch, dass wir dieses Wertefundament haben.

Wir erklären den Kindern auch, was Toleranz, was Nächstenliebe bedeutet, was es heißt, nicht egoistisch zu leben. In einer Gesellschaft, in der Kinder das Gefühl haben, nicht viel wert zu sein, braucht es ein Wertefundament.

Haben Sie noch den direkten Kontakt zu den Kindern?

Ich konzentriere mich wieder mehr auf die direkte Arbeit in der Mutter-Arche, das ging ein bisschen unter, als ich verstärkt die anderen Archen aufgebaut und weiter entwickelt habe. Es muss in jedem Haus darum gehen, dass jedes Kind das Gefühl hat, es ist das einzige. In der Umsetzung heißt das: Es geht in erster Linie um das Herz und die Liebe, nicht nur um Professionalität.

Sie haben ein neues Buch in Arbeit - es gibt in letzter Zeit viele Bücher auf dem Markt, die ein Umdenken fordern und Kritik an der Gesellschaft und der Politik üben.

Ich würde es nicht als Kritik bezeichnen. Sondern es ist ein sanfter Hinweis in die hoffentlich richtige Richtung. Ich wurde neulich gefragt, was meine Wünsche sind. Und einer ist, dass wir den Kampf gegen die Kinderarmut gewinnen. Und wenn wir diesen Kampf gewinnen wollen, dann gibt es noch viel zu tun. Da muss ein Umdenken in der Bevölkerung stattfinden, da muss die Politik bestimmte Rahmenbedingungen schaffen, da muss auch im Bereich der Sozialpädagogik umgedacht werden.

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Kinderarmut bekämpfen ist ihr Hauptwunsch?

Und Kinderarmut bedeutet in erster Linie nicht finanzielle Armut, sondern emotionale Verarmung. Und die macht eben auch vor der Wohlstandsgesellschaft keinen Halt.

Was sind die anderen Wünsche?

Dass wir es schaffen, unseren Kindern eine sichere Zukunft zu schaffen. Und dass wir in Deutschland die Kinder gleich behandeln. Dass es nicht darum geht, ob ein Kind im falschen Viertel geboren ist. Seine Zukunft darf nicht davon abhängen, ob es die falsche Schule besucht hat.

Sie sind oft in Talkshows zu Gast - an die Öffentlichkeit gehen ist ein wichtiger Aspekt ihrer Arbeit?

Wir sehen uns ja nicht nur als das Sprachrohr der Kinder in unserer Einrichtung, sondern aller Kinder, damit diese eine Lobby bekommen. Damit es uns vielleicht irgendwann gelingt, Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern. Kinder haben keine Wählerstimme und deshalb wird nicht so viel für sie getan. Das öffentlich zu sagen, ist sehr wichtig, dafür werden wir auch in der Öffentlichkeit kritisiert, aber wenn wir den Mund halten würden, dann würde es ja auch nichts bringen.

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